buchrezensionZeitungssterben, Flatrate-Infotainment, Debattenjournalismus – die Schlagworte sind zahlreich, wenn es darum geht, mal nostalgisch-verklärend, mal achselzuckend einen Epochenwandel oder gleich das Ende des hergebrachten Journalismus zu besingen. Die Diagnose, dass „das Internet“ dem klassischen Journalismus das Wasser abgraben würde, ist so alt wie unpräzise, so dass jüngste Entwicklungen und aktuell erschienene Debattenbeiträge einmal mehr zum Nachdenken anregen.
Auch wenn der jüngste Aufreger, der in Gestalt eines gelben Engels auf die deutsche Presselandschaft niederkam, abermals von klassischen Print-Medien an die Öffentlichkeit gebracht worden ist: Alle netzkulturell Interessierten und Medienbeobachter haben sicherlich in den vergangenen Jahren mit Diskussionen um Enthüllungsprojekte wie Wikileaks oder Whistleblower wie Edward Snowden genügend Gelegenheit gehabt, ihre Position zum Wandel journalistischer Enthüllungskultur zu suchen.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen hatte die Stiftung Schloss Neuhardenberg bereits im vergangenen Sommer zu einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion geladen.  Einer Podiumsdiskussion, die „vom Verschwinden des investigativen Journalismus“ handeln sollte, sich dann aber – schenkt man der Abschrift der Diskussion Glauben – über weite Strecken doch in eine Generaldebatte zur Schreib- (und Lese-)kultur im deutschsprachigen Journalismus entwickelte. Soeben ist das Transkript der Diskussion im Freiburger Herder-Verlag erschienen.

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Bissinger, Manfred/Friedrichs, Julia/Leyendecker, Hans/Wallraff, Günter: Die Vierte Gewalt – Vom Verschwinden des investigativen Journalismus. Freiburg: Verlag Herder, 2014, 88 Seiten, Preis: €10,-

Die Panelisten waren denkbar hochkarätig und so ist bei der Lektüre des schmalen Bandes „Die Vierte Gewalt“ eigentlich eher spannend, wer nicht eingeladen gewesen ist bzw. wen man als netzaffiner Leser zu dem Thema gerne gehört hätte. Dazu aber später mehr. Die Diskussion zwischen Manfred Bissinger (Ex-„Stern“), dem nimmermüden Enthüllungs-Aktivisten Günter Walraff, der Journalistin und Dokumentarfilmerin Julia Friedrichs und Hans Leyendecker, dem bereits heute legendären Leiter des Ressorts Investigative Recherche der Süddeutschen Zeitung kreiste zumeist um Stichworte wie ideologische Lagerbildung bzw. die von der Runde konstatierte Auflösung klarer weltanschaulicher Lager im deutschen Journalismus. Doch scheint der Veränderungsdruck durch die neuen Medien als unsichtbarer sechster Gesprächspartner ständig mit im Raum zu sitzen.
Sei es der durch das Netz beschleunigte Anzeigenschwund in den Print-Medien, in dem beispielsweise Walraff eine der größten Herausforderungen für klassisch arbeitende Journalisten sieht. Oder aber die Feststellung, dass für unabhängig  arbeitende Journalisten zur Recherche komplexer politischer, ökonomischer oder gesellschaftlicher Sachverhalte heute in nur noch wenigen etablierten Blättern wie der SZ oder dem Spiegel Raum, Zeit und Geld (!) vorhanden ist. Mit Blick auf das „Verschwinden“ von Zeitungen diskutierte die Runde zwar ausführlich über Gegenmaßnahmen in Form von staatlich-subventionierten Blättern oder in Stiftungsform organisierten Unterstützungsmaßnahmen. Letztendlich ist es aber Hans Leyendecker, der bei der Frage nach dem kompletten Verschwinden von Tageszeitungen beruhigen kann („Ich halte das alles für Quatsch“).
Eines wird in der Diskussion zudem klar: Wer zukünftig über Online-Journalismus debattiert, kann dies nicht mehr allein aus der Perspektive der (Online-) Redaktionen oder Herausgeber tun. Das Zeitalter des Leserbriefschreibens scheint unwiederbringlich vorbei und eine stets aufmerksame, kritische Schar von „Kommentatoren“ hat sich in den Foren breit gemacht und bestimmt – häufig bis an die Grenze von Straftatbeständen – wohl oder übel die Agenda der Zeitungsmacher, online wie offline.
Protest- und Skandalisierungskultur in den Neuen Medien: Eine Entwicklung, die der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen nicht nur in einem überaus lesenswerten Buch bereits vor einigen Jahren analysiert hat, sondern auch im Zuge der jüngsten Debatte um den Fernsehansager Markus Lanz in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit kommentiert hat.

Die Erkenntnisse der Debatte, die von Wallraffs frühesten Protestaktionen in einem Streifzug durch die journalistische Landschaft der (alten) Bundesrepublik führt, mögen zwar nicht neu sein, zum Nach- und Weiterdenken regen sie und die verdienstvollen Panelisten allemal an. Einzig die Frage bleibt, warum zum Thema keiner der hierzulande inzwischen zahlreichen und vielfach etablierten Online-Journalisten oder Blogger in der Runde Platz fand. So bleibt auch bei dieser Debatte zum Thema „Medienwandel“ einmal mehr der fade Beigeschmack, dass Vertreter einer neuen journalistischen Kultur weiterhin wie ungeliebte entfernte Verwandte behandelt werden.
Zu den bislang etablierten Arbeitsweisen (Walraffs Undercover-Aktionen vs. Leyendeckers klassische Recherchearbeit) sind längst neue Formen journalistischer (Enthüllungs-) Arbeit hinzugetreten. Zwar mögen kooperative bzw. kollaborative Enthüllungsformate wie Wiki- oder Offshoreleaks neu und häufig noch ungeübt sein. Will er weiter bestehen, sollte es jedoch im eigenen Interesse des hergebrachten Journalismus liegen, sich kritisch-hinterfragend mit dieser neuen, möglicherweise fünften oder sogar sechsten Gewalt auseinandersetzen, und somit die von Friedrichs, Bissinger, Walraff und Leyendecker einmütig beschworene Vielfalt im deutschen Journalismus weiterhin aufrechtzuerhalten.
Bild: bnlog (CC BY-NC-SA 2.0)
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