Die deutsche Politik muss beim Thema Internet und Digitalisierung viel Kritik einstecken. Diese Kritik erscheint mir zwar in den meisten Fällen gerechtfertigt und angebracht (ob zur Überwachung, der enttäuschenden Digitalen Agenda, der Worthülse Industrie 4.0, dem Leistungsschutzrecht, etc.), doch ist ″die Politik″ kein homogener Adressat und nur einer von vielen Akteuren unserer Gesellschaft, die sich beim Thema Digitalisierung nicht mit Ruhm bekleckern. Die deutschen Stiftungen kommen beim Thema Digitalisierung ihrer systemischen Aufgabe als Agendasetter und gemeinnützige Förderquelle kaum nach, und das ist aus mehreren Gründen fatal für unser Land.
Wie sich in den Vereinigten Staaten beispielsweise die Knight Foundation oder die Sunlight Foundation für die Förderung von Journalismus, Bürgerbeteiligung und Open Government einsetzen, ist international vorbildhaft. Gerade die Sunlight Foundation ist ein spannendes amerikanisches Beispiel dafür, wie eine private Stiftung die komplette Transparenzökonomie Washingtons auf den Kopf stellt. Dabei zehrt die Stiftung selbst von Geldern anderer Stiftungen, einzelnen Stiftern und Unternehmensspenden. Die Knight Foundation hat sich auf die Unterstützung von Transformationsprozessen in Journalismus und Medien spezialisiert.
Dass Burda, Springer, Bertelsmann und Co. hierzulande nicht ähnlich innovativ handeln ist schade, zu sehr zehren deren Unternehmungen oder Erben (noch) an den Geschäftsmodellen des alten vordigitalen Systems. Was die Knight Foundation in den USA unterstützt, sieht schon sehr stark nach dem aus, was Google mit der kürzlich angekündigten Digital News Initiative verfolgt. Die Motivation für deren Handeln ist wohl aber eine andere. In den USA ist die Stiftungslandschaft zudem viel nachfragegetriebener. Das mag nicht generell positiv sein, stellt aber viel mehr gesellschaftliche und politische Relevanz her.
Was hätte die Rolle deutscher Stiftungen im digitalen Wandel sein können?
Digitalisierung und Vernetzung stellen uns vor gesamtgesellschaftliche Herausforderungen unter anderem in den Bereichen Bildung, Ausbildung, Weiterbildung und Forschung. Sie erfordert Diskussionsräume, Brückenbildung, Aufklärung und Investitionen. Stiftungen verfolgen mit ihren gesellschaftlichen, oft gemeinnützigen Missionen schon von Haus aus Ziele, die sich mit der Bewältigung der Digitalisierung prinzipiell decken. Stiftungen könnten Forschungsvorhaben fördern, Diskurse anstoßen oder unterstützen, Menschen und Ideen fördern, Lehrstühle finanzieren, Weiterbildung organisieren oder Stipendien ausschreiben. Auch können sie Lobbying für nachhaltige politische Entwicklungen betreiben durch Studien, Kampagnen und Veranstaltungen – genauso wie sie es in vielen anderen Politikfeldern seit Jahrzehnten machen.
Wo sind also die Stiftungslehrstühle zu digitalem Unternehmertum? Welche Stiftung fördert hierzulande wirklich substantiell NGOs, die sich mit dem digitalen Wandel auseinandersetzen? Wieso legen die unzähligen deutschen Familien- und Unternehmenstiftungen nicht einmal Geld zusammen in einen Topf, um dezidiert Projekte im Bereich der Digitalisierung zu fördern? Die meisten Stiftungen sind zu sehr selbst damit überfordert, sich den Entwicklungen zu stellen, ihre Institutionen zu modernisieren und sich strategisch neu aufzustellen – oder gar ihre Finanzierung sicher zu stellen (Alcatel Lucent).
Der deutsche Stifterverband, ein Dachverband, zählt über 3.000 Unternehmen, Unternehmensverbände, Stiftungen und Privatpersonen zu seinen Mitgliedern. Mit dem Schwerpunkt auf Bildung und Forschung, wird dort viel zu Kräftebündelung und Initiativen geleistet, aber auch hier ist das Thema Digitales (noch) recht dünn gesät.
Es ist nicht alles schlecht
Es gibt auch vereinzelt Lichtblicke. So hat das von der Stiftung Mercator initiierte Institut MERICS einen großen Schwerpunkt auf Digitalisierung und Internet (mit Fokus China) gelegt. Bei der gemeinnützigen Hertie Stiftung gibt es Bemühungen, sich mit dem Thema zu beschäftigen, und an der von der Stiftung etablierten Hertie School wurde mit Unternehmensgeldern ein Lehrstuhl etabliert (mit Fokus auf eGovernment), der aber aktuell wieder vakant ist. Die Bertelsmann Stiftung streckt regelmäßig ihre Fühler in Richtung digitaler Themen aus, scheint aber ihren Platz in der Debatte noch nicht gefunden zu haben. So musste letztes Jahr das internationale Bloggernetzwerk FutureChallenges.org zum Überleben ausgegründet werden, und die Aktivitäten im Bereich Bürgerbeteiligung finden eher in klassischen Branchen statt. Was aus den aktuellen Entwicklungen rund um den Themenbereich Zukunft der Arbeit “Arbeiten 4.0” wird, ist noch nicht abzusehen.
Zwar unterstützen Stiftungen von Bosch, Vodafone und Co. vereinzelt Projekte und Veranstaltungen, die sich mit dem digitalen Wandel befassen, ein kohärentes Bild ergibt sich daraus jedoch nicht. Insgesamt gesehen sind die investierten Ressourcen eher auf Alibi-Niveau. Von wirklich nachhaltigen Projekten mit viel Wirkung auf die Debatten um den digitalen Wandel ist kaum etwas zu spüren.
Exkurs: Die politischen Stiftungen
Bei den politischen Stiftungen sieht es etwas besser aus, diese haben die Themen im Bereich der Digitalisierung meist schon bei deren Erscheinen mit geprägt und getrieben (vor allem die Böll Stiftung war hier aktiv, andere zogen später nach). Der Einfluss auf das Tagesgeschehen und die gesamtgesellschaftliche Wirkung sind aber auch hier minimal und zumeist parteiideologisch eingefärbt. Von außen betrachtet ist Digitalpolitik bei FES, KAS & Co. also ebenso Nischenthema wie bei den ihnen nahestehenden Parteien. Hier wäre ein stärkerer Austausch mit und Einfluss der Stiftungen auf die Parteien wünschenswert.
Sind deutsche Stiftungen zu konservativ um dem digitalen Wandel begegnen zu können?
Die mangelnde Triebkraft der Stiftungen im Bereich des digitalen Wandels wäre zu verkraften, wenn andere Akteure diese Rolle einnehmen würden. Doch auch von Seiten der deutschen Industrie ist nur wenig zu vernehmen. So bleibt es dabei, dass das Engagement meist US-amerikanischer IT-Unternehmen, die mit großen Summen versuchen, Deutschland als wichtigen, aber technisch zurückgebliebenen Standort hochzupäppeln, durchgehend als am meisten sichtbar wahrgenommen werden, und dies gleichzeitig auch entsprechend kritisiert wird.
Wie so oft wenn bestehende Strukturen nicht schnell und angemessen Unterstützung bieten, liegt der Ausweg vielleicht darin, neue Wege zu gehen. Doch diese sind eben noch schwerer zu finanzieren. Bei der Stiftung Neue Verantwortung (allerdings ein Verein, trotz des Namens keine Stiftung) laufen seit einiger Zeit mehrere Projekte, die sich intensiv mit digitalen Themen befassen – Tendenz steigend (und lobenswerterweise unterstützt von beispielsweise Bosch, Mercator und RWE Stiftungen). Doch auch hier kommen viele Gelder aus dem Ausland, und die Geschäftsführung hat mit Ben Scott aktuell einen US-Amerikaner inne. Das die letzten Jahre von mir selbst geleitete Internet & Gesellschaft Collaboratory, ein Verein für digitalpolitische Projekte und Diskurse, ist zwar keine Stiftung, tat sich aber ebenfalls schwer Geldgeber zu finden, die fördern statt nur sponsern, oder deutsche Unternehmen sind. Anderen digitalpolitischen Organisationen geht es ähnlich.
Liegt die Lösung in der Disruption?
Finanzkräftige Stiftungen sind eigentlich unabhängig vom Markt. Das ist auch gut so – es gibt ihnen aber natürlich auch die Freiheit, jahrelang am gesellschaftlichen Bedarf vorbei zu fördern. Kleine Akteure haben hier Chancen für Sichtbarkeit und Impact – sie können die sich dem Wandel verweigernden Organisationen aber nicht existenzbedrohend unter Druck setzen.
Könnte die Lösung gar darin liegen, viele weitere neue Stiftungen zu gründen? Der ehemalige Donaukurier-Herausgeber Georg Schäff hat mit der Stiftung Erneuerbare Freiheit eine der wenigen neuen Stiftungen gestartet, die digitale Grundrechte im Fokus haben, ähnlich der Stiftung Bridge. Das Journalismusportal Correctiv hat ebenso einige Stiftungen und Förderer gefunden, die neue Unterfangen unterstützten. Vielleicht ließen sich weitere Mäzene finden, die bereit sind, Mittel in eine größere Stiftung zu geben, deren Aufgabe es sein könnte, den digitalen Wandel in Deutschland zu stärken. Eine Stiftung, die richtige Plattformen fördert, um Worthülsen wie Industrie 4.0 eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung zu geben. Eine Stiftung, die Stipendien an Querdenker vergibt (ähnlich dariah.eu), Vereine wie z.B. die Open Knowledge Foundation (das deutsche Chapter ist trotz des Namens keine Stiftung) mitfinanziert, und inhaltlich wie parteipolitisch unabhängige Studien und Projekte unterstützt. Auch in Bereichen, die nicht gerade als Hype-Thema durch die Berliner Republik getrieben werden.
Stiftungen könnten ein nachhaltiger gesellschaftlicher Treiber der Digitalisierung in Deutschland sein, eine Chance, die bisher grunsätzlich verspielt wurde. Sie haben die Rolle als politische Agenda-Setter im Rahmen der Gestaltung des Digitalen Wandels bisher nicht ausfüllen können. Ich bin aber guter Dinge, dass die entsprechende Erkenntnis, als Mitgestalter der Digitalisierung zu fungieren, langsam Berücksichtigung finden wird. Stiftungen müssen in diesem Gestaltungsdiskurs vorne mitspielen, anstatt wie Industrie und Politik hinterher zu hecheln. Genau dort könnten Stiftungen mit ihren Ressourcen und Know How nämlich wirklich helfen.
Diese Gedanken erheben weder einen allumfassenden Anspruch, noch handelt es sich dabei um quantitative Analysen digitalpolitischer Aktivitäten in der deutschen Stiftungslandschaft. Es ist jedoch lange überfällig, dass diese Debatte über die Rolle der Stiftungen im digitalen Wandel beginnt. Ich hoffe auf viele Kommentare zu diesem Artikel mit Hinweisen auf Projekte, die mir noch nicht bekannt sind, und darauf, in einem Jahr dieses Thema noch einmal aufgreifen zu können. Dann aber mit einer noch positiveren Einschätzung.
Dies ist ein Crosspost von netzpiloten.de. Den Originalartikel finden Sie hier.