Wenn es um die Wahlkampfführung geht, blicken die deutschen Parteien gerne über den Atlantik. 2009 waren alle Parteien bestrebt, die Social Media-Taktiken von Barack Obama auch für den Bundestagswahlkampf einzusetzen. Facebook-Seiten, Twitter-Profile und YouTube-Kanäle sprießten am deutschen Social-Media-Himmel. Auch im Wahlkampfjahr 2013 entdeckt der aufmerksame Beobachter das eine oder andere bekannte Tool aus Übersee. Besonders en vogue ist in dieser Wahlkampfsaison das Canvassing.
Der Haustürenwahlkampf – oder zu neudeutsch Canvassing – ist eine im angelsächsischen Wahlkampf fest verankerte Strategie, um direkten Kontakt zu bestimmten Wählergruppen aufzunehmen. Ein Kampagnenteam oder ein Kandidat geht in einem vorher festgelegten Gebiet von Haus zu Haus und verwickelt die dort wohnenden Wähler in direkte Gespräche. Angewandt im Rahmen von Wahlkämpfen dient diese Art der Kontaktaufnahme in erster Linie der Mobilisierung, entweder um Freiwillige für den Wahlkampf zu gewinnen oder um die Wähler zum Urnengang zu bewegen (Get out the Vote).
Im Sommerinterview mit dem ZDF kündigte Peer Steinbrück an, dass die SPD bis zum 22. September an bis zu fünf Millionen Haustüren klopfen möchte. Sein Ziel: Die Bürger über den Wahltermin informieren. Einen möglichen Gesprächsaufhänger soll dabei der seit dem 1. August bestehende Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz bilden. Über die Online-Organisationsplattform werden Mitglieder und Unterstützer zur Beteiligung aufgerufen: “Registrier Dich auf mitmachen.spd.de, schließ Dich dem Team in Deiner Nachbarschaft an und komme mit uns von Tür zu Tür.”
Auch die Grünen setzen im Wahlkampf 2013 erneut auf den Haustürenwahlkampf. Sie sammelten bereits im Berliner Wahlkampf 2011 erste Erfahrungen mit der amerikanischen Wahlkampftaktik. Ihr Fazit: “Canvassing ist ein super Mittel, effizient viele Leute persönlich zu sprechen. (…) Gekoppelt mit einer zusätzlichen Präsenz im Kiez, ergibt sich ein enormer Wiedererkennungswert”, so Silke Gebel. Damit der Gang von Tür zu Tür auch 2013 glatt läuft, produzierte die Partei sogar einige Videos mit Tipps und Tricks. Besonders geeignet sind demnach Besuche in Zweiergrüppchen zur Feierabendzeit.
So vielversprechend die Inspiration aus Übersee auch sein mag, eins zu eins übertragbar ist sie dennoch nie. Kulturelle Eigenarten oder Wahlsysteme können den Erfolg von amerikanischen Wahlkampftaktiken in Deutschland extrem einschränken. Für Viele bilden die eigenen vier Wände einen Rückzugsort, an dem Fremde keinen Zutritt haben. So mag es also gut sein, dass die Wahlkämpfer vor verschlossener Tür stehen bleiben. Laut einer Emnid-Umfrage aus dem Juli 2013 wollen zwei Drittel der Deutschen ihre Tür gar nicht erst öffnen, wenn Wahlwerber klingeln. Zu schlecht sind möglicherweise die Erfahrungen mit Hausbesuchen von Anhängern religiöser Sekten, die sich der Taktik der Hausbesuche ebenfalls bedienen.
Doch die Statistik lässt die Parteien nicht zurückschrecken. Sie setzen im Wahlkampf auf die 30% der Bürger, die geneigt sind, ihre Tür zu öffnen. Der Hausbesuch ist für viele Deutsche schließlich der erste Kontakt mit einem Kandidaten überhaupt – ein perfektes Szenario um gerade unentschlossene Wähler zu erreichen. Und wenn es mit dem Türklingeln dann doch nicht klappen mag, hat Obama uns zum Glück noch zahlreiche weitere Wege für einen direkten Austausch mit den Wählern gezeigt. Das das Konzept “Dinner with Obama” erfreut sich beispielsweise einer deutschen Adaption: Steffi Lemke umgeht die verschlossenen Türen und lässt sich zu Wohnzimmergesprächen von interessierten Wählern gleich einladen.
Nina Keim bloggt unter anderem auf Amerika Wählt über Wahlkämpfe in den USA.
Hier finden Sie Teil 1 unserer Kolumnenreihe “Wahlspots”: “Vom Wahltermin zur Politikverdrossenheit?”
Bilder: m.p.3. via flickr, Rainer Sturm via pixelio.de