Auf der Internetplattform abgeordnetenwatch.de können Bürger Politiker öffentlich zu ihrer politischen Arbeit befragen. Trägt Abgeordnetenwatch damit zu mehr Transparenz in der Politik bei? Ja, meint der Bundestagsabgeordnete Volker Wissing und bezeichnet die Plattform als Antworten-Inkasso der Bürger. Der Wiesbadener CDU-Stadtverordnete Hans-Joachim Hasemann-Trutzel bestreitet das.

Bereits seit vielen Jahren ermöglicht die Internetplattform www.abgeordnetenwatch.de jedem Bürger, in Kontakt mit deutschen Parlamentariern in ihrem Wahlkreis oder auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene zu treten und sie zu ihrer Politik zu befragen. Dazu legt Abgeordnetenwatch eigenständig die Profile der jeweiligen Amtsträger an und liefert Informationen über deren parlamentarisches Abstimmungsverhalten.

Gegründet wurde die Plattform mit dem Ziel, einen direkten Draht zwischen Bürgern und Politikern herzustellen und durch einen öffentlichen Dialog Transparenz zu schaffen. Die Politiker selbst sind nicht dazu verpflichtet, auf der Plattform aktiv zu sein. Allerdings müssen sie mit der Kritik leben, Anfragen der Bürger zu ignorieren. Angela Merkel beantwortet die Fragen auf abgeordnetenwatch.de nicht, während beispielsweise  der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion Thomas Oppermann in der laufenden Legislaturperiode fast alle Bürgerfragen beantwortet hat (Stand 28.2.12: 64 Fragen/61 Antworten).

Für Aufsehen hatte Ende vergangenen Jahres eine Ankündigung von 25 der 27 CDU-Stadtverordneten im Wiesbadener Rathaus gesorgt, Abgeordnetenwatch zu verklagen, falls nicht die Bitte respektiert werde, die Aufnahme in das Portal rückgängig zu machen. Der Wiesbadener CDU-Stadtverordnete und Rechtsanwalt Hans-Joachim Hasemann-Trutzel, der zu den Unterzeichnern des Briefes an Abgeordnetenwatch gehört, bezweifelt, dass die Plattform für mehr Transparenz in der Politik sorgt: Die Ansammlung von Daten schaffe Verwirrung und verzerre das Bild der Politiker, argumentiert er. Anders sieht das der FDP-Abgeordnete Dr. Volker Wissing, der zuletzt in einem von Abgeordnetenwatch erstellten Ranking Platz 1 in der Antwortbilanz aller Bundestagsabgeordneten erreichte. Aus seiner Sicht macht die Internetplattform die Demokratie direkter, einfacher und verständlicher – ein Gewinn für die Demokratie.

Pro-Standpunkt Dr. Volker Wissing

Abgeordnetenwatch – das Antworten-Inkasso der Bürgerinnen und Bürger

Seit jeher erhalten Abgeordnete Anfragen zu zahllosen Themen. Abgeordnetenwatch bietet Politikerinnen und Politikern die Möglichkeit, Fragen zu beantworten und ihre Meinung vielen Bürgerinnen und Bürgern zugänglich zu machen. Die Struktur der Seite verhilft Interessierten dazu, schnell und einfach ihren Wahlkreisabgeordneten ausfindig zu machen und dessen Meinung zu bestimmten Themen zu erfragen. Das ermöglicht eine weit bewusstere politische Willensbildung,  da es für den Bürger möglich wird, die persönliche politische Sichtweise seines Abgeordneten zu erfragen.

Das heißt nicht, dass der Politiker nicht auf Formschreiben seiner Partei zurückgreifen darf, schließlich ist es auch legitim, wenn jemand mit der offiziellen Meinung seiner Partei oder Fraktion vollständig übereinstimmt. Auch das ist ein Signal an die Bürgerinnen und Bürger. Wähle ich einen Abgeordneten, der stets die Meinung seiner Partei vertritt, oder gebe ich jemandem den Vorzug, der auch mal von der Meinung abweicht, im Umkehrschluss aber auch für mich als Wählerin oder Wähler schwieriger einzuschätzen ist?

Abgeordnetenwatch macht die Demokratie direkter, einfacher und verständlicher. Schließlich handelt es sich bei dem Gros der Anfragen nicht um politische Fangfragen, sondern um ganz konkrete Sachfragen. Dabei ist es auch für den Abgeordneten spannend, sich mit Themen vertieft zu beschäftigen und sich in die Lage zu versetzen, die Frage des Bürgers zu beantworten. Und selbst wenn ein Abgeordneter mal eine Frage nicht beantworten möchte, hat er die Freiheit, dem Fragenden dies offen mitzuteilen.

Der Frage-Antwort-Prozess, der sonst unter Ausschluss der Öffentlichkeit zwischen Bürger und Politiker stattfindet, wird transparent gemacht. Für wen sollte das von Nachteil sein? Jeder Abgeordnete ist bemüht, Anfragen zu beantworten, die an ihn gerichtet werden, sei dieses via Mail, Post oder auf anderem Wege. Wenn er nun die Chance hat, mit einem Schreiben die Fragen zahlreicher Bürgerinnen und Bürger zu beantworten, ist das ein Vorteil.

Abgeordnetenwatch ist das Antworten-Inkasso der deutschen Politik. Aber so wie ein reguläres Inkassounternehmen nur berechtigte Forderungen eintreiben sollte, fordert Abgeordnetenwatch nur legitime Rechte der Bürgerinnen und Bürger ein: nämlich Antworten auf Fragen. Abgeordnetenwatch erleichtert die politische Arbeit, indem es dem Politiker ein Forum verschafft, in welchem er auf eine Frage antworten und viele Menschen auf einmal erreichen kann. Transparenz ist hier keine Gefahr, sondern eine Arbeitserleichterung und ein Gewinn für die Demokratie.

Contra-Standpunkt Hans-Joachim Hasemann-Trutzel

Die Beantwortung der Frage, ob Abgeordnetenwatch für mehr Transparenz in der Politik sorgt, hängt von den Leistungen von Abgeordnetenwatch wie auch dem Transparenzverständnis ab. Die Idee, Politik transparent zu gestalten, ist so alt wie der Gedanke an Demokratie und die Idee der Wahl der Besten zur Vertretung des Volkes. Gegenstand der Politik ist indes die  Steuerung von Staat und Gesellschaft im Ganzen.

Wenngleich Entscheidungen häufig emotional begleitet werden, so ist Politik von der Aufgabenstellung her themen- bzw. sachbezogen. Will man tatsächlich Transparenz – Durchsichtigkeit und Verständlichkeit – schaffen, dann ist das Aufbereiten der Sachthemen, die Darstellung der Hintergründe, das Aufzeigen alternativer Entscheidungsmöglichkeiten wie letztlich die Erklärung, warum gerade eine ganz bestimmte Entscheidung getroffen wurde, zentrales Element. Abgeordnetenwatch leistet das nicht!

Der Bundestag, 8 von 16 Landtagen sowie 40 von 11.289 Gemeinden (vgl. http://www.gemeindeverzeichnis.de/dtland/dtland.htm) nehmen teil. Abgeordnetenwatch geriert sich als neutraler Mittler. Abstimmungsverhalten, Mitgliedschaften, Einkünfte etc. werden erfasst, nach einem selbst generierten Kodex geprüfte Fragen werden an Teilnehmer weitergeleitet. Fragen und Antworten bleiben dauerhaft abrufbar. Wer was warum fragt, bestellt oder nicht, ist offen.

Zudem bietet Abgeordnetenwatch jedem Politiker die Möglichkeit, gegen Entgelt eine Profilerweiterung zu hinterlegen. Die Ansammlung individueller Fragen und Antworten schafft ein Mehr an Daten, Verwirrung, Unübersichtlichkeit und Verzerrung. Inhalte werden dadurch nicht überschaubarer, es entsteht dadurch keineswegs ein Mehr an Transparenz, Verständlichkeit oder Teilhabe. Abgeordnete sind alle im Netz erreichbar, vielfach auch über Facebook und Twitter.

Bundestag und Landtage stellen alle von Abgeordnetenwatch erhobenen Sach- und Personendaten allgemein zur Verfügung. Ein Zusatznutzen ist nicht erkennbar. Sachentscheidungen werden in der Regel durch Experten der Regierungen, in Fraktionen und Gremien erarbeitet und vorbereitet. Individuelle und völlig sachfremde Einflüsse sind zwar nicht ausgeschlossen, werden aber durch persönliche Antworten auch nicht offenbar. Eine Plattform mit der Möglichkeit des persönlichen Zurschaustellens – Profilerweiterungen, bestellte Fragen -, einem „body counting“ durch Auszählen beantworteter, offener und Standard-Antworten, der Darstellung der Antwortfrequenz nach Parteizugehörigkeit leistet keinen Beitrag zur Durchsichtigkeit der Politik – eher einen ab-wat(s)ch.

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