„Wir sind das Volk“ hallt es tausendfach durch das Netz. Es sind die Stimmen gleichgesinnter, aber meist unter sich bleibender Menschen, die kontinuierlich verstärkt und wiederholt werden. Der „Echokammereffekt“ erschwert den Austausch gegensätzlicher Standpunkte und fördert die Radikalisierung – nicht nur im Fall der Pegida-Diskussion in den sozialen Netzwerken.

 

Man könnte meinen, dass Menschen sich durch Diskussion einander annähern. Dass sie die Meinung des Anderen reflektieren, seinen Standpunkt zu verstehen versuchen, ja hin und wieder sogar ihre Meinung ändern. Liest man sich durch die hitzigen Debatten zu Pegida, die trotz abnehmender Demonstrantenzahlen noch immer auf Facebook geführt werden, merkt man schnell, wie falsch man mit dieser Annahme liegt – denn eine Diskussion mit gegensätzlichen Argumenten existiert nicht. Prof. Dr. Christoph Bieber vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Duisburg-Essen sieht den Grund dafür hauptsächlich in der Organisation des Protests fast ausschließlich über soziale Netzwerke, die eine wesentlich engere Bindung zwischen Informationsanbietern und -nutzern zur Folge hat: „In der Fülle der Unterstützer gehen anderslautende Meinungen unter und werden kaum oder gar nicht wahrgenommen. Auf die Abschottung folgt eine Polarisierung und auch Radikalisierung des politischen Diskurses“.

„Echokammer“ oder „Informationskokon“ nennt der amerikanische Rechtswissenschaftler Cass Sunstein das Phänomen, sich nur mit Menschen zu umgeben, die die eigene Meinung teilen. Abgeschirmt von äußeren Einflüssen, anderen Meinungen und kontroversen Standpunkten gelangen nur Bruchstücke der Realität ins Innere des eigenen Kokons, unangenehme Begegnungen können weitestgehend vermieden werden. „Patriotische Europäer” treffen auf andere „patriotische Europäer”, pluralistische Weltbürger auf pluralistische Weltbürger. Fehleinschätzungen bei Gruppendiskussionen werden dadurch reproduziert, die Meinung der Teilnehmer ist nach einer Diskussion meist extremer als zuvor. Denn alleine mögen wir unsicher bezüglich unseres Standpunkts sein – sobald wir jedoch Bestätigung durch Andere erfahren und weitere Argumente für den eigenen Standpunkt geliefert bekommen, werden wir selbstsicher – und entwickeln unweigerlich eine radikalere Meinung.

Fakten und fremde Meinungen? Fehlanzeige

Schöner könnte man die Theorie der Echokammer nicht stützen als mit den Links, Posts und Kommentaren, die auf der Pegida-Facebookseite zu finden sind. Dort stößt man auf das Video des Imam Sheikj Abdel Moez al Eila, der predigt, dass sich eine Frau einem Mann nicht verweigern darf, oder auf einen Artikel über die vergewaltigten Mädchen in Rothenham, deren Peiniger größtenteils ausländischer Herkunft waren. Kein Wort dagegen über die Zahlen und Fakten, die belegen, dass viele Einwanderer hoch gebildet sind und die deutschen Sozialkassen auffüllen, statt sie zu plündern; dass Deutschland eine vergleichsweise geringe Zahl an Flüchtlingen aufnimmt und dass es sich bei den Zuwanderern – im Gegensatz zu vielen Pegida-Anhängern – größtenteils um Christen handelt. Um sich mit diesen Tatsachen auseinanderzusetzen, müsste man die eigenen Ansichten hinterfragen – wie unangenehm. Einfacher ist es natürlich, sich gegenseitig aufzuhetzen und in seiner kaum begründeten Hilflosigkeit zu bestärken. Finden doch einmal Informationen ihren Weg ins Forum, die nicht so recht ins Pegida-Weltbild passen wollen, werden sie als unwahr abgetan. „Fake“ und „Lügenpresse“ steht dann in großen Lettern und unter exzessivem Gebrauch von Ausrufezeichen unter den Bildern.

Trotz Abschottung: Prof. Dr. Bieber beobachtet, dass die Echokammern in gewisser Weise auch gläsern sind, denn die verbreiteten Inhalte sind auch für die Pegida-Gegner offen sichtbar und werden von diesen weiterverbreitet. „So entsteht zwar keine Kommunikation zwischen den Lagern, aber das Thema erfährt eine enorm schnelle Verbreitung und führt vielleicht auch zu verstärkten Gegenreaktionen. Gänzlich unverbunden sind die Pediga-/NoPegida-Lager im Netz also nicht, aber sie kommunizieren so gut wie nicht direkt miteinander”, erklärt Bieber. In der gläsernen Echokammer wird nicht nur sichtbar, was die Pegida-Anhänger fordern, sondern auch wer sie sind und wie sie ticken. Actionfilme, Verschwörungstheorien, Mario Barth und rechtsextreme Gruppierungen – laut einer Zeit Online-Analyse von Facebookdaten ist das die Pegida-Welt.

Bereits Anfang der 1990er Jahre prägte der amerikanischen Informationstheoretiker Nicolas Negroponte das Konzept des „Daily Me”: In einem speziell für uns angefertigten Infopaket erhalten wir Tag für Tag nur die Informationen online, die in unser persönliches Profil passen – und die unsere Vorurteile bestärken. So schaffen wir uns einen eigenen Zugang zur Welt, die wir uns so machen, wie sie uns gerade gefällt. Im Internet sind es nicht nur die sozialen Netzwerke, die uns bestätigend auf die Schulter klopfen. Auch Suchmaschinen präsentieren uns keine unverzerrten Informationen, sondern genau das, was wir gerne lesen möchten – anhand von früheren Anfragen personalisieren sie unser Suchergebnis.
Deshalb ist Sunstein der Meinung, dass ungeplante Begegnungen für einen politischen Diskurs unabdingbar sind. Genau diese werden in einem Internet, das mit Algorithmen unser Verhalten analysiert, aber immer seltener. Andererseits verbietet uns niemand, differierende Websites zu besuchen. Nur: Tun wir das auch? Und wissen wir überhaupt um deren Existenz?

Es gibt auch Studien, die Zweifel an Sunsteins Theorie der Echokammer aufkommen lassen. Der Facebook-Experte Eytan Bakshy konnte jüngst zeigen, dass auf Facebook insbesondere die Informationen von entfernten Bekannten einen großen Einfluss haben. Zwar fand er konsistent mit der Theorie der Echokammer: Je enger man mit einer Person auf Facebook befreundet ist, desto eher teilt man deren Links. Aber: Wir teilen auch die Informationen, die von unseren „schwachen Beziehungen” kommen – auf die wir außerhalb von Facebook nicht gestoßen wären und die uns zu Websites führen, die wir normalerweise nicht besuchen.

Da wir in unserem Facebook-Netzwerk deutlich mehr schwache als starke Beziehungen haben, sind flüchtige Bekannte im Aggregat demnach viel einflussreicher als gute Freunde. Folgt man Bakshys Argumentation, stoßen wir durch entfernte Bekannte also immer wieder auf Argumente, die uns bislang fremd waren – und die uns vielleicht ins Grübeln bringen. Ob die Pegida-Diskussion dieser Logik folgt, ist jedoch fraglich. Mit Tools lassen sich Pegida-Anhänger aus der Freundesliste entfernen, und auch diese lassen deutlich durchblicken, dass sie an einem Austausch nicht interessiert sind. Gegensätzliche Meinungen haben es somit schwer, Einzug in die Facebook-Timeline zu halten. Und sind nicht selbst unsere entfernten Facebook-Freunde meist ähnlicher Ansicht wie wir selbst? Möglich, dass sie uns Websites präsentieren, auf denen wir normalerweise nicht unterwegs sind – unsere Meinung spiegeln diese vermutlich aber trotzdem mehr oder weniger wieder.

Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt

Und selbst wenn wir doch unterschiedlichen Informationen und Meinungen ausgesetzt sind, bedeutet das noch lange nicht, dass wir sie auch glauben –- Menschen sind äußerst geschickt darin, Tatsachen nach ihrem Gusto zu verdrehen. Auf die Interpretation kommt es an! Sunstein spricht hier von verzerrter Informationsaufnahme. Denn unserer Meinung widersprechende Argumente und Standpunkte führen keinesfalls dazu, dass wir unsere Ansichten überdenken, nein, das Gegenteil ist der Fall. Studien konnten zeigen, dass sich die Meinungen von Probanden zu einem bestimmten Thema sogar verstärken anstatt sich abzuschwächen, wenn man ihnen ausgewogene Pro- und Contra-Argumente präsentiert. Der Grund: Widersprüchliche Informationen werden verworfen, die Quelle zum Beispiel als unseriös abgetan. Unterstützende Informationen dagegen werden als Argumente für den eigenen Standpunkt gewertet. Für die Pegida-Diskussion in den sozialen Netzwerken hätte das verheerende Folgen. Selbst wenn Pegida-Anhänger und -Gegner Argumente und Informationen austauschen, würden sich die jeweiligen Meinungen am Ende nur noch verstärken. Ist also alle Hoffnung auf Diskurs vergebens, weil wir um jeden Preis an unserer Meinung festhalten?

Nein. Wir fangen an, an uns und unserer Meinung zu zweifeln, wenn Gegenargumente von einer Quelle kommen, die nicht einfach als unseriös, verzerrt und falsch abgetan werden kann. Tricky ist allerdings wiederum, dass eine Quelle dann als authentisch wahrgenommen wird, wenn sie uns ähnlich ist – hier können selbst banale Dinge wie der Geschmack oder das Aussehen eine Rolle spielen. Dass Pegida-Anhänger allgemein als seriös geltende Quellen wie der Süddeutschen Zeitung oder dem Spiegel keinen Glauben schenken, skandieren sie auf höchst uncharmante Weise. Sunsteins Theorie folgend wäre ein Meinungsumschwung also nur dann möglich, wenn jemand aus den eigenen Reihen anfängt zu zweifelen. Auch deshalb wird es spannend sein zu sehen, wie sich die Bewegung nach der Distanzierung der zurückgetretenen Pegida-Sprecherin Kathrin Oertels vom ehemaligen Vorsitzenden Lutz Bachmann in den kommenden Wochen weiterentwickelt – wie es momentan aussieht, könnte das schon das Ende der Bewegung gewesen sein. Denn um es mit Sunsteins Worten zu sagen: „Was am meisten zählt ist nicht, was gesagt wird, sondern wer es sagt”.

Bild: Caruso Pinguin

CC-Lizenz-630x1101

Privacy Preference Center