Wie es wurde, was es war
1999 brachte der 19-jährige Informatik-Student Shawn Fanning mit Unterstützung von Sean Parker, dem späteren „Bad Boy des Silicon Valley“, und seiner Hacker-Gemeinschaft einen Musikdienst auf den Markt. Bis dahin lagen viele MP3-Dateien auf veralteten privaten Websites, die oft nur kurzfristig online waren. Die damals noch langsamen Suchmaschinen befanden sich außerdem oft nicht auf dem aktuellen Stand. Fanning, selbst erst seit zwei Jahren in Besitz eines Computers, wollte diese Situation ändern. Sein Dienst steht noch heute für die Revolution des sogenannten Peer-to-Peer(P2P)-Filesharings: Er schuf einen zentralen Server, auf dem sowohl Musikangebote als auch Nachfragen eingingen und der es ermöglichte, jeweils zwei Anwender miteinander zu verbinden. So konnten die User freigegebene Musikdateien direkt von den Servern anderer Nutzer herunterladen. Titel der Musikbörse wurde Fannings eigener Spitzname „Napster“, erster Geldgeber der Geschäftsmann Yosi Amram.
„Napster Inc.“ und das schon vorher bekannte Peer-to-Peer-Verfahren entwickelten sich in rasender Geschwindigkeit zu einem Massenphänomen: Schon in den ersten Wochen nach dem Launch der Plattform verzeichnete Napster rund 15.000 Downloads. Ende 1999 – Fanning hatte sein Studium aufgrund des Erfolges von Napster längst abgebrochen – war der neue Service die am schnellsten wachsende Internetanwendung der Welt. Denn bei Napster war alles zu finden, was der Musikmarkt hergab, und noch mehr: von populärer Chart-Musik über Klassik und alternative Geheimtipps, bis hin zu musikalischen Variationen, die im freien Handel gar nicht erhältlich waren – und zwar kostenlos. Daneben hatte Fanning eine Reihe von Chatrooms entwickelt, die es Usern ermöglichte, sich über Musik und Privates auszutauschen. Ähnlich wie später in den sozialen Netzwerken konnten die Napster-Konsumenten außerdem persönliche Freundeslisten erstellen. Ein weiterer Grund für das schnelle Anwachsen: Man hatte nicht nur die Möglichkeit, nach einzelnen Songs zu suchen, sondern konnte auch auf den Musik-Festplatten anderer Nutzer herumstöbern und dort Neues entdecken.
In weniger als zwölf Monaten hatte sich eine riesige “Napster-Community“ gebildet. Napster war zur bekanntesten Marke im Musikbereich und Fanning ein Star geworden, den sogar das Time Magazine auf seinem Titelblatt präsentierte. Der Börsenwert des Musikdienstes betrug im Jahr 2000 über 100 Millionen Dollar.
Aus der Traum
Napster gab – gemeinsam mit anderen Online-Diensten wie Gnutella – einen entscheidenden Anstoß für die bis heute andauernden Umwälzungen innerhalb der Musikbranche. Die Musikindustrie war es auch, die um ihre Gewinne fürchtete und Napster deshalb von Anfang an höchst skeptisch beäugt hatte. Denn Napster bewegte sich (urheber)rechtlich auf dünnem Eis. Mit dem aufkeimenden Konflikt zwischen den beiden Akteuren fand die noch heute aktuelle Urheberrechts-Debatte erstmals Eingang in die etablierten Medien: Erleichtern Service-Provider wie Napster den Diebstahl von geschütztem Material oder ist es das Recht des Nutzers, Musik frei im Netz auszutauschen und Stücke nach eigenem Belieben künstlerisch weiterzuentwickeln? Inwieweit ist der Service-Anbieter für mögliche Urheberrechtsverletzungen seiner User verantwortlich?
Erste Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Verband der US-Musikwirtschaft RIAA und Napster erfolgten schon 1999. Die RIAA warf Napster vor, für Produktpiraterie in großem Ausmaß (mit)verantwortlich zu sein – schließlich liefen die Suchanfragen über den zentralen Server von Napster. Und nicht nur die RIAA ging vor Gericht. Denn Napster hatte neben glühenden Verehrern auch eine große Anzahl erbitterter Gegner innerhalb der Musikerszene selbst. Ganz vorne mit dabei: Metallica. Im Jahr 2000 klagte die Band mit dem Vorwurf, Napster verletzte ihr Urheberrecht, gegen die Musiktauschbörse. Daraufhin erklärte sich Napster schlussendlich bereit, rund 335.000 User auszuschließen, die das Copyright von Metallica verletzt hatten.
Zunächst beflügelten diese Auseinandersetzungen die Popularität von Napster noch weiter. Die Medien stürzten sich auf den Fall und machten Napster durch Schlagzeilen wie „The War over Napster“ noch bekannter. Außerdem meldeten sich die ausgeschlossenen Nutzer unter neuen Usernamen einfach wieder an. Einige Künstler, wie Courtney Love und die Beastie Boys, sprachen Napster ganz explizit ihre Unterstützung aus. Denn so manch unabhängige junge Band konnte erst durch Napster ein größeres Publikum erreichen. Trotzdem: Die Klage von Metallica war Mitauslöser für eine Prozesslawine, die Napster überrollen sollte.
Im Sommer 2000 ging die Musikindustrie endgültig in die Offensive: A&M Records, eine Tochterfirma der UniversalMusicGroup, und eine große Anzahl weiterer Mitglieder der RIAA erstritten vor Gericht eine einstweilige Verfügung gegen Napster – die endgültige Abschaltung des Dienstes aber wurde vorerst durch einen Einspruch Napsters verhindert. Die Tauschbörse ließ nichts unversucht, den eigenen Niedergang aufzuhalten: Noch im Oktober 2000 schloss Napster einen Vertriebs- und Lizenzierungsvertrag mit der Bertelsmann eCommerce Group, mit deren Hilfe Napster ein kostenpflichtiges Abo-System einrichten wollte. Außerdem führte die Plattform Anfang 2001 – nachdem ein weiterer Gerichtsbeschluss Napster die Verhinderung von Urheberrechtsverletzungen zur Auflage gemacht hatte – eine Filtersoftware ein, die den Austausch von urheberrechtlich geschützten Songs verhindern sollte. Diese Software funktionierte allerdings nur bedingt. Weitere Niederlagen vor Gericht, laufende Klagen wegen Copyright-Verletzungen und insbesondere das technische Scheitern einer gerichtlich angeordneten hundertprozentigen Filterung von geschütztem Material führten letztendlich dazu, dass Napster im Juli 2001 mehr oder weniger „freiwillig“ vom Netz ging. Damit war das Filesharing-Netzwerk, so wie es die User bis dahin kannten, Geschichte.
Von nun an wollte sich Napster ganz auf kostenpflichtige Musik-Abodienste konzentrieren. Außerdem willigte die Geschäftsführung ein, hohe Zahlungen an Musiker und Rechteinhaber für bisherige Copyrightverletzungen und Lizenzzahlungen zu leisten. Anfang 2002 ging ein Prototyp des „neuen“ Napsters als Testversion online. Die ehemalige Tauschbörse, ohnehin nur noch ein Schatten ihrer selbst, steckte von da an jedoch in höchsten finanziellen Schwierigkeiten. 2002 wurde beschlossen, den schwächelnden Musikdienst zu hundert Prozent an Bertelsmann zu verkaufen. Das wiederum führte zu internen Querelen, am Ende trat Napster-Gründer Shawn Fanning gemeinsam mit hochrangigen Mitarbeitern zurück – Mitbegründer Sean Parker hatte Napster schon früher aufgrund von Streitigkeiten verlassen. Hinzu kam, dass ein amerikanischer Konkursrichter die Transaktion zwischen Napster und Bertelsmann untersagte. Damit sahen viele Medien das Schicksal von Napster besiegelt. Im November 2002 wurde das Konkursverfahren eröffnet. Eine weitere Wende vor Gericht aber verhinderte das endgültige Todesurteil von Napster. Schlussendlich wurden die Überreste der in Grund und Boden geklagten Legende Ende 2002 für nur 5,3 Millionen Dollar an die amerikanische Software-Firma Roxio verkauft.
Geht da noch was?
Da geht noch was, aber es geht ganz anders. Das Napster von heute hat mit der damaligen Tauschbörse und dem zugehörigen Peer-to-Peer-Verfahren nichts mehr gemeinsam. Roxio hatte lediglich den Markennamen, die Internet-Domain und Teile der Technologie erworben. Im Oktober 2003 wurde ein kommerzielles Online-Musikangebot unter dem Namen Napster –wiederum mit Unterstützung von Fanning – auf den Markt gebracht. Nach einer weiteren Zwischenstation übernahm 2011 das US-Börsenunternehmen Rhapsody International Inc. die Marke. Rhapsody bietet einen Musik-Streaming- und Download-Dienst, der sich auf Musik-Abonnements im Web und für mobile Endgeräte spezialisiert hat. In Europa wird dieser Dienst unter dem Namen Napster bereitgestellt. Mit seinem Angebot steht Napster nun auf dem hart umkämpften Streaming-Markt in direkter Konkurrenz zu anderen Anbietern wie Spotify. Bisher aber läuft es gar nicht schlecht: Vor kurzem erst gab Rhapsody bekannt, seinen Dienst nun in insgesamt 16 europäischen Staaten zur Verfügung zu stellen – zuvor war Napster innerhalb Europas nur in Großbritannien und Deutschland präsent.
Aber das „alte Napster“ ist nicht vergessen. Erst 2012 veröffentlichte der Rechtsprofessor Michael A. Carrier die Studie „Copyright and Innovation: The Untold Story“. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die damalige Schließung von Napster kaum dazu beitrug, illegale Kopien zu verhindern. Allerdings habe das unfreiwillige Ende des Peer-to-Peer-Dienstes die Innovationsfähigkeit innerhalb der Musikbranche um Jahre zurückgeworfen. Für alle Interessierten sei außerdem die Dokumentation „Downloaded“ (2013) empfohlen, die Fanning, Parker und insbesondere den Aufstieg und Fall der Tauschbörse Napster beleuchtet.
Und zu guter Letzt: Was wurde eigentlich aus den Napster-Gründern Shawn Fanning und Sean Parker? Fanning investierte in eine Reihe Technologie-Startups und gründete 2010 ein neues Unternehmen namens Path.com, ein soziales Netzwerk für mobile Geräte. Sean Parker ist mittlerweile Milliardär. Nach einem Treffen mit Mark Zuckerberg wurde er Gründungspräsident von Facebook. Weitere Projekte folgten, und mittlerweile arbeitet Parker sogar wieder mit Fanning zusammen. Gemeinsam haben die beiden 2012 das Life-Video-Netzwerk airtime.com als Facebook-Web-App gelauncht.
Befragt man die beiden heute zu Napster, scheinen sie selbst kaum glauben zu können, was damals passiert ist. Parker fasste die damalige Situation vor kurzem in einem Interview wie folgt zusammen: „Wir waren eigentlich Highschool-Kids, die innerhalb von zwölf Monaten eine der großen US-Industrien in die Knie zwangen und im größten Rechtsstreit der Welt bekämpften.“ In diesem Streit haben Parker und Fanning damals den Kürzeren gezogen. Die Debatte um Urheberrechte und Filesharing aber begleitet uns bis heute.
Hier finden Sie Teil 1 der Reihe: Was machen eigentlich die VZ-Netzwerke?
Hier finden Sie Teil 2 der Reihe: Was macht eigentlich MySpace?
Hier finden Sie Teil 3 der Reihe: Was macht eigentlich Second Life?
Hier finden Sie Teil 4 der Reihe: Was macht eigentlich Lokalisten?
Hier finden Sie Teil 5 der Reihe: Mikroblogging-Dienste
Bild: Jane (CC BY-NC-SA 2.0)