„Warum sollten wir Google als Nachrichtenquelle mehr vertrauen als der Stadtbibliothek? Immerhin ist Google nichts weiter als ein Werbekonzern“. Die US-amerikanische Netzkritikerin Astra Taylor stellt in ihrem Buch „The People’s Platform“ die Welt des freien Internets auf den Kopf. Sie behauptet: Das gibt es gar nicht mehr. Und fordert ein demokratisches Gegengewicht.
Das Internet ist eine Verheißung. Glauben wir. Es soll die Menschen, die es nutzen, unabhängiger, demokratischer und freier machen. Es soll Teilhabe in allen Lebensbereichen ermöglichen, Partizipationshürden abbauen, die Effizienz erhöhen und Transparenz schaffen. Jede Stimme kann gehört werden. Kaum ein Versprechen, das der digitalen Welt in den vergangenen 20 Jahren nicht zugeschrieben wurde.
Nicht erst in den letzten Jahren sind viele dieser Heilsvermutungen korrigiert oder eingeschränkt worden. Die Politikwissenschaft lehrt uns: Im Internet engagieren sich nicht vollkommen andere Menschen als in der analogen Welt, und auch nicht mehr als vorher. Der klassische Aktivist ist jung, gut gebildet und männlich – im Internet ebenso wie in der realen Welt.
Stichworte wie „digitale Demenz“ schüren den Blick für die Risiken einer digitalisierten Gesellschaft. Der kürzlich verstorbene Frank Schirrmacher war zumindest für Deutschland der vermutlich prominenteste Vertreter einer feuilletonistischen Debatte, die er selbst einmal unter der These auf den Punkt brachte: „Das Internet vermanscht unser Gehirn.“
Das Internet frisst seine Kinder
Neu ist jedoch, dass sich in der Netzdebatte vermehrt kritische Stimmen melden, die bisher nicht unbedingt im Verdacht standen, nostalgische Technikfeinde zu sein. Die kanadisch-amerikanische Dokumentarfilmerin und Occupy-Unterstützerin Astra Taylor ist eine davon. Sie gehört zur viel beschworenen Gruppe der Digital Natives und kann deswegen so exemplarisch schreiben für eine Generation, die das Gefühl hat, ihr einstiges Zuhause beginne sie aufzufressen. Und ihre Argumentation vermeidet geschickt allzu bipolare Zuordnungen à la Schirrmacher. Für sie ist das Internet nicht der drohende Untergang des Abendlandes. Ihre Botschaft ist subtiler: Eine Technologie allein bewirkt noch keinen gesellschaftlichen Wandel in die eine oder andere Richtung. Entscheidend seien die zugrunde liegenden wirtschaftlichen und politischen Kräfte. Das Internet ist also, was man draus macht.
In einem Interview zu ihrem im Frühjahr dieses Jahres bislang nur auf Englisch erschienenen Buch „The People’s Platform – Taking Back Power and Culture in the Digital Age“ äußerte Taylor ihre Vermutung, die Netzdebatte sei deswegen öffentlich nur wenig wahrnehmbar, weil sie hauptsächlich von Männern im fortgeschrittenen Lebensalter geführt werde. Nicht nur aus diesem Grund sollen ihre Positionen hier ausführlicher vorgestellt werden.
Das Internet als Zwei-Klassen-Gesellschaft
Astra Taylor zufolge waren an der Schaffung des World Wide Web verschiedenste Akteure beteiligt: akademische, staatliche und auch privatwirtschaftliche. Dabei finanzierte die öffentliche Hand zwar die Entwicklung der Technologie, den Profit machen heute aber andere.
Die Kräfte, die im Internet wirken, sind in erster Linie ökonomischer Natur. Das Internet liegt laut Taylor zu einem Großteil in der Hand von Monopolisten, und vornehmlich ihre Interessen treiben die Debatten, die um es geführt werden. Oder warum diskutieren wir über Datenschutz und Privatsphäre, fragt Taylor. Weil beide zu verletzen sich für einige in barer Münze auszahlen kann. Das Internet ist das weltweit erste Medium, das jedem verspricht, mitreden zu dürfen. Aber es wird längst nicht jeder gehört. Die Realität wird nicht mit OpenOffice programmiert und von der Schwarmintelligenz korrigiert. Sie liegt in den Algorithmen der großen Kinder auf dem Spielplatz, und ihre Namen sind Google, Facebook, Amazon, Apple und wenige mehr.
Die „Global Players“ prägen auch die Sprache, mit der wir über das Internet sprechen können: Die Worte Transparenz, Offenheit und Partizipation kommen uns im Kontext des Internets wie selbstverständlich vor. Dabei wird kaum noch bedacht, dass keiner der Begriffe per se demokratischen Fortschritt bedeutet. Die Fragen müssten lauten: Transparenz wovon? Offenheit wofür? Partizipation bei was? Taylor führt uns einen gewaltigen Irrtum vor Augen. Sie analysiert, dass bestimmte Internetkonzerne über mehr Macht verfügen können als Staaten.
„Google ist weniger Befehlsnehmer als Partner der Politik“, so bestätigte CDU-Generalsekretär Tauber diese These erst kürzlich. Der entscheidende Unterschied zwischen demokratischen Staaten und Konzernen sei jedoch, so Taylor, dass erstere ihren Bürgern Rechenschaft schuldig sind und letztere ihren Shareholdern.
91 Prozent Marktanteil für Google
Für die Dominanz von einigen Wenigen im Netz führt Taylor eindrückliche Beispiele aus den USA an. Doch auch für Deutschland lässt sich diese These stützen: Facebook liegt den Nutzerzahlen zufolge klar auf dem ersten Platz der sozialen Netzwerke in Deutschland. Hinzu kommt aber: Facebook hat auch mehr als sechsmal so viele Besucher wie der Zweitplatzierte Xing. Googles Marktanteil bei den Suchmaschinen liegt in Deutschland bei über 91 Prozent. Die vier Konzerne Apple, Google, Amazon und Facebook sind gemeinsam fast so viel wert wie alle im DAX gelisteten Unternehmen.
In der übersichtlich gestalteten Facebook- oder Google-Welt finden die Nutzer sich zurecht, die Online-Rundumpakete sind wie übersichtlich und hübsch angelegte Gärten inmitten des chaotischen, heterogenen „Waldes“ Internet. Ihre Inhalte vermitteln Vollständigkeit, und in der Folge stellen sich immer weniger Nutzer die Frage, wonach sich Relevanz oder Verfügbarkeit hier eigentlich bemessen. Und dabei entscheiden diese Parameter über Wohl und Wehe aller alternativen Webangebote. Was nicht geliked wird und als Suchergebnis schlicht nicht auftaucht, das existiert in der Logik dieses Internets auch nicht.
Und dabei scheint eine Mehrheit der Nutzer zunehmend zu verdrängen, dass keines dieser Internetangebote kostenlos ist: Dienst gegen Daten, so lautet der Deal. Google führt Nutzerdaten aus allen seinen Angeboten zusammen, ohne darüber zu informieren. Derselbe Konzern liest den Inhalt seiner Mailingdienste aus. Im Jahr 2010 wurde genau das von Google noch dementiert.
Die neue Ordnung
Astra Taylor beschreibt im Kern also Dynamiken, die aus der Marktwirtschaft gut bekannt sind: Das Fehlen jeder Regulierung führt zu Monopolisierung, behindert den Wettbewerb und verlangt von anderen Marktakteuren, sich den Spielregeln der Stärkeren unterzuordnen. Wenige Gewinner und viele Verlierer, die Reichen werden reicher – wirtschaftliche Binsenweisheiten.
Ein zentraler Satz aus Taylors Buch besagt ironisch, dass die vermeintliche neue Ordnung, die das Internet vorgibt herzustellen, doch eigentlich verdächtig wie die alte aussieht.
Das Internet ist kein luftleerer Raum, kein Sonderfall, der sich den Spielregeln des weltweiten Wirtschaftssystems einzig auf Grund seiner technischen Beschaffenheit entziehen würde. Es ist die Übersetzung existierender Ungleichheiten auf eine andere Ebene: Diejenigen, die sich offline durchsetzen, tun das auch online.
Mit ihren Thesen ist Astra Taylor im US-amerikanischen Diskurs nicht alleine. Aus der Wissenschaft mehren sich Stimmen, die davor warnen, im Kontext des Internets die dahinter liegenden Gewinninteressen von Menschen zu vergessen. Die Harvard-Professorin Shoshana Zuboff bringt dies in einem Gastbeitrag für die FAZ treffend auf den Punkt: „Technology isn’t destroying jobs, people are“. In einem weiteren Artikel beklagt sie zudem, dass Unternehmen wie Google an einem Narrativ stricken, das die Grenzen aufweicht zwischen dem, was gut ist für Google und dem, was gut ist für das Internet. Zwischen beidem sei aber klar zu unterscheiden.
Die großen Jungs haben’s nicht nötig
Die Ungleichheit im Netz könnte sich durch eine in den USA aktuell anstehende Entscheidung zur Netzneutralität noch verschärfen: Dort wird darüber debattiert, ob Internetprovider bestimmte Seiten und Dienste schneller anbieten dürfen als andere – gegen das gewisse Kleingeld, versteht sich.
Es mutet dabei fasst schon ironisch an, dass ausgerechnet Google, Facebook, Twitter, Amazon und die anderen bekannten Namen der Branche geschlossen gegen diese Initiative der amerikanischen Federal Communications Commission unter dem Namen Internet Association vorgehen. Niemand bezweifelt, dass der Großteil von ihnen finanziell in der Lage wäre, die eigenen Angebote im Netz priorisieren zu lassen. Ihr Engagement ergibt trotzdem Sinn. Bedenkt man die Argumente Taylors, muss man zugeben: Das haben die großen Jungs gar nicht nötig. Weder Twitter noch Facebook müssen im Internet für zusätzliche Popularität noch bezahlen. Konkurrenz, und sei sie nur von denen, die es sich leisten können, nervt da bloß.
Astra Taylor fordert es nicht explizit. Doch ist ihr Buch als ein Plädoyer für ein hoheitlich organisiertes Internet zu verstehen. Der Mainstream in der Internetkultur hat einen gewissen Ekel vor dem Staat etabliert und ist mit Vergleichen zu chinesischer Zensur schneller bei der Hand als mit Hinweisen auf Facebooks Manipulation von Webinhalten. Genau dieses Wirtschaftsmodell aber, in dem es einem Sakrileg gleichkommt, für irgendetwas Regeln und Aufsicht zu fordern, ist spätestens seit der Finanzkrise (zumindest in der analogen Welt) krachend gescheitert.
Karl Schillers berühmter Ausspruch lautet „So viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig“. Astra Taylors Buch zufolge könnte die Lehre für das Internet ganz ähnlich lauten: Nur der Staat macht die Menschen unfrei. Nur der Markt aber auch.