Es ist Wahlkampf, aber kaum jemand spricht darüber. Doch was in Freundes- und Bekanntenkreisen gelten mag, bestätigt sich im Internet ganz und gar nicht. Das Vodafone Institut hat zwei deutsche Universitäten beauftragt, dort hinzuhören, wo Politik sehr wohl diskutiert wird: auf Twitter und in Blogs. Die Studie belegt, dass soziale Netzwerke kein Spiegel der Gesellschaft sind – und dass das Meinungsgewicht durchaus anders gelagert ist, als so mancher Blogger vielleicht vermutet. Wer hätte das gedacht?
Blogger Jens Berger (spiegelfechter.com), als Experte zur Vorstellung der von Vodafone beauftragten Studie geladen, zeigte sich angesichts des Ergebnisses überrascht. Dass CDU/CSU und FDP in jeweils knapp über 50 Prozent der untersuchten Blogbeiträge positiv oder neutral bewertet werden, hätte er nicht vermutet. Die Analyse („Wie tickt das Netz im Bundestagswahlkampf?“) hat Bergers „Filter Bubble“ zum Platzen gebracht, sein von verlinkten Blogs und Twitter-Followern gerahmtes Fenster zum Internet.
Allerdings erheben die beiden Leiter der Studie, Prof. Stefan Stieglitz (Universität Münster) und Prof. Neuberger (LMU München), auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit der untersuchten Plattformen. Zum einen ist ihre – nach Aussage von Vodafone unabhängige – Studie nur ein Zwischenergebnis, denn die Gesamtauswertung soll am Jahresende folgen. Zum anderen konnten zwar alle Tweets, nicht jedoch alle Blogs durchforstet werden. Facebook blieb außen vor, weil die dortige Kommunikation größtenteils privat ist.
Trotzdem: Etwa eine Million Tweets und 1.700 Posts in hundert Politik- oder Wirtschaftsblogs sollten reichen, zumindest tendenzielle Aussagen darüber zu treffen, wie Twitterer und Blogger über Tagespolitik sowie Spitzenkandidaten denken.
Lass uns über Politik zwitschern
Die Twitter-Schnipsel und Blogeinträge hat das Uni-Team mithilfe von automatisierten Daten-Tools und teilweise auch „per Hand“ analysiert, von Mitte Mai bis Mitte August 2013. Hinsichtlich der Parteien und der zwei Spitzenkandidaten wurden für Twitter und die Blogs Erhebungen unter jeweils drei Leitfragen vorgenommen:
- Wie oft werden die Parteien/Kandidaten genannt?
- Welche Wertungen bekommen sie?
- Was sind die Themen, mit denen man sie in Verbindung bringt?
Twitter-Beiträge mit politischem Inhalt drehen sich am meisten um die Piraten, die in 28 Prozent der Tweets Erwähnung finden. Abgeschlagen ist hier aber – mit Ausnahme von Die Linke (sechs Prozent) – keine Partei. In Blogs hingegen sind die Piraten kaum Thema (fünf Prozent der Beiträge). Ähnlich marginalisiert ist nur die FDP (sieben Prozent), wohingegen die CDU/CSU 17 Prozent Präsenz in Blogs erreicht und die Parteien links von der CDU Werte zwischen 20 und 25 Prozent.
Bei der Nennungen der Spitzenkandidaten Angela Merkel und Peer Steinbrück wurde eine quantitative Dominanz der Kanzlerin festgestellt, deren Wert für Twitter und für die Blogs 79 Prozent beträgt.
Aber: Es ist nicht per se ein Qualitätsmerkmal, oft Erwähnung zu finden. Personal und Sympathisanten dürfte vor allem interessieren, wie über ihre Partei geschrieben wird. Auf Twitter sind die Piraten auch in dieser Hinsicht führend, gefolgt von der FDP. Für Wahlkämpfer der Liberalen ist das jedoch kein Grund, entspannt die Krawatten zu lockern – die positiven Kommentare sind zu einem beachtlichen Teil ironisch gemeint, da sie sich auf das Satire-Blog gutgemachtfdp.tumblr.com beziehen. Insgesamt werden alle Parteien in knapp mehr als 50 Prozent der Tweets gelobt, die Piraten erreichen fast 70 Prozent.
Merkel und Steinbrück liegen in der Gunst der Twitterer mit 58 bzw. 55 Prozent wohlwollenden Bewertungen ungefähr gleichauf.
Wie schon die quantitative Betrachtung lässt sich auch die qualitative nicht einfach als Blaupause von Twitter auf die Blogs übertragen. Es fällt z. B. auf, dass die Blogger alle Parteien deutlich negativer bewerten, als es die Twitterer tun. Am stärksten positiv eingestuft wird die SPD (ca. 34 Prozent), kurz dahinter steht die FDP. Die Linke hat nur ca. 18 Prozent lobende Erwähnungen.
Der aus Blogger-Sicht beliebtere Spitzenkandidat ist Peer Steinbrück, der Angela Merkel mit 50 zu 20 Prozent Positivkommentaren abhängt.
Wie genau aber die Einstufungen “positiv” und “negativ” zustandekommen, welche konkreten Wertungen also das Ausgangsmaterial bilden, ist aus der Veröffentlichung des Vodafone-Instituts nicht ersichtlich.
Zeit für Inhalte. Twitter-User hängen den Parteien die Themen an, mit denen diese auch in den klassischen Medien häufig verbunden werden. Das sind im Einzelnen: CDU – „Merkel“, CSU – „Fall Gustl Mollath“, SPD – „Steinbrück“, Grüne – „Veggie-Day“, FDP – „Rösler“, Linke – „Blockupy“ und Piraten – „Prism“. Eine entsprechende Zuordnung zwischen Parteien und Themen, die die Blogosphäre betrifft, fehlt. Für die Spitzenkandidaten aber liegen Informationen zur Verbindung zwischen Kandidat und Thema vor. Twitterer nennen Merkel insbesondere zusammen mit „NSA“, „Prism“ und „CDU“, Blogger ergänzen noch um „Hoeness“. Steinbrücks Name scheint auf Twitter fest an „SPD“ gekoppelt, das Thema „Hoeness“ verteilt sich in den Blogs Fifty-Fifty auf Steinbrück und die Kanzlerin.
Nach dem Duell
Die TV-Diskussion der beiden Spitzenkandidaten wurde in Echtzeit auf Twitter kommentiert; das Forscherteam hinter der Vodafone-Studie hat den Tweet-Strom innerhalb der ersten drei Tage nach dem Duell unter die Lupe genommen. Einen eindeutigen Sieger können auch die Wissenschaftler nicht küren: Tweets mit Bezug auf Angela Merkel waren zu gut 60 Prozent affirmativ, Tweets betreffend Peer Steinbrück zu 65 Prozent.
An dieser Stelle zeigt sich Twitter demnach deckungsgleich mit den repräsentativen Umfragen unter allen Wahlberechtigten. Ansonsten aber gilt, was Prof. Neuberger konstatiert: „Twitter und Top-Blogs liefern kein verkleinertes Abbild der Stimmungslage in der Wählerschaft.“ Müssen sie auch nicht – es ist bereits einiges wert, dass sie Diskussionen entfachen, die andernorts totgeschwiegen werden.
Die ganze Studie: http://bit.ly/1d59TSA
Bild: Vodafone Institut
In der obigen Grafik hat man die AfD völlig vergessen !!!
Helmut Gobsch
Lieber Herr Gobsch,
das ist mir auch aufgefallen. Auf Nachfrage wurde aber mitgeteilt, dass alle zur kommenden Bundestagswahl zugelassenen Parteien in die Analyse einbezogen wurden.
Ich habe noch mal bei Prof. Stieglitz nachgefragt, einem der Studienautoren. Er sagt, dass kleinere Parteien – darunter die AfD – nicht gezielt ausgewertet wurden, weil aus Ressourcengründen eine Beschränkung notwendig gewesen sei.
Eine Analyse, die auch die AfD umfassen kann, soll Ende November veröffentlicht werden.