Mitmachen lassen anstatt über die Köpfe von Kunden und Beteiligten hinweg zu entscheiden – das Prinzip der Partizipation an Entscheidungsprozessen setzt sich in Politik und auch in der Wirtschaft immer mehr durch. Und das hat ganz handfeste Gründe: Entscheidungen, die gemeinsam mit den Mitwirkenden getroffen werden, werden eher akzeptiert, und das spart der Organisation Zeit und damit Geld. Nina Galla hat sechs Faktoren für erfolgreiche Mitmach-Projekte im Internet zusammengestellt.
Die Einbeziehung aller Stakeholder bringt den Initiatoren von Online-Partizipationsangeboten im Idealfall nicht nur Zeit und Geld. Darüber hinaus gewinnt ein Unternehmen oder eine Behörde wertvolle Erkenntnisse über die Menschen, mit denen oder für die es aktiv wird: Auch wenn es manchmal Ablehnung und Kritik gibt – das direkte Feedback der Beteiligten ist unschätzbar wertvoll, denn es zeigt Schwachstellen im Konzept auf, die noch nicht ausreichend bedacht wurden. Vor allem online lassen sich Abstimmungen, Vorschläge und Meinungen besonders gut einholen, da die internetbasierten Befragungen eine hohe Reichweite und daher eine hohe Teilnahmequote erreichen können. Zudem ist es für den Stakeholder selbst sehr einfach: Bürger und Mitarbeiter können mit wenig Aufwand innerhalb weniger Minuten von der Couch aus oder in der Mittagspause Prozesse mitgestalten und Entscheidungen beeinflussen. Ganz moderne Plattformen erlauben sogar die Partizipation vom Smartphone aus. Einfache Beteiligung und hohe Reichweite öffnen zwar auch die Türen für Gegner-Kampagnen, so wie es jetzt der EU-Handelskommissar De Gucht während der Konsultation zum Handelsabkommen TTIP erleben konnte, dennoch überwiegen die Vorteile. Insbesondere öffentliche Institutionen werden auch zukünftig stärker auf Partizipation setzen müssen. Daher haben einige Städte und Kommunen auch schon eigene Handbücher mit Leitfäden für eine gelungene Bürgerbeteiligung aufgelegt. Das Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft hat in einer aktuellen Studie untersucht, wer denn überhaupt Online-Partizipationsangebote nutzt und welche Formate am meisten Zuspruch finden: Die Ergebnisse sind leider noch nicht überraschend, geben aber Aufschluss darüber, wie Mitmach-Projekte im Internet zu gestalten sind, um attraktiv zu sein.
Je jünger, je doller
So erstaunt nicht, dass die Zielgruppe der 18- bis 34-Jährigen am aktivsten ist, wenn es um die Wahrnehmung von Online-Partizipation geht. Die jüngere Generation ist einfach größtenteils online-affiner. Ältere Semester können vor allem bei der politischen Partizipation noch aufholen: Da Senioren oft mehr Zeit haben, sehr erfahren sind und nicht selten erst als Rentner anfangen, sich politisch zu betätigen, kann das Internet ihnen hier eine bequeme Spielwiese für das Engagement bieten.
Bildungsgrad entscheidet über Beteiligung – nicht das Einkommen
Je gebildeter, desto aktiver: Online bildet sich ab, was auch schon offline zu beobachten ist. Wer besser gebildet (und besser informiert) ist, macht auch mehr mit. Das kann damit zu tun haben, dass der bessere politische Überblick dafür sorgt, gesellschaftliche Problemstellungen eher zu erkennen, aber auch damit, dass es sich einfach besser und leichter entscheiden lässt, wenn man gut informiert ist. Diese Spaltung zeigt jedoch gleichfalls, dass Beteiligungsangebote so gestaltet werden müssen, dass auch niedrigere Bildungslevel einbezogen werden. Denn gerade politische Entscheidungen betreffen meist alle Anwohner oder Bürger, unabhängig vom Schulabschluss. Das Einkommen hingegen hat keinen Einfluss auf den Beteiligungsgrad.
Online-Petition ist am beliebtesten …
… und am bekanntesten – kein Wunder: Diverse Anbieter jagen fast täglich immer neue E-Petitionen durch die sozialen Netzwerke und E-Mail-Postfächer. Das Anliegen ist immer dringend, fast immer wird eine Mehrheit emotional angesprochen und mit nur einem Klick ist man meist dabei. Betroffenheit und niedrigschwellige Teilhabe sind hier die Erfolgsfaktoren, zumindest was das Mitmachen angeht. Lediglich das E-Petitionsportal des Bundestags ist ein wenig komplizierter.
E-Mail für Sie, Herr Minister
Die Möglichkeit, den Abgeordneten direkt zu kontaktieren, ist zwar bekannt, wird aber eher wenig genutzt. Das ist schade, denn hier liegt ein verborgenes Potenzial der direkten Einflussnahme auf die Meinungsbildung eines Politikers. So ist der eigene Wahlkreis für den in Berlin arbeitenden MdB von sehr hoher Bedeutung. Dem Abgeordneten ist daran gelegen, insbesondere die Nachbarn von Zuhause hinter sich zu wissen.
Politisches Networking
Hier ist eine Diskrepanz erkennbar zwischen Interesse und tatsächlicher Beteiligung. Das Interesse ist zwar durchaus vorhanden, aber es führt nicht zwangsläufig zum Mitmachen. Das kann daran liegen, dass es bei den meisten Parteien erforderlich ist, sich zu registrieren, um online zu kommentieren oder sich gar in Netzwerken digital auszutauschen. Hier die Zugangshürden zu senken, kann die Beteiligung am Austausch erhöhen.
Mitmachen bei Unternehmen: Crowdfunding und Crowdsourcing
Auch die private Wirtschaft setzt zunehmend auf Mitmachen: Die Bandbreite reicht vom IKEA-Prinzip des Möbel-Selber-Zusammenbauens bis hin zu Unternehmen, die ihre Kunden sich gegenseitig helfen lassen, um dabei den Kundendienst einzusparen. Die Grenzen zwischen moderner Kommunikation mit der und über die Crowd auf der einen Seite und Ausbeutung auf der anderen Seite sind fließend. Jedoch haben viele der Befragten großes Interesse an Crowdfunding, bei dem der Kunde ein Unternehmen vorfinanziert, um dann erst später in den Genuss einer Dienstleistung oder eines Produkts zu kommen, wenn denn genügend Geld für das Unternehmen zusammengekommen ist. Das Risiko liegt hier bei nahezu Null, denn kommt die erforderliche Summe nicht zusammen, wird das vorgestreckte Geld zurückgezahlt. Nur wenn am Ende nicht das herauskommt, was der Geldgeber sich erhofft hat, kann es zu Enttäuschungen kommen. Das Konzept ist noch recht neu und boomt gerade: Hoffen wir, dass es sich nicht selbst überstrapaziert. Dem Interesse entgegen steht derzeit noch die widersprüchliche Aktivität: Denn trotz des Interesses und der Neugier auf das Innovative können sich nur wenige Menschen durchringen, tatsächlich auch zu zahlen. Wer auf diese Art Geld eintreiben will, benötigt also ein schlüssiges Konzept, Überzeugungskraft und idealerweise schon eine starke Basis-Community, die das Anliegen möglichst weit in die Welt hinaus trägt und für die ersten Euro auf dem Konto sorgt. Das schafft Vertrauen. Crowdsourcing, bei dem Unternehmen kein Geld, aber Ideen und damit Arbeitskraft der Community einsammeln, sind ebenso beliebt: Je kreativer die Community dabei werden muss, desto besser. Ausgeschriebene Preise erhöhen die Motivation zum Mitmachen zusätzlich. Hier teile ich die Bemerkung des Humboldt Instituts, dass die Politik in Sachen Motivation von der Wirtschaft lernen kann: Wenn Behörden und Kommunen ihre Beteiligungs-Formate kreativ und mit Belohnungen hinterlegen, können auch sie noch höhere Quoten erreichen. Insgesamt kennt die Hälfte der Befragten mindestens ein Partizipationsangebot, davon haben zwei Drittel auch schon bis zu zwei Formate einmal ausprobiert. Nur knapp ein Viertel hat schon der bis vier Angebote genutzt. Hier ist also noch Luft nach oben. Vor allem Frauen sind mal wieder unterrepräsentiert: Für das Klischee des jungen, gebildeten Mannes, der in der Politik aktiver ist, gibt es im geschützten Online-Bereich kein Argument mehr.
Entscheidend für den Erfolg von Partizipationsformaten sind außerdem diese 6 Faktoren:
Zielgruppenanalyse: Wer ist beteiligt und wie nutzen diese Menschen Medien? Gegebenenfalls ist das Online-Angebot auf Offline-Kanäle auszuweiten, denn Menschen nutzen Medien je nach Thema und Anlass unterschiedlich. Ein breites Angebot an Zugang zur Partizipation sichert eine umfassende Teilnahme und schließt niemanden aus. Erwartung: Darf der Beteiligte nur Hinweise und Meinung abgeben oder hat er echten Einfluss auf den Verlauf des Projekts? Um Enttäuschungen und Wut zu vermeiden, muss eindeutig klargemacht werden, wie weit die Beteiligung geht und wo ihre Grenzen sind. Außerdem muss der Rahmen des Einflusses klar sein: Liegen die Pläne eigentlich schon ziemlich fest vor und kann der Beteiligte nur noch minimal optimieren oder ist das Verfahren tatsächlich ergebnisoffen? Organisationen, die hier Mut beweisen, gehören zu den Gewinnern. Mechaniken, die maximalen Einfluss zulassen, ohne die Entscheidung ganz aus der Hand zu geben, können auch eingesetzt werden. Informationen bereitstellen: Nur gut informierte Beteiligte beteiligen sich auch gut – werden wichtige Hintergründe verschwiegen oder Pläne zurückgehalten, kann der Beteiligte nicht aufgeklärt entscheiden. Das kann später zu Ärger führen. Information ist ebenfalls eine Art von Beteiligung: Auch wenn der Informierte nicht aktiv mitmacht, kann er mit Anderen über das Projekt reden und sie dadurch gegebenenfalls zum Mitmachen motivieren. Zu einer guten Informationsstrategie gehört auch die rechtzeitige Ankündigung, dass überhaupt etwas abgestimmt werden kann. Rechtzeitige und gute Öffentlichkeitsarbeit ist das A und O. Einfach gestalten: Gerade komplexe Sachverhalte müssen sprachlich so einfach dargestellt werden, dass der bisher Uninformierte sich schnell einen umfassenden Überblick über die Thematik verschaffen kann. Dazu gehören der Verzicht auf Fachsprache, stattdessen kurze Sätze und idealerweise Visualisierungen. Die leichte Auffindbarkeit und angemessene Informationsmengen, die nicht überfordern, sollten dabei genauso selbstverständlich sein wie technisch niedrigschwellige Plattformen. Nachbereitung: Was passiert mit all den Beiträgen, die idealerweise online und offline gesammelt werden? Wer andere beteiligt, muss sich rechtzeitig vorher Gedanken machen, wie Gespräche moderiert werden, Hinweise verarbeitet und Ergebnisse kommuniziert werden, damit derjenige, der Zeit in die Beteiligung investiert, sich nicht allein gelassen fühlt. Emotionen: Fakten allein überzeugen nicht jeden – vor allem bei Infrastrukturprojekten wie dem Stromnetzausbau müssen sich Unternehmen und Politik auf starke Emotionen der Bürger einstellen. Vor allem Ängste vor gesundheitlichen Risiken sowie Sorgen um Wertverlust bei Häusern und Grundstücken sind sensibel zu begegnen und erfordern andere Kommunikationskompetenzen als die Beruhigung einer wütenden Bürgerinitiative.
Beteiligung ist eine Geisteshaltung
Ein wichtiger Hinweis zum Schluss: Beteiligung ist zeit- und kostenintensiv. Sie sollte jedoch als Investition gesehen und nicht von Quoten abhängig gemacht werden. Auch wenn die Zahlen zunächst unbefriedigend sind, ist zu bedenken, dass auch Partizipationsangebote gegen starken Wettbewerb aus Information und Unterhaltung ankämpfen. Sich der Beteiligung zu öffnen, ist eine Geisteshaltung, von der sowohl die Images von Politik als auch Wirtschaft nur profitieren können. Ist die Partizipation gut gestaltet, ist sie ein Gewinn für beide Seiten.
Teaserfoto: Dominic Alves