Soziale Medien sind bei Politikern en vogue, das haben wir nicht zuletzt in Niedersachsen gesehen. Seitdem die Piraten in das Berliner Abgeordnetenhaus eingezogen sind, kann sich praktisch kein Politiker mehr erlauben, nicht auf Facebook und Twitter präsent zu sein. Und ein Blog gehört oft auch dazu. Allerdings könnte für die Wahlen im Herbst eine ganz andere Plattform entscheidend sein: Wikipedia.
Die Enzyklopädie gibt es nun schon seit 2001, sie gehört zu den zehn am häufigsten aufgerufenen Websites der Welt. Grundlage des Projektes ist die Idee, dass keine Redaktion wie beim Brockhaus oder der Encyclopaedia Britannica entscheidet, was wichtig ist, sondern die Online-Community. Jeder Surfer kann Artikel bearbeiten, sofern er sich an die Richtlinien und Gepflogenheiten des Projekts hält.
Der Fall Lindner
Die Bedeutung, die Wikipedia in der Politik mittlerweile zugemessen wird, wird am Fall Christian Lindner deutlich: Anfang Januar wurde bekannt, dass der FDP-Vorsitzende von Nordrhein-Westfalen beziehungsweise ein Mitarbeiter seinen Artikel gezielt geschönt hat. “Wir senden Korrekturvorschläge an Wikipedia”, hieß es damals – was verständlich ist, denn der Beitrag erreichte 2012 etwa 12.000 Leser im Monat. Das ist ähnlich viel wie die Likes, die Lindner auf Facebook gesammelt hat – seit seiner Anmeldung.
Nirgendwo kann man als Politiker so neutral und übersichtlich Informationen präsentieren wie in Wikipedia. Fast schon legendär ist in der Community auch der Fall, als Freiherrn Karl-Theodor zu Guttenberg ein zusätzlicher Vorname geschenkt wurde und alle großen Medien diesen aus der Enzyklopädie abgeschrieben haben. Genau auf dieses Vertrauen spekuliert wohl auch der eine oder andere Politiker.
Politische Profile
Die Änderung eines Artikels muss aber nicht zwangsläufig zum Skandal werden. Es gibt löbliche Ausnahmen, die sich gegen einen anonymen Eingriff entschieden haben: Doris Schröder-Köpf, Gattin des Altkanzlers und frisch gewählte Abgeordnete in Niedersachsen, besitzt ein sogenanntes verifiziertes Benutzerprofil. Das bedeutet, dass sie unter ihrem Klarnamen auftritt und ihre Identität gegenüber dem Support-Team der Wikipedia ausgewiesen hat. Auch CSU-Urgestein Alois Glück und Marina Weisband (Piraten) machen von der Möglichkeit Gebrauch, jedem Leser zu zeigen, woher ein Eingriff an ihrem Artikel stammt.
Unter der Bezeichnung “Gruene-nrw” arbeitet sogar das offizielle “Online-Team” einer etablierten Partei an Wikipedia mit. Auch wenn die verifizierten Benutzer bisher nur wenige Bearbeitungen aufweisen: Der Trend, den Unternehmen wie Microsoft, Bertelsmann oder Daimler im Jahr 2012 gesetzt haben, wird in diesem Jahr sicher auch vor der Politik nicht haltmachen.
Landtagsprojekt
Einen großen Anteil daran, dass Wikipedia in der Politik immer stärker wahrgenommen wird, trägt aber auch die Community selbst: Im Rahmen des sogenannten Landtagsprojektes werden bereits seit 2009 regelmäßig Länderparlamente besucht, um Fotos der Abgeordneten aufzunehmen. Niedersachsen, Thüringen, Hamburg, Bayern und Sachsen-Anhalt sind schon abgedeckt, in den nächsten Monaten kommen zahlreiche Landtage dazu. Nicht nur den Politikern aus Hessen dürfte es gefallen, dass vor der Wahl im Herbst ein schönes Foto ihrer Person in Wikipedia zu sehen ist, zumal es unter einer freien Lizenz steht.
Die Gespräche, die am Rande der Aufnahmen mit Abgeordneten stattfinden, sensibilisieren sie zweifellos für das Anliegen der Wikipedia – im positiven wie im negativen Sinne. Selbstverständlich besteht die Gefahr, dass die Wikipedia durch politische Einflussnahme für Zwecke vereinnahmt wird, die nichts mit ihren Idealen zu tun haben. Zum Beispiel finden sich unter den Ergebnissen des Landtagsprojektes 2011 [nach Hinweis von Herrn Kosinsky (s.u.) korrigiert – die Red.] in Mecklenburg-Vorpommern auch Bilder von Vertretern der NPD, etwa Udo Pastörs.
Wahlforschung
Wofür sich Politiker und Journalisten interessieren, muss für Wahlforscher nicht wichtig sein. Bei der Vorhersage von Wahlen spielt die Wikipedia in Deutschland bisher kaum eine Rolle – obwohl beispielsweise in den USA längst bekannt ist, dass die Zahl der Änderungen eines Artikels Aufschluss darüber gibt, wer sich etwa in den Vorwahlen durchsetzt. Wer die Zugriffszahlen auf einzelne Artikel niedersächsischer Politiker verfolgt hat, konnte auch hierzulande sehen, dass zwischen der Beliebtheit des Beitrags und dem Wahlausgang eine deutliche Korrelation besteht. Da aber nicht alle Länderabgeordneten vollständig in Wikipedia vertreten sind, wird erst die nächste Bundestagswahl zeigen, wie gut Wikipedia wirklich zur Vorhersage taugt.
Fazit
Spätestens dann dürften alle überregional bekannten Politiker in Wikipedia angekommen sein. Während sie auf Facebook und Twitter kaum einen messbaren Nutzen für ihren Wahlkampf sehen, sind die Möglichkeiten im Fall der Wikipedia klar definiert – sowohl für konstruktive Beiträge als auch Manipulationen.
In Mecklenburg-Vorpommern hat im Jahr 2011 kein Landtagsprojekt stattgefunden. Dies wird erst im Juni 2013 stattfinden. Die Seite http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Landtagsprojekt/Mecklenburg-Vorpommern/Aktueller_Stand zeigt den aktuellen Stand der in der Wikipedia bisher vorhandenen Fotos. Im Rahmen des Landtagsprojektes werden Fotos mit neutralem Hintergrund erstellt.
Im Artikel heißt es “Wer die Zugriffszahlen auf einzelne Artikel niedersächsischer Politiker verfolgt hat …”. Wo sind diese Zugriffszahlen zu finden?
@Hb: Die Zugriffszahlen jedes einzelnen Wikipedia-Artikels kannst du am Ende des Beitrags (Link “Abrufstatistik”) sehen.
Als ehrenamtlicher Mitarbeiter an zwei von fünf bis dato durchgeführten Landtagsprojekten kann ich Ihnen versichern, dass der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern nocht nicht besucht wurde, somit noch kein Bild von Udo Pastörs im Rahmen des Projektes entstanden ist und falls dem so wäre, dann wäre das nicht im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung seiner Partei geschehen.
Abgesehen von den inhaltlichen Fehlern wurde bei allen obigen Politikerporträts die Lizenzbedingung (kurz “nenne Name und Lizenz”) nicht eingehalten.
Ich fordere dazu auf, dies sofort nachzuholen.