Das vermeintliche “Recht auf Vergessen” entwickelt sich immer mehr zur Grundlage von willkürlicher Zensur – die Pressefreiheit ist in Gefahr. Im Mai 2014 urteilte der Europäische Gerichtshof, dass es ein “Recht auf Vergessen” geben würde und “unter bestimmten Umständen” Google Verweise auf Artikel aus den Suchergebnissen der eigenen Suchmaschine entfernen müsse. Wann genau, blieb aber unklar, und das Fehlen von Richtlinien führt zur Zeit zu zensurähnlichen Versuchen der Imagepflege, auf Kosten der Pressefreiheit. Denn ohne Suchmaschinen verschwinden Informationen im digitalen Nirgendwo. Und Google ist nicht allein von dem Urteil betroffen.
Schutz der Privatsphäre
Mario Costeja González. Dieser Mann wollte seinen Namen auf Google nicht mehr im Zusammenhang mit der Versteigerung eines Grundstücks sehen. Googelte er seinen Namen, zeigte Googles Suchmaschine einen Beitrag der Tageszeitung La Vanguardia aus dem Jahr 1998. In dem Artikel stand, dass Mario Costeja González aufgrund zu hoher Schulden bei der Sozialversicherung sein Grundstück versteigern musste. Der Fall war mehr als 15 Jahre her und die abgeschlossene Pfändung für Mario Costeja González erledigt. Seiner Meinung nach müsse der Artikel nicht mehr auffindbar sein. Er wendete sich an die spanische Datenschutzagentur und hoffte, dass die Zeitung seinen Namen aus dem korrekten Bericht tilgen und dass Google seine personenbezogenen Daten löschen oder in den Suchergebnissen verbergen müsse. Der Europäische Gerichtshof gab Mario Costeja González Recht und leitete aus der EU-Datenschutzrichtlinie ein vermeintliches “Recht auf Vergessen” ab. Nötig war das nicht, wie der Fall Max Mosley zeigte und Alvar Freude an der “privaten Suchmaschinenzensur” von Bettina Wulff erklärt. Wie genau jetzt die Überprüfung und Löschung der Anträge erfolgen sollte, sagten die Richter in ihrem Urteil aber nicht. Das hier zu vermeintlich mehr Datenschutz gezwungene Unternehmen soll sich selber überlegen, wie die Privatsphäre der Bürger besser geschützt werden kann und muss selber festlegen, wie mit Löschanfragen umzugehen ist. Google wurde hier der schwarze Peter des Verantwortlichen für Zensur zugeschoben, eine Rolle, die das Unternehmen niemals haben wollte.
… auf Kosten der Pressefreiheit
Mitte Juli waren bereits europaweit über 70.000 Anträge auf Löschung eingegangen, davon waren 12.000 aus Deutschland, der Hochburg der Streetview-Verweigerer. Und Zensoren, denn was in den Medien zuerst voller Schadenfreude falsch dargestellt wurde und die Löschanträge wohl nur noch weiter beförderte, war der Fakt, dass nicht die Quelle der unliebsamen Informationen nach einer angemessenen Prüfung gelöscht wird, sondern der Weg via Google und das eben auf unklare Art und Weise. Für den Rechtsanwalt Thomas Stadler ist das Urteil gerade deshalb problematisch, “weil es das Spannungsverhältnis zwischen Persönlichkeitsrecht/Datenschutz einerseits und Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit andererseits höchst einseitig zugunsten des Datenschutzes auflöst“. Suchmaschinen nehmen aber in unserer vernetzten Gesellschaft eine elementare Rolle ein, denn sie ermöglichen Nutzern aus Unmengen an Informationen, die für sie relevanten Daten zu finden. Diesem wichtigen Grundstein in unserer digitalen Kommunikation und dem Umgang mit Informationen, könnte das Urteil ein jähes Ende bereiten, denn der Europäische Gerichtshof gibt in seinem Urteil dem Datenschutz einen regelmäßigen Vorrang vor der Meinungs- und Informationsfreiheit und fördert somit ein Regime privater Rechtsdurchsetzung. Schnell traf es auch vor allem die Medien, die von Google Hinweise auf die Löschung von ihren Links aus den Ergebnislisten erhielten. In Deutschland waren das u.a. die taz, Spiegel Online und Zeit Online. In Großbritannien waren es die BBC, die Daily Mail und der Guardian, dessen Autor James Ball an insgesamt sechs nicht mehr via Google auffindbaren Artikeln aufzeigte, dass man nur die Informationen über eine Person auffindet, die diese zulässt. Das primär gegen Google gerichtete Urteil trifft aber auch andere Plattformen im Internet und das Fehlen eines klaren Prozesses, wie mit Löschanfragen umgegangen wird, schafft Unsicherheit – auf Seiten der Plattformbetreiber und der Nutzer – und Gelegenheit für Leute, die ihre digitales Image polieren wollen. “Da jetzt alle Menschen formal in der Lage sind, ihre digitale Biographie so zu gestalten, wie sie es wünschen, schürt dies nur die Intransparenz“, sagt Christian Scherg, Gründer des auf Online-Reputationsmanagement spezialisierten Unternehmens “Revolvermänner” auf Faz.net.
Der Willkür Tür und Tor geöffnet?
Ich selber bin vor wenigen Wochen Opfer eines Löschantrags geworden, der die zur Zeit vorherrschende Willkür aufzeigt. Am 14. Mai erhielt ich eine Mitteilung von Yahoos Foto-Plattform Flickr, dass “in einigen Regionen Porträtrechte unter das Copyright fallen, d. h. dass Personen verlangen können, dass Bilder, auf denen Sie abgebildet sind, aus dem Flickr Fotostream entfernt werden, wenn sie eine gültige Identifikation vorlegen. Wir haben eine solche Anfrage von Angelo D’Angelico erhalten“. Flickr löschte das Foto ohne weitere Recherche. Das sich D’Angelico als die abgebildete Person identifizieren konnte, reichte Flickr vollkommen aus. Was das Flickr-Team nicht wissen konnte, da sie es nicht geprüft haben, war der Fakt, dass ich das Foto als Journalist auf einer öffentlichen Veranstaltung gemacht habe. An dem Abend stellten sich die Kandidaten für die Berliner Liste von Bündnis 90/Die Grünen zur Bundestagswahl 2013 vor. Neben den Bundestagsabgeordneten Renate Künast und Lisa Paus, bewarben sich auch die Landesabgeordneten Andreas Otto und Özcan Mutlu um einen aussichtsreichen Listenplatz, herausgefordert von Angelo D’Angelico. Das öffentliche Interesse daran war groß, denn selbst auf Welt.de wurde Angelo D’Angelico, “der seit 2010 Parteimitglied ist“, namentlich als Herausforderer erwähnt. Das öffentliche Interesse oder mein journalistisches Fotowerk, dass wohl für immer im Digitalen festgehalten hat, dass Angelo D’Angelico sich einmal für einen Listenplatz zur Bundestagswahl beworben hat und jeder von da aus weiter recherchieren kann, dass es nicht geklappt hat, waren aber nicht die Gründe, warum Angelo D’Angelico Flickr aufforderte, das Bild zu löschen. Am 5. Mai forderte er mich in einer Mail persönlich auf, das Bild zu löschen, da er eine “Bereitstellung von Content auf einer kommerziellen Seite mit Nutzungsabtretung” ablehne. Diesem Wunsch kam ich nicht nach, da ich als Urheber des Fotos den Ort der Veröffentlichung (Flickr) und die Wahl der Lizenz (Creative Commons) zur Verbreitung selber bestimmen darf, wie ich ihm auch ausführlich erklärte. Da ich Angelo D’Angelico als einen in der Stärkung von Urhebern an sich Gleichgesinnten bei den Berliner Grünen kannte, nahm ich an, dass er meine Rechte als Urheber akzeptieren würde.
Es fehlen einheitliche Regeln
Wenige Tage später erhielt ich die bereits erwähnte Mitteilung von Flickr, dass das Bild gelöscht wurde (Flickr Case 3230246). Ich wandte mich daraufhin an Yahoo Deutschland und erklärte den Sachverhalt, dass es sich bei dem Foto um ein journalistisches Werk von einer öffentlichen Veranstaltung mit öffentlichem Interesse handle. Eine Sprecherin des Unternehmens schrieb mir zurück, dass das “Bild auf der Grundlage von internen Richtlinien, die dem Schutz von Portraitrechten dienen, entfernt wurde“. Mir wurde aber die Möglichkeit gegeben, dass Bild Yahoo zuzusenden, damit sie “mit Blick auf die zusätzlichen Informationen, u.a. dass es im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung mit Presseanwesenheit aufgenommen wurde“, prüfen, ob es “wieder hochgeladen werden kann“. Es konnte wieder hochgeladen werden. 40 Tage nach meiner Mail teilte mir die gleiche Unternehmenssprecherin mit, dass sie “zu dem Schluss gekommen [ist], dass (…) dieses Foto wieder auf Flickr hochladen können. Angesichts [der] Angaben gehen wir in diesem speziellen Fall davon aus, dass es sich um eine öffentliche Veranstaltung gehandelt hat, bei der Pressevertreter zumindest geduldet wurden. Dieser Umstand war uns bei der ursprünglichen Prüfung dieses Falles nicht bewusst, weshalb – wie wir Ihnen bereits mitgeteilt hatten – das Foto zum Schutz von Portraitrechten entfernt wurde“. Auf meine Nachfrage zu den Folgen des “Recht auf Vergessen”-Urteil für Yahoo, wurde ohne weiteren Kommentar auf das offizielle Statement von Yahoo verwiesen: “In light of the European Court of Justice decision, our team is currently in the process of developing a solution for Yahoo users in Europe that we believe balances the important privacy and freedom of expression interests“. Die ungerechtfertigte Löschung des Bildes aufgrund einer unbegründeten Anfrage von Angelo D’Angelico, aber auch die 40 Tage andauernde Prüfung des Sachverhalts eines einzigen Bildes, wobei meines Wissens nach Yahoo nicht bei der Grünen Jugend Berlin nachgefragt hat, ob es sich wirklich um eine öffentliche Veranstaltung handelte, zeigen die Notwendigkeit von transparenten Regeln, wie mit Löschanfragen umgegangen werden muss und wie die Pressefreiheit weiterhin geschützt werden kann. Noch zeigt die Politik in ihrem gegen Google gerichteten Regulierungswahn kein Bewusstsein für die Problematik. Auf einem an diesem Donnerstag in Brüssel angesetzten Treffen der europäischen Datenschützer, sind nur Google und Microsoft geladen. Europäische Suchmaschinen oder andere Vertreter von Organisationen wie Reporter ohne Grenzen oder European Digital Rights (EDRi) fehlen bei der Sitzung. Dabei wäre ein breiter Multistakeholder-Dialog jetzt genau das, was die weitere Entwicklung des unzureichend begründeten und gefährlichen “Recht auf Vergessen” braucht. Dieser Artikel erschien zuerst auf netzpiloten.de Teaser und Image: Motaz Abuthiab Bild Angelo D’Angelico: Tobias Schwarz