Vom 22. bis 23 Oktober 2012 fand im Jüdischen Museum in Berlin die internationale Konferenz “Zugang gestalten!” statt, auf der zwei Tage lang Fachleute aus Kultur, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik aktuelle Fragen des Zugangs zum kulturellen Erbe im Informationszeitalter erörterten.
Organisiert wurde die Konferenz vom Jüdischen Museum Berlin, der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, dem Internet & Gesellschaft Co:llaboratory, iRights.Lab Kultur, der Open Knowledge Foundation Deutschland und Wikimedia Deutschland. Im Laufe der Konferenz wurde die derzeitige Situation der Kulturerhaltung in der digitalen Gesellschaft skizziert und es wurden verschiedene Projekte vorgestellt, die neue Wege des Zugangs zum kulturellen Erbe entwickeln. Eine besondere Rolle kommt dabei dem Bürger zu, der in Zukunft entscheidenden Einfluss darauf nehmen wird, wie die Gesellschaft ihr Kulturerbe nutzen kann.
Am ersten Tag ging es um eine Bestandsaufnahme der Möglichkeiten und Probleme des Zugangs zu Wissen. Dabei kristallisierten sich sehr schnell die beiden Positionen in der Debatte heraus. Der Geschäftsführende Direktor der Stiftung Jüdisches Museum Berlin, Börries von Notz, und der Wissenschaftshistoriker Prof. Dr. Jürgen Renn vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte plädierten beide für mehr Offenheit und Freiheit im Umgang mit kulturellen Werken. Renn betonte die Chancen, dank der Digitalisierung das globale Kulturerbe der Menschheit miteinander zu verknüpfen und allen zugänglich zu machen zu können. Er kritisierte vor allem die Wissenschaftsverlage. Infolge der Anwendung analoger Prinzipien auf die digitale Welt und einer mangelnden Innovationsfreude erschwerten sie die Kommunikation wissenschaftlicher Ergebnisse. Renn forderte deshalb, proprietäre Inhalte und Strukturen in der Wissenschaft nicht weiter zu unterstützen, um so ein Web des Wissens zu erreichen. Börries von Notz plädierte für die Abschaffung des Rechts auf Urheberschaft bei Kulturgütern und forderte, diese „gemeinfrei“ zu machen. Von Notz argumentierte, dass die urhebenden Wissenschaftler bereits durch die öffentliche Finanzierung vergütet werden und das Werk somit bereits der Allgemeinheit gehöre.
Zugang zu kulturellem Erbe begrenzen?
Die Vorträge des Berliner Rechtsanwalts Christian Czychowski und des Regierungsdirektors der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, Robert Kirchmaier, gingen in die entgegengesetzte Richtung. Beide forderten eine Begrenzung des Zugangs zum kulturellen Erbe. Sie begründeten ihre Position mit einer wirtschaftlichen Wertsteigerung des Privilegs, Zugriff auf Kunst und Kultur zu haben. Die Staatssekretärin des Bundesjustizministeriums, Dr. Birgit Grundmann, unterstützte diese Argumentation des “unsozialen Eigentumspopulismus” mit der Aussage, dass das “geistige Eigentum” ein Eigentumsrecht im Sinne des Grundgesetzes sei. Inwiefern sich diese Sichtweise auf den angekündigten Gesetzesentwurf zu verwaisten Werken auswirkt, wird abzuwarten sein. Zweifelsfrei berührt die Urheberrechtsdebatte viele Problemfelder, deren Lösung auch auf die Gestaltung des Zugangs zum kulturellen Erbe Auswirkungen haben wird. Dr. Paul Klimpel, der Leiter der Konferenz, machte deshalb auch klar, dass wir nicht mehr über das „Ob“ der Gestaltung des Zugangs zum kulturellen Erbe reden, sondern nur noch über das „Wie“: “Es ist der Zugang, der entscheidet, welche Zukunft das kulturelle Erbe haben wird”.
Der Nutzer als zentraler Akteure
Am zweiten Konferenztag standen die Visionen und Tabus im Vordergrund der Debatte. Gleichzeitig wurde die Rolle des Nutzers thematisiert und als entscheidend herausgestellt. Die Gesellschaft müsse sich entscheiden, nach welchen Prinzipien sie leben möchte, verdeutlichte Wikimedia-Vorstandsmitglied Pavel Richter den Kern der Diskussion. In der Integration der Bürger als Nutzer des kulturellen Erbes sieht er eine Tendenz in unserer Gesellschaft, die – wie bei analogen Beispielen, z.B. des “Urban Gardening” oder von “Shared Spaces”- auf Beteiligung statt Ausschluss setzt. “Nicht der Zugang zu kulturellem Erbe unterliegt einer Begründungspflicht, sondern dessen Verknappung”, erklärte Richter seine Forderung nach einem Umdenken in der Gesellschaft. Dabei nahm er auch den Staat in die Pflicht, sich mehr für den Erhalt des kulturellen Erbes mit den Mitteln der Digitalisierung einzusetzen und die Erinnerungskultur nicht privaten und gemeinnützigen Initiativen allein zu überlassen.
Ralph Giebel von emc Corporation betonte, dass es vollkommen in Ordnung sei, auch mit Open-Source-Projekten Geld zu verdienen, und ein Geschäftsmodell auf den freien Zugang zu kulturellem Erbe aufzubauen. Er zeigte am Beispiel seines Arbeitgebers, dass dies klappen kann. Die Gesellschaft müsse sich nur entscheiden, ob sie das auch möchte.
Das Mitglied des britischen Nationalarchivs, Joseph Pugh, plädierte in seinem vielfach gelobten Vortrag für ein neues Denken in Kulturinstitutionen. Der Blick auf die Nutzergemeinde im Internet müsse sich ändern. Die crowd müsse dabei wie Freunde betrachtet werden, die wir nie hatten. Kein Digitalisierungsprojekt könne heute von einer oder nur wenigen Institutionen bewältigt werden, weshalb eine Auslagerung von Arbeit ins Internet Kosten und Zeit sparen könne.
Viele spannende Projekte und neue Geschäftsmodelle
Auf der Konferenz wurde eine Vielzahl von Projekten vorgestellt, die Instrumente der Digitalisierung nutzen, um neue Wege des Erhalts von kulturellen Werken zu entwickeln und somit ihren Zugang neu zu gestalten. “First We Take Berlin”, Gewinner des Publikumspreises, stellt Videomaterial eines von den Fernsehsendern RBB und ARTE produzierten Filmprojekts “24h Berlin” aus dem Jahr 2008 zur Verfügung, für das 80 Kamerateams Berlin einen ganzen Tag lag filmisch kartografierten. Das Material stellt den Ausgangspunkt für eine Gesellschaftsdiskussion dar und geht der Frage nach, wie wir im 21. Jahrhundert leben wollen.
Das Wikipedia-Residents-Projekt GLAM verbindet historische Geschichtsforschung mit den Möglichkeiten der Digitalisierung und des kollaborativen Arbeitsansatzes einer digitalen Wissensgesellschaft. DM2E versucht durch die Verlinkung verschiedener Informationen Wissen miteinander in Bezug zu setzen, Zusammenhänge aufzuzeigen und neue Blickwinkel in der Forschung zu eröffnen. Die Europeana arbeitet an einem digitalen Archiv von privaten Erinnerungsstücken aus dem Ersten Weltkrieg (und im kommenden Jahr zum Fall des Eisernen Vorhangs im Jahr 1989), um Historikern, aber auch Bürgern einen neuen Zugang zu Informationen und Wissen vom heimischen Computer aus zu ermöglichen. Harry Verwayen vom Projekt Europeana und Amit Sood vom Google Art Project zeigten in ihren Vorträgen neue Möglichkeiten der digitalen und freien Nutzung auf.
In einer am Nachmittag veranstalteten Diskussionsrunde redeten Gabriele Beger, Direktorin der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, zusammen mit Rechtsanwalt Till Kreutzer, dem grünen Bundestagsabgeordneten Konstantin von Notz und Verena Metze-Mangold, Vizepräsident der Deutschen UNESCO-Kommission, über die Visionen und Tabus in der Debatte über die Gestaltung des Zugangs zum Kulturerbe. Moderator Paul Klimpel eröffnete die Diskussionsrunde mit der Bitte, sich das Internet als Teil unserer Gesellschaft wegzudenken. Er zeichnete das Bild einer öffentlichen Institution, die es mehrfach in jeder Stadt in Deutschland geben könnte, deren Etablierung mehrere Millionen Euro kosten würde und in der Werke geliehen, gelesen, verwendet und kopiert werden können – die Bibliothek.
Dieser analoge Vergleich war ein hervorragender Auftakt für eine informative und frei von Tabus geführte Diskussion, in der Gabriele Beger darauf hinwies, dass auch die Einführung der Bibliothekstantieme (eine Pauschalabgabe, bei der Bibliotheken rund 3-4 Cent pro Ausleihe an die VG Wort zahlen) seinerzeit für heftige Diskussionen gesorgt hätte. Ebenso wie die Diskussionen über eine Abgabe für die Verwendung von leistungsfähigen Kopierern führten auch diese schließlich zu einer Urheberrechtsnovelle. Beger betonte, dass das “Geschrei” bei Einführungen neuer Techniken schon eine gewisse Tradition habe, und plädierte für einen weniger hysterischen Tonfall in der Debatte. “Wer seine Geschäftsmodelle nicht ändert, schafft sich ab”, fasste sie die Perspektiven der Unterhaltungs- und Kulturindustrie zusammen. Eine Reform des Urheberrechts ist ihrer Meinung nach überfällig, denn Recht müsse sich immer den gesellschaftlichen Veränderungen anpassen. Eine Generation, die ohne Besitzdenken und mit den Möglichkeiten des globalen Teilens aufwachse, habe andere Bedürfnisse und werde sich nicht von “unrealistischen Forderungen wie dem Leistungsschutzrecht für Presseverlage” beeinflussen lassen.
Verena Metze-Mangold wies darauf hin, dass die Diskussion um die Liberalisierung von Verwertungs- und Nutzungsrechten den Blick auf den öffentlichen Raum einer Gesellschaft lenke. Bürger haben im öffentlichen Raum mehr Rechte, die sie sich aber durch Kommerzialisierung von Kultur nicht nehmen lassen dürfen. Um für kulturelle Vielfalt in einer sich stets verändernden Welt zu sorgen, müsse der öffentliche Raum als europäisches Gesellschaftsmodell die Grundlage für eine Lösung sein und nicht die Kontroverse zwischen staatlicher Kulturförderung und wirtschaftlichen Geschäftsmodellen. Unsere Kultur basiere auf unserem kulturellen Erbe, wir “stehen auf den Schultern der Wissensriesen unserer Vorfahren” und dürften den Zugang zum Kulturerbe nicht verbauen, so Metze-Mangold weiter. Ein gesellschaftlicher Umbruch stehe bevor, wir müssten uns vergewissern, mit welchen Prinzipien wir in die Zukunft gehen wollen.
Innovation und Kreativität durch weniger Regeln
Till Kreutzer versuchte den Ausgangspunkt der Debatte um eine Reform des Urheberrechts mit neuen Sichtweisen zu erweitern. Nicht ein Mehr an Kontrolle sorge seines Erachtens für mehr Werke und somit für mehr Geld, sondern der Zusammenhang sei genau umgekehrt. Innovation und Kreativität würden durch weniger Reglementierung gefördert und ermöglichten mehr Menschen, am kulturellen Erben teilzuhaben. Auch Konstantin von Notz fragte sich, ob diese Entwicklung überhaupt noch steuerbar sei, und verwies auf unkontrollierte Umbrüche in der Geschichte, die mit der Digitalisierung vergleichbar seien, wie die Erfindung des Buchdrucks. Als Politiker sehe er seine Aufgabe im Erkennen von Prozessen und in der entsprechenden Gestaltung der Gesellschaft. Zugleich zeigte er Verständnis für die vom Veränderungsdruck Betroffenen, gab aber zu bedenken, dass Innovation statt Abwehrverhalten für neue Entwicklungen förderlicher seien.
Pavel Richter forderte ein funktionierendes System des Urheberrechts, in dem die Gesellschaft über Regeln der Nutzung und Verwertung bestimmt und nicht die Unternehmen, die den Zugang zum kulturellen Erbe aus wirtschaftlichen Interessen kontrollieren wollen. Konstantin von Notz betonte die gewachsene Bedeutung der Remixkultur in der digitalen Gesellschaft und zeigte sich von den großen Potenzialen, die das globale Teilen von Wissen mit sich bringe, begeistert. Er sprach sich für das finanziell teure und politisch schwierige Vorhaben der Förderung einer sogenannten „Gemeinfreiheit“ von kulturellen Werken aus. Beger prophezeite den Bibliotheken eine Zukunft, die auf der Idee der „Gemeinfreiheit“ basiere und entsprechend funktionierende Geschäftsmodelle unterstütze. Till Jäger rückte erneut den Nutzer in den Mittelpunkt des Gestaltungsinteresses, denn die Nutzer würden in Zukunft die Bedeutung von kulturellen Werken mitbestimmen und nicht mehr ausschließlich die Experten.
Wichtiger Beitrag in der Diskussion um die Gestaltung des Zugangs zum kulturellen Erbe
Den Organisatoren der Konferenz “Zukunft gestalten!” ist mit ihrer Veranstaltung ein wichtiger Beitrag in der Diskussion um die Gestaltung des Zugangs zu unserem kulturellen Erbe gelungen. Alle Seiten kamen dabei zu Wort und viele innovative Projekte zum Umgang mit freien Wissen wurden thematisiert und vorgestellt. Die Konferenzteilnehmer vor Ort, aber auch das interessierte Publikum in den zahlreichen Kommunikationskanälen zeigte sich begeistert und lobte die besondere Qualität und das hohe Niveau der Veranstaltung. Es bleibt zu wünschen, dass es im kommenden Jahr eine dritte Konferenz zur Bedeutung und den Möglichkeiten des kulturellen Erbes in der digitalen Gesellschaft geben wird. Und man kann nur hoffen, dass die Umsetzung von einigen Ideen und Forderungen bis dahin bereits begonnen haben wird.