digital europe_cropSo gerne würde Deutschland europäischer Vorreiter in Sachen Digitalisierung werden – aber wie steht es im europaweiten Vergleich aktuell tatsächlich um unsere digitalen Kompetenzen? Der von der EU-Kommission veröffentlichte Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft bescheinigt Deutschland einen Platz im vorderen Mittelfeld – und zeigt, dass zwischen den einzelnen EU-Staaten noch große digitale Lücken klaffen.

Wo in Europa sind momentan bezahlbare und schnelle Breitbandverbindungen verfügbar? Wie sicher sind die Europäer im Netz unterwegs? Wo können Behörden- und Gesundheitsdienste online abgewickelt werden und wo bestellen die Bürger lieber im Internet, statt die Geschäfte in der Innenstadt auf der Suche nach Schnäppchen abzuklappern? Aus Momentaufnahmen von Internetkompetenzen, Konnektivität, Online-Nutzung, Integration der Digitaltechnik und digitalen öffentlichen Diensten in den 28 EU-Ländern hat die EU-Kommission den Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft berechnet. Dieser klassifiziertdie europäischen Staaten nach ihrem Digitalisierungsgrad und zeigt: Die skandinavischen Länder sind in Europa die klaren Digitalisierungssieger, allen voran Dänemark mit 0,68 Indexpunkten auf einer bis 1,0 reichenden Skala.  Deutschland befindet sich mit 0,51 Indexpunkten und Rang zehn im vorderen Mittelfeld in der Gesellschaft von Irland und Litauen. Das Schlusslicht in digitaler Wirtschaft und Gesellschaft bilden vor allem südosteuropäische Länder: Bulgarien und Rumänien nehmen Rang 27 und 28 ein.

Wenig überraschend zeichnet der Index ein recht uneinheitliches Bild für Europa und zeigt, dass der Aufbau eines digitalen Binnenmarktes noch durch verschiedene Grenzen behindert wird. Dennoch: Von der Mehrheit der europäischen Bevölkerung wird das Internet regelmäßig genutzt, die Spanne reicht von 93 Prozent in Luxemburg bis 48 Prozent in Rumänien. Und auch audiovisuelle Inhalte wie Spiele oder Musik werden von der Hälfte der Europäer online heruntergeladen. Nachholbedarf besteht dagegen beim elektronischen Geschäftsverkehr, hier sind vor allem kleine und mittlere Unternehmen betroffen. Europaweit betätigen sich nur 15 Prozent von ihnen im Online-Vertrieb. Die Nutzung von Online-Formularen zur Übermittlung von Informationen an Behörden ist von Land zu Land unterschiedlich stark verbreitet. Im digitalen Musterland Dänemark nutzen beispielsweise 69 Prozent der Bürger digitale öffentliche Dienste, in Rumänien stellt dies mit nur sechs Prozent noch eine Ausnahme dar. Der europäische Durchschnitt liegt hier bei 33 Prozent. Ein noch krasserer Gegensatz zeigt sich am Beispiel von elektronischen Arzneiverschreibungen: Sämtliche estnischen Allgemeinärzte senden Rezepte in digitaler Form direkt an Apotheken, in Malta macht das bislang kein einziger. Deutschland ist mit niedrigen 15 Prozent im eHealth-Sektor ebenfalls schlecht aufgestellt.

Aufholbedarf für digitalen Binnenmarkt

Die Studie ist vor allem deshalb von aktueller Relevanz, weil die Europäische Kommission im Mai eine Strategie zur Schaffung eines gemeinsamen digitalen Binnenmarktes vorstellen möchte. Ziel der Strategie ist es, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, die es sowohl Bürgern als auch Unternehmen in Europa ermöglichen, Digitaltechnik grenzübergreifend zu nutzen. Der digitale Binnenmarkt soll in den kommenden fünf Jahren 100.000 neue Arbeitsplätze und 250 Milliarden Euro zusätzlichen Wachstum schaffen. Berechnet wurde der Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft aus 30 Indikatoren, die eine gewichtete Rangfolge ergeben. Je 25 Prozent des Gesamtwerts eines Landes sind dabei auf das Humankapital  und die Konnektivität der Bevölkerung zurückzuführen, 20 Prozent entfallen auf die Integration der Digitaltechnik, Internetnutzung und elektronische Dienste fließen mit jeweils 15 Prozent in den Index ein. Bei dem Index handelt es sich allerdings um ein flexibles Online-Instrument, Nutzer können selbst sehen, wie sich die unterschiedliche Gewichtung der Indikatoren auf die Rangfolge auswirkt.

Hierzulande misst die Initiative D21 e.V. mit dem D21-Digital-Index bereits seit 2013 die Entwicklung des Digitalisierungsgrads der deutschen Bevölkerung – und kam trotz unterschiedlicher Operationalisierung genau wie die EU-Kommission zu dem Ergebnis, dass Deutschland einen mittleren Digitalisiterungsgrad aufweist. Durchschnittlich verbringen die deutschen Internetnutzer demnach täglich drei Stunden online, Cloud-Anwendungen finden mehr und mehr Zuspruch und eCommerce wird von zwei Dritteln der Deutschen regelmäßig genutzt. Große Unterschiede gibt es nach wie vor im Hinblick auf Alter, Geschlecht und Region – insgesamt bewegen sich erst 37 Prozent der Deutschen souverän im Netz. Der Präsident der Initiative D21, Hannes Schwaderer, begrüßte die erstmalige europaweite Einordnung und betonte, dass Deutschland noch viel tun müsse, um eine Vorreiterrolle als digitaler Wirtschaftsstandort einzunehmen. Aufholbedarf bestehe vor allem bei digitalen Verwaltungsangeboten sowie bei der Offenheit gegenüber neuen Technologien und Anwendungen.

Foto: Eric Fischer

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