Mit immer neuen Vorstößen versuchen Mobilfunkanbieter Diensten wie Netflix, Google und Co für die Nutzung ihrer Infrastruktur an den Kosten des Netzausbaus zu beteiligen. In der Politik gibt es derweil Tendenzen, ein Zwei-Klassen-Internet für bestimmte Bereiche zu ermöglichen und die Netzneutralität zugunsten eines verstärkten Wettbewerbs zu opfern.
Vor einer Woche hat die Initiative „Save the Internet“ auf der re:publica das Video „Netzneutralität tötet“ vorgestellt, in dem die Debatte über das Thema Netzneutralität sehr anschaulich dargestellt und mit einigen Fehlinformationen aufgeräumt wird. Dass noch viele dicke Bretter zu bohren sind, zeigt auch ein heute in der Wirtschaftswoche veröffentlichtes Interview mit „Digital“kommissar Günther Oettinger, der sich allem Anschein nach inzwischen vollkommen von der Idee der Netzneutralität abgewandt hat. Nachdem Oettinger Anfang März den Befürwortern einer gleichberechtigten Übertragung aller Daten noch Talibanartiges Verhalten vorgeworfen hatte, unterstreicht er in dem Interview seine Forderung, bestimmten Diensten aus dem Gesundheits- und Mobilitätsbereich Vorrang bei der Datenübermittlung einzuräumen. Der Rat der EU und das Europäische Parlament sind, wie bereits berichtet, in der Frage der gesetzlichen Verankerung der Netzneutralität gespalten. Das Parlament beharrt aber auch nach der Positionierung des Ministerates im März auf der Festschreibung der Netzneutralität.
Während Europa in der Frage auf der Stelle tritt, zeigen die jüngsten Ankündigungen und Überlegungen von Telekommunikationsunternehmen, welche Entwicklungen ohne eine gesetzlich garantierte Netzneutralität in Aussicht stehen.
Heute wurde bekannt, dass mehrere europäische Mobilfunkanbieter den Einsatz einer Software planen, die Online-Werbung auf Smartphones blockieren soll. Das ist natürlich kein selbstloser Akt der zuvorkommenden Kundendienste, sondern soll in Form eines kostenpflichtigen Zusatzservices angeboten werden. Die Maßnahme richtet sich offensichtlich gegen Internetfirmen wie Google und Netflix, deren Services davon betroffen sein würden. Zu einem späteren Zeitpunkt könnte dann „The Bomb“ gezündet werden, mit der auf einen Schlag die angezeigte Online-Werbung für alle Mobilkunden blockiert würde. Davon ausgenommen sein soll In-App-Werbung, zum Beispiel bei Facebook oder Twitter. Die Mobilfunkkonzerne begründen das Vorhaben mit den großen Datenmengen, die durch Online-Werbung anfallen und für die immer mehr Datenvolumen benötigt wird. Mit der Blockierung von Werbung sollen Firmen wie Google dazu gebracht werden, sich an den Kosten für die notwendige Infrastruktur zu beteiligen. Der Vorschlag wird als Angriff auf die Netzneutralität gewertet, da er eine Ungleichbehandlung von Datenpaketen vorsehen würde.
Streit um die Kosten des Netzausbaus
Am Rande der re:publica erteilte Netflix-Chef Reed Hastings den Telekommunikationsunternehmen in der vergangenen Woche bereits eine Absage. Diese hatten gefordert, Netflix solle sich künftig an den Kosten für den Ausbau der notwendigen Breitbandinfrastruktur beteiligen, die durch Video-on-Demand-Dienste immer stärker gefordert wären. Aktuell ist allein Netflix für ein Drittel des übertragenen Datenvolumens in den USA verantwortlich. Der Chef des beliebten Streamingdienstes lehnte die Forderung der Konzerne ab, da sie bereits vonseiten der Nutzer durch die Buchung größerer Daten- und schnellerer Internetpakete zusätzliche Einnahmen erzielen würden.
Die aktuell diskutierten Vorschläge zeigen einerseits, dass ohne eine gesetzliche Regelung der Netzneutralität dem Einfallsreichtum der Telekommunikationsunternehmen keine Grenzen gesetzt sind. Noch richten sich die Forderungen vor allem gegen die Anbieter von Online-Services und -produkten, doch eine stärkere Fokussierung auf den Verbraucher ist zu erwarten. Andererseits rückt wieder die Frage in den Mittelpunkt, wer die Kosten für den Ausbau der Breitbandnetze und den Erhalt der Infrastruktur tragen soll. Die eigentlich zuständigen Netzinhaber bringen mit ihren Forderungen nun auch die Onlinedienstleister wieder ins Spiel. Damit dieser Konflikt nicht bald schon zu Lasten der Verbraucher geht, wäre dringend die Regierungskoalition gefragt, die sich in diesem Punkt aber ebenfalls uneinig ist.
Bild: Jeremy Brooks
[…] erschienen auf politik-digital.de und steht unter CC BY-SA […]