Politiker sollen bürgernah sein – was heute theoretisch besser geht denn je. Per Smartphone und Social Media können sie orts- und zeitunabhängig mit ihren (potentiellen) Wählern in Kontakt treten, ein Bürgergespräch ist so auch vom Bahnhofsklo aus möglich. Doch eine aktuelle Studie (“Politiker im Netz”) bestätigt, dass Abgeordnete die neuen Medien überwiegend in alter Weise bespielen: Es wird gesendet, aber kaum diskutiert.
Im Interview mit politik-digital.de beschrieb SPD-Netzexperte Lars Klingbeil die neue Form der Kommunikation zwischen Politiker und Bürger wie folgt: „Früher lief es nur top-down, heute stehen wir im Dialog mit den Bürgern. Das ist ein totaler Umbruch.“ Es scheint, als habe Klingbeil hier eher einen Wunsch beschrieben als die Realität. Der Förderverein ISPRAT („Interdisziplinäre Studien zu Politik, Recht, Administration und Technologie“) hat untersucht, wie und aus welchem Grund Abgeordnete aus Bundestag bzw. Länderparlamenten in sozialen Netzwerken unterwegs sind.
Das Web 2.0 – d. h. konkret Facebook, auf Bundesebene um Twitter ergänzt – dient demnach vornehmlich der Eigenwerbung, wobei zwischen Bundes- und Landesabgeordneten Detailunterschiede bestehen. 16 Prozent von ihnen antworteten auf die Fragen der Wissenschaftler. Der Verein teilte mit, dass die Studie somit statistisch signifikant sei, also aussagekräftig.
Auf der kommunikativen Einbahnstraße
Gut vier Stunden sind Abgeordnete pro Tag online, das ist dreimal so lange wie der Bevölkerungsdurchschnitt. In sozialen Netzwerken zielen sie dabei als erstes auf potentielle Wähler, die Öffentlichkeit und Unterstützer, während Medien, NGOs und Freunde/Familie nicht zum ersten Adressatenkreis zählen.
Die acht aus Sicht der Parlamentarier des Bundes wichtigsten Motivationen, Social Media zu verwenden, ließen sich aber auch in klassischen Medien umsetzen. „Potentielle Wähler erreichen“ steht mit 94 Prozent Zustimmung ganz vorne, es folgen u. a. „Meinungen in meinem Umfeld prägen“ (82 Prozent) und „Mein eigenes Profil schärfen“ (78 Prozent). Erst an neunter Stelle kommt der Grund, der im Internet unkomplizierter klappt als an irgendeiner anderen Stelle des medialen Raums: „Politische Positionen mit Netzwerk diskutieren“ (78 Prozent). Kurz danach folgt dann wieder ein Medienkonsum klassischer Prägung, die Nachrichtensuche (74 Prozent).
Die Motivlage der Landtagsabgeordneten gleicht in etwa der ihrer Kollegen im Bund. Ihre Diskussionsbereitschaft aber ist deutlich geringer, der Nachrichtenkonsum hat eine höhere Priorität.
Man könnte also sagen, dass Abgeordnete auf ihren Smartphones da weitermachen, wo sie bei Jauch oder Illner aufgehört haben. Dazu Miriam Meckel, eine der Studienautorinnen: „Wenn Politiker soziale Medien primär als Einbahnstraße für Botschaften nutzen, haben sie die Chancen von Facebook, Twitter und Co. noch nicht verstanden.“
Wahr ist jedoch auch: Wer als Politiker kein Talkshow-Abo hat, kann sich auf Twitter oder Facebook seinen eigenen kleinen Sender einrichten.
Komm‘, richte mir auch mal so ein Twitter-Dingens ein
Die Studie, für die Social-Media-Aktivitäten und Antworten von Abgeordneten ausgewertet wurden, bietet auch Aufschlüsse über Netzaffinität, Alter und Parteibindung. Drei Viertel der Parlamentarier sind täglich in einem sozialen Netzwerk aktiv – die Nutzungsart divergiert. 62 Prozent gehören demnach zu den „Profis“ (CDU, SPD, FDP). Sie sehen ihre Facebook-Accounts als Pflichtteil der Öffentlichkeitsarbeit, ohne innerlich besonders ausgeprägt für die neue Kommunikation zu brennen. Deswegen konzentriert sich die Aktivität der „Profis“ darauf, eigenes Material zu zitieren und/oder zu verlinken. Es muss halt sein.
„Der Begeisterte“ (Anteil: 24 Prozent) dagegen hat wirklich Spaß am neuen Medium und tobt sich entsprechend aus. Er stellt auch mal Fragen, postet Links zu anderen Inhalten und startet Aufrufe. Wo „Profis“ vornehmlich in CDU, SPD und FDP anzutreffen sind, kommen „Begeisterte“ primär von den Piraten. Ihre Aktivität ist nicht selektiv, sondern sehr hoch.
Ganz anders der „Skeptiker“: Er hat generell wenig Lust auf Social Media, seine Postings sind rar und persönlich gehalten. Im Unterschied zu den anderen zwei Typen ist er über 50 Jahre alt und entstammt vornehmlich den Reihen der Grünen und Linken, hat aber lediglich einen Anteil von 14 Prozent.
Die Parteizugehörigkeit ist kein signifikanter Einflussfaktor auf das Engagement im Netz, das Alter umso mehr: je jünger, desto aktiver – die „Digitale Spaltung“ scheidet auch unsere Parlamentarier. Von denen tippt allerdings bloß die Minderheit ausschließlich selber. 82 Prozent der Bundestags- und 56 Prozent der Landtagsabgeordneten werden durch andere unterstützt. Bürgernahe Politik kann im Internet eine ziemliche distanzierte Angelegenheit sein.
Die ganze Studie: http://bit.ly/1eOzoMd
Bild: Studie Abbildung 4: Typen der Social Media – Nutzung (Auszug)