Mit dem Ziel, sich mit den dringenden Fragen der Digitalisierung im ländlichen Raum zu beschäftigen, hat eine interdisziplinäre Expertengruppe des Internet und Gesellschaft Co:llaboratory ihre Ergebnisse vorgestellt. Zeitgleich startete das Mitmach-Portal „Smart Country“, das zur Beteiligung einlädt. Die Initiative macht deutlich: Die Debatte um Smart Country hat eben erst begonnen.
Die Initiative „Smart Country – Digitale Strategien für Regionen“ des Co:llaboratory stellte seine Ergebnisse in einem öffentlichen Abschlussworkshop in der vergangenen Woche vor und lud weitere Experten und Interessierte nach Berlin ein. In seiner einführenden Keynote stellte Prof. Peter Liggesmeyer, Präsident der Gesellschaft für Informatik und wissenschaftlicher Leiter des Fraunhofer IESE, die Informatik als zentrale Querschnittstechnologie für ländliche Gebiete und Industrie 4.0 dar. Die ländlichen Bereiche seien aufgrund ihrer geringen Einwohnerzahl Herausforderung und Chance zugleich für die Industrialisierung 4.0, bei der die Informationstechnik zum „zentralen Enabler“ werde. Themen wie Arbeit, Mobilität und Gesundheit gehören laut Liggesmeyer zu den Fragen im ländlichen Bereich, die mit smarten Ansätzen gelöst werden können. Es gehe darum, verschiedene Systeme und Dienste anzubieten, die autonom organisiert und miteinander vernetzt werden sollten. Liggesmeyer sieht in der erfolgreichen Weiterentwicklung dieses Themas ein „hervorragendes Exportmodell“, welches aber noch weiterer Forschung bedürfe.
Wichtige Herausforderungen für sehr unterschiedliche Themen
Die Ergebnisse der Expertenrunden, die sich mit den Themen Politik/Verwaltung, Energie/Umwelt, Wertschöpfung, Gesundheit/Pflege, Mobilität/Infrastruktur und Bildung beschäftigten, zeigen die vorhandenen Ansatzpunkte und Defizite im Themenfeld Smart Country auf. Digitalisierung sei nicht nur eine Frage der Technik, sondern auch „eine Frage der Haltung“, so Anke Knopp (Bertelsmann Stiftung) von der Arbeitsgruppe Politik und Verwaltung. Sie wünscht sich, dass Politik und Verwaltung nicht alleine, sondern gemeinsam mit den Bürgern eine Verbreitung der Digitalisierung im ländlichen Raum anstreben.
Im Bereich der Energie und Umwelt sei mit der Energiewende die Digitale Agenda der Bundesregierung in Ansätzen in ländlichen Gebieten angekommen. Diese seien inzwischen sogar größtenteils verantwortlich für die Energieversorgung Deutschlands. Auch die Elektromobilität befindet sich laut Jan Schoenmakers (EWE) erst im Aufbau, nimmt aber als touristisches Thema in den ländlichen Bereichen zu. Für eine positivere Wertschöpfung empfiehlt die gleichnamige Arbeitsgruppe unter Leitung von Kai Gildhorn (Mundraub.org) und Aylin Ünal (Berliner Informationsdienst), vorhandene Strukturen vor Ort zu nutzen und das Gespräch außerhalb der Internetblase zu suchen. Im Bereich der Pflege seien ein Ende der „e-Government-freien Zone“ und die Verbesserung der Internetaffinität auf Seiten der Pfleger und der Gepflegten notwendig, fasst Willi Kaczorowski die Ergebnisse seiner Arbeitsgruppe zusammen. Michael Lobeck vom Geographischen Institut der Universität Bonn fordert, dass Bildung im ländlichen Raum als Vor-Ort-Ressource künftig attraktiver gemacht werden müsse.
Handlungsbedarf: Grundlagen müssen geschaffen werden
In der anschließenden Paneldiskussion sieht Franz-Reinhard Habbel, Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Kooperation und Infrastrukturvernetzung im ländlichen Raum als wichtige Ansatzpunkte, um die Landflucht der Bevölkerung zu verhindern. Der „Schlüssel“ dafür seien Open Data und – damit verbunden – Open Government, was aber Zeit brauchen werde, um sich weiter durchzusetzen. Bereits jetzt versucht das Projekt “Code4Germany”, vertreten durch Julia Kloiber, in verschiedenen Städten Experten in sogenannten Labs zusammenzubringen, um auf vorhandene Open Data-Projekte aufmerksam zu machen und Verwaltungen und Nutzer zu vernetzen.
Für Fabien Nestmann, Manager der Online-Plattform Uber, ist es eine Herausforderung, Mobilitätslösungen in weniger besiedelte Gebiete zu bringen. Die App von Uber funktioniere in Großstädten und könne ein privates Auto zum Bus werden lassen – dies setze aber eine gewisse Dichte an Fahrern voraus, die in ländlichen Gebieten nicht immer gegeben sei. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Saskia Esken sieht in der Digitalisierung große Chancen für die Bildung, die bisher nicht genutzt würden, da Schulen sich der Aufgabe nicht stellten. Anstatt „bring your own device“ sei aktuell eine „don’t bring your device“- Attitüde vorherrschend. Um die Digitalisierung mitzugestalten, sei an den Schulen ein Umdenken nötig. Die Schulen müssten sich, so Esken, für die Digitalisierung öffnen, und das Lehrpersonal müsse entsprechend geschult werden, damit die jetzige Schülergeneration zum Vordenker ihrer Zeit werde.
Die 10. Initiative des Internet und Gesellschaft Co:llaboratory hat eine Menge Denkanstöße für die Digitalisierung des ländlichen Raums gegeben, die zum Teil weitgreifende Veränderungen verlangen. Für die Umsetzung dieser Ideen gilt es zunächst, eine Vielzahl an Hürden zu bewältigen. Mehrfach wurde auf der Veranstaltung betont, dass die Debatte um „Smart Country“ eben erst beginne. Mit der Präsentation der Ergebnisse und dem Launch der interaktiven Plattform “Smart Country” hat das CoLab einen Anfang gemacht, der nun genutzt werden sollte, um die Debatte von der Hauptstadt in das Smart Country zu bringen.
Foto: Earl Wilkerson