Seitdem das Assoziierungsabkommen mit der EU vom ukrainischen Präsidenten Janukowitsch verweigert wurde, gewinnt das Internet als Mittel der politischen Kommunikation an Bedeutung. Die Facebook-Seite EuroMaydan, vor knapp einem Monat eröffnet, verzeichnet mittlerweile 163.000 Fans.
Seit vier Wochen finden in der Hauptstadt der Ukraine Proteste statt. Auslöser für die massenhaften Kundgebungen in Kiew ist die Nicht-Unterzeichnung des Freihandels- und Assoziierungsabkommens mit der EU. Die Demonstranten fordern einen klaren EU-Kurs der Ukraine und den Rücktritt des pro-russischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch. An der Spitze der Opposition steht der Weltboxmeister Witalij Klitschko, dem Angela Merkel ihre Unterstützung zugesprochen hat.
Warum das Assoziierungsabkommen scheiterte
Viele Ukrainer verbinden mit dem Assoziierungsabkommen bessere Lebensstandards. Es ist das umfangreichste Freihandelsabkommen, das die EU jemals mit einem Land ausgehandelt hat. Das Abkommen ist „im Prinzip eine Vorbereitung auf einen Beitritt, wenn es diesen jemals geben sollte“, erklärt Dr. Stefan Meister vom European Council on Foreign Relations in einem Interview mit politik-digital.de.
Ein weiterer Faktor erschwert die Unterzeichnung des Abkommens. Es ist so angelegt, dass die Ukraine zwischen zwei Nachbarn entscheiden müsste, da eine Integration mit der von Russland geführten Zollunion und das EU-Freihandelsabkommen einander ausschließen, so Stefan Meister. Eine solche Entscheidung wäre für die Ukraine nicht nur fatal, sie ist auch kaum realistisch. Auf Russland könnte die Ukraine ohne vorherige umfassende Strukturreformen dauerhaft nicht verzichten. Das Land steht vor dem Staatsbankrott, und am Montag traf Janukowitsch den russischen Präsidenten Wladimir Putin, um mit ihm über mögliche finanzielle Zuwendungen zu sprechen. Von der EU hingegen ist keine Finanzspritze zu erwarten.
Eine Revision des Assoziierungsabkommens stellt die EU zudem nicht in Aussicht, beteuert Osteuropa-Experte Meister. Dies sei ein fertig ausgehandeltes Abkommen, das als Musterabkommen für die anderen postsowjetischen Ländern dienen sollte. Das Ziel der EU sei an erster Stelle „die Kombination ökonomischer und politischen Reformen wie im Assoziierungsabkommen, weil das wiederum eine Implementierung von Antikorruptionsmaßnahmen, von mehr Wettbewerbsfähigkeit, mehr Demokratie bedeutet.“
Insbesondere unter dem aktuellen Präsidenten Janukowitsch hat sich die Ukraine in den letzten Jahren immer mehr von der EU entfernt. Die Reformen, die eine Annäherung mit der EU möglich machen würden, wurden auf die lange Bank geschoben. Heute ist der Reformbedarf in der Ukraine groß und die Wirtschaft bedarf einer dringenden Modernisierung. Wichtige Transformationsträger wie europäische Investoren ziehen sich aus der Ukraine jedoch zurück. Die Volkswirtschaft stagniert seit 2012.
Bohdan Danylyshyn ist ehemaliger Wirtschaftsminister der Ukraine (2007-2010), der seit 2010 im politischen Asyl in der Tschechischen Republik lebt. Er betonte jüngst bei einer Expertendiskussion in der Deutschen Gesellschaft für Außenpolitik, wie wichtig die EU für die Ukraine sei. Denn das Land könne nur mithilfe der EU modernisiert werden. Die Entscheidung, das Assoziierungsabkommen nicht zu unterzeichnen, sei eigentlich nicht von Präsident Janukowitsch, sondern von mächtigen Oligarchen, die eigene wirtschaftliche Interessen in Russland verfolgen, getroffen worden, unterstrich Danylyshyn.
„Das Land hat Geld, das sich allerdings in den Händen einiger weniger konzentriert“, bestätigt Stefan Meister. Die EU müsse sich mit der Frage beschäftigen: „Wie kann die Zivilgesellschaft in die Monitoringprozesse von Rechtsangleichungen einbezogen werden, um dann tatsächlich auch Druck aus der Gesellschaft für Reformprozesse in der Ukraine zu schaffen?“
Einfluss der Zivilgesellschaft über das Internet?
Durchaus ein geeignetes Instrument, um die Zivilgesellschaft zu erreichen, ist das Internet, und auch bei der Politikgestaltung spielt es heute eine unbestreitbare Rolle. In der Ukraine existiere allerdings keine so große Internetgemeinschaft wie in Russland, die mobilisiert werden könnte, bekräftigt Stefan Meister. So gibt es bislang nur wenige Online-Plattformen, die den Usern die Möglichkeit zum Meinungsaustausch und zur Politikgestaltung geben könnten, wie dies in Russland intensiv praktiziert wird. Auch ist die Zahl der Internet-User relativ gering. Nach Angaben des staatlichen Statistikkomitees beträgt sie ca. 5 Millionen in einem Land mit mehr als 45 Millionen Einwohnern.
Unlängst haben auch die ukrainischen Politiker begriffen, dass das Internet eine nützliche Plattform für Eigen-PR sein kann. Immer mehr Politiker richten sich eigene Blogs ein. Näher seien sie dem Volk dadurch aber nicht gekommen, schreibt das ukrainische Online-Magazin focus.ua. Lediglich das Blog der ehemaligen Ministerpräsidentin und Oppositionsführerin Julia Timoschenko rage durch seinen persönlichen Stil heraus. Ihren ersten Eintrag machte sie am 30. August 2009 mit folgenden Worten: “Das bin ich – Julia Timoschenko. Heute starte ich mein Blog. Man sagt, dass Roosevelt die Präsidentschaftswahlen gewonnen hat dank Radio, Kennedy dank Fernsehen, Obama dank Internet“. Darauf bekam sie 5.203 Kommentare. Ihr letzter Eintrag stammt vom 4. Juni 2011, seit August 2011 ist Julia Timoschenko wegen angeblicher Steuerhinterziehung in Haft.
Der Twitter-Account von Wiktor Janukowitsch hat lediglich 850 Follower. Was nicht weiter verwunderlich ist, denn der Ton seiner Tweets ist unpersönlich, seine Nachrichten auf dem Kurznachrichtendienst gehen über offizielle Verlautbarungen kaum hinaus. Es fehlt ein echter Dialog zwischen Bürgern und Präsident. Die ukrainischen Politiker können aber nicht umhin, den Umgang mit dem Internet zu intensivieren, denn die ukrainische Internetgemeinschaft wächst stetig, empfahl focus.ua bereits im Jahr 2010.
Facebook wird zur Online-Plattform für politische Kommunikation
Doch seit 2013 ändert sich die Lage rasant. Facebook entwickelt sich zunehmend zur bevorzugten Online-Plattform für politische Kommunikation. Das gescheiterte Assoziierungsabkommen scheint die Internetgemeinschaft zusammengeschweißt zu haben. Erst am 21. November 2013 gegründet, verzeichnet die Facebook-Seite EuroMaydan, benannt nach dem Unabhängigkeitsplatz im Zentrum Kiews, wo die Proteste stattfinden, nach knapp einem Monat 163.000 Fans und erreicht regelmäßig 155.000 Menschen. Täglich kommen knapp 1.200 neue Fans hinzu. Und auch die Facebook-Seite von Julia Timoschenko kann seit dem Beginn der Demonstrationen einen deutlichen Zuwachs verzeichnen.
Laut Facebook-Statistik sind unter den ukrainischen Politikern, die Facebook als politische Kommunikationsplattform aktiv nutzen und über knapp 50.000 Fans verfügen, Serhij Tihipko, der ehemalige Wirtschaftsminister und stellvertretende Premierminister, gefolgt von Nikolaj Azarov, dem Premierminister der Ukraine. Wiktor Janukowitsch selbst hat nur etwa 4.000 Fans.
Regierung behindert Online-Journale
Doch die staatlichen Behörden sind auch erfolgreich darin, die Arbeit der regierungskritischen Online-Journale zu behindern. Nach dem Amtsantritt von Präsident Wiktor Janukowitsch hat sich die Position der Ukraine auf der Rangliste der Pressefreiheit, die Reporter ohne Grenzen (ROG) regelmäßig veröffentlichen, deutlich verschlechtert: von Platz 89 im Jahr 2009 auf Platz 126 im Jahr 2013. Einschüchterungsversuche richten sich inzwischen auch gegen die ROG-Vertreterin in der Ukraine, Oksana Romanjuk. Anfang Oktober stellten Hacker ihre E-Mail-Korrespondenz sowie die Inhalte ihrer privaten Festplatte ins Internet, berichtet ROG.
Die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen ruft die Europäische Union auf, ihr Augenmerk auf die mangelnde Pressefreiheit in der Ukraine zu richten, auch wenn der Abschluss eines Assoziierungsabkommens vorerst auf Eis liegt. „Es reicht nicht aus, dass die EU bessere Handelsbeziehungen und Justizreformen zur Bedingung für eine Annäherung macht. Ebenso stark muss sie sich für kritische Journalisten einsetzen, deren Arbeit in der Ukraine immer stärker behindert wird“, fordert ROG-Geschäftsführer Christian Mihr.
Am 15. Dezember gab der EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle per Twitter bekannt, die Verhandlungen mit der Ukraine über das Assoziierungsabkommen seien beendet, solange es keine klare Verpflichtung zur Unterschrift gebe. Die Proteste auf dem Maydan gehen derweil weiter und die Forderungen nach dem Rücktritt des Präsidenten werden immer lauter.
Bild: Ivan Bandura (CC BY 2.0)