„Man kann Wahlen nicht durch das Internet gewinnen, aber man kann sie durch das Internet verlieren“. Diese These vertritt Professor Gerhard Vowe von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Im zweiten Teil des Interviews mit dem Kommunikationswissenschaftler geht es um die Wirkung des Internets auf die Politik, den Wandel der Massenmedien und den Trend für die Bundestagswahl 2013.
politik-digital.de: Herr Prof. Vowe, am Beispiel USA sieht man, welche Wirkung das Internet auf die Politik haben bzw. inwieweit die Politik zum Beispiel über soziale Netzwerke erfolgreich einen Wahlkampf führen kann. Wie hat sich die politische Kommunikation generell in den letzten Jahren entwickelt? Sind auch eindeutige Tendenzen für Deutschland erkennbar?
Gerhard Vowe: Generell verändert sich die politische Kommunikation vor allem dadurch, dass die traditionellen Grenzen zwischen Massenkommunikation, Gruppenkommunikation, interpersonaler Kommunikation und Computerkommunikation verschwimmen. Früher war das alles scharf getrennt. Heute haben sich große Überschneidungsflächen herausgebildet, die öffentliche Kommunikation prägen. Am anschaulichsten wird das an einem Smartphone. Ich lese einen Artikel auf Spiegel-Online, gebe ihn mit einem Kommentar von mir meinem Facebook-Freundeskreis bekannt, bekomme dann eine wütende Reaktion von jemanden, die ich beantworte, nachdem ich einige Fakten in einer wissenschaftlichen Datenbank recherchiert habe. Und das alles ohne Medienbruch und mit ganz niedrigen Schwellen!
Diese Veränderungen betreffen selbstverständlich nicht nur die politische, sondern auch die ökonomische und die wissenschaftliche und weitere Kommunikation. Sie stellt öffentliche Kommunikation auf eine völlig neue Basis. Darauf müssen alle reagieren, auch die traditionellen Massenmedien.
politik-digital.de: Sie befassen sich in Düsseldorf insbesondere mit dem Thema Online-Medien. Auch soziale Netzwerke, wie YouTube, Facebook & Co gewinnen dabei immer mehr an Bedeutung, zum Beispiel war YouTube Informationslieferant für ausländische Medien während des arabischen Frühlings. Welche Entwicklungen beobachten Sie?
Gerhard Vowe: Wir erleben derzeit, wie die Leitfunktion im Medienbereich in den Online-Bereich wandert. Die Online-Medien – von Nachrichtenseiten bis zu den sozialen Netzwerken – geben mittlerweile den Ton und den Takt an. Dies hat Auswirkungen auf die klassischen Medien: Auch die Tageszeitung wird hektischer, auch das Fernsehen wird hypertextueller. In einer Online-Welt verstärkt sich der Faktor der Kommunikation mit anderen medial vermittelt über soziale Netzwerke. Von daher werden die klassischen Massenmedien und auch ihre Netzableger an Bedeutung verlieren. Das bedeutet nicht, dass sie ohne Bedeutung sind; dies zeigt sich konkret daran, dass z.B. in Videoplattformen ein Großteil der politisch bedeutsamen Clips aus Schnipsel aus den klassischen Massenmedien beruht.
politik-digital.de: Könnten Online-Medien wie soziale Netzwerke klassische Massenmedien wie Zeitung und Fernsehen irgendwann ablösen?
Gerhard Vowe: Die traditionellen Medienanbieter müssen doppelt fahren: Ökonomisch und publizistisch sind die klassischen Angebote nach wie vor von großer Bedeutung. Denken Sie an die Reichweite der großen TV-Vollprogramme oder an die Auflagen der großen Zeitungen – nicht zuletzt der BILD-Zeitung. Und nach wie vor werden hier Themen gesetzt und Meinungen beeinflusst. Aber ein großer Teil des Geschäfts und des publizistischen Einflusses wandert ins Netz und evtl. dann zu anderen Anbietern. Auch hier gilt es also, ein Zugleich von Flexibilität und Stabilität zu sichern, wie es ja z.B. zum Ausdruck kommt in einer Dachmarke wie „Spiegel“ oder „Tagesschau“, die dann sowohl im klassischen Medienbereich präsent ist wie auch (mit Namenszusätzen) im Online-Bereich. Dies ist in vielen Fällen durchaus von Erfolg gekrönt, selbst wenn sich dies über lange Strecken nicht rechnet und hier viel Lehrgeld bezahlt werden muss. Aber noch werfen die klassischen Angebote genug ab, um auch einige Experimente im Online-Bereich wagen zu können.
politik-digital.de: Immer mehr Politiker richten sich Twitter- und Facebook-Accounts ein. Könnte dieser Trend hinsichtlich der Bundestagswahl 2013 explodieren oder ist damit nicht zu rechnen? Was halten Sie davon, wie soziale Medien in der politischen Kommunikation in Deutschland eingesetzt werden?
Gerhard Vowe: Man kann Wahlen nicht durch das Internet gewinnen, aber man kann sie durch das Internet verlieren. Es geht darum, im Netz präsent zu sein und da die zwei bis drei Prozent zu erreichen, die am Ende eventuell die entscheidenden Prozent sind, um in den Bundestag zu kommen oder um an der Regierung beteiligt zu werden. Das ist das Zünglein an der Waage. Natürlich kriegt man durch das Netz nicht die Reichweiten, die erforderlich sind, um allgemein und nachdrücklich seine Botschaften zu verbreiten. Aber wenn man im Netz nicht präsent ist, bekommt man bestimmte Wählergruppen gar nicht mehr zu fassen, die man fast nur noch über soziale Netzwerke erreicht. Wenn eine Partei oder ein Politiker im virtuellen Raum nicht greifbar ist, dann ist das so, als wenn man in ganzen Städten nicht plakatiert hätte. Dann fragen sich alle: Was ist denn mit denen los?
Hinzu kommt: Von einer professionellen Netzpräsenz geht das Signal von Dynamik und Modernität aus – das strahlt auch auf den ganzen Wahlkampf aus. Das alles wissen die Parteien und deshalb ist mit einer weiteren Verstärkung des Online-Wahlkampfs 2013 zu rechnen. Auch weil jetzt alle in den USA sind und den dortigen (Online-)Wahlkampf studieren.
Innerhalb der Forschergruppe betreut er mit Dr. Marco Dohle die Projektgruppe „Ursachen und Konsequenzen der Wahrnehmung politischer Einflüsse von Online-Medien“
Gerhard Vowe: Auch Parteimitglieder haben sich stark geändert. Die Erwartungen an die organisationsinterne Kommunikation sind hoch gesteckt. Mitglieder wollen gefragt und gehört werden, sie wollen mit-entscheiden, mit-gestalten. Interne Gruppen wollen sich schnell und ohne großen Aufwand abstimmen und innerhalb der Partei Unterstützer mobilisieren. Und Sympathisanten müssen bei der Stange gehalten werden. Für alles das bietet das Internet enorm leistungsfähige Möglichkeiten. Die Piratenpartei hat mit Liquid Feedback Zeichen gesetzt, da müssen die anderen mithalten. Und dann findet man eben auch bei SPD-Versammlungen eine Twitter-Wall, auf der die Anwesenden ihrem Unmut Luft machen. Auch hier wird viel geklingelt und zum Fenster raus gepredigt, aber auch dadurch verschieben sich die Erwartungen.
politik-digital.de: Es wird viel diskutiert über die Sinnhaftigkeit von politischen Online-Formaten. Dabei soll gerade die Jugend damit für politische Inhalte begeistert werden. Aber kann man über das Netz Jugendliche wirklich für Politik begeistern? Wen kann man überhaupt erreichen? Und wen nicht?
Gerhard Vowe: Die Möglichkeiten, über das Internet politisches Interesse zu wecken, sind sehr begrenzt. Denn das Internet ist ja noch viel mehr als andere Medien auf die Eigenaktivität der Nutzer ausgerichtet. Da entscheidet jeder sehr viel mehr selbst, was er macht und was er nicht macht mit dem jeweiligen Medienangebot. Das politische Interesse spielt also eine entscheidende Rolle dabei, ob jemand politische Inhalte im Netz nutzt. Und politisches Interesse ist bei einem großen Teil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen selbstverständlich vorhanden. Das hängt eng mit der Bildung zusammen und je höhere Bildungsabschlüsse die Leute haben, desto größer wird auch das politische Interesse. Vielleicht nicht Interesse an der Politik der Parteien und Verbände – aber Interesse an bestimmten politischen Themen und an politischen Entscheidungen. Dabei zeigen sich in Befragungen deutliche Unterschiede.
politik-digital.de: Wen kann man überhaupt erreichen? Und wen nicht?
Gerhard Vowe: Wir finden eine gut erkennbare Gruppe von etwa 15 Prozent der Bevölkerung, die Digital Citizens. Die haben in ihrer politischen Kommunikation ein markant anderes Nutzungsmuster entwickelt: Sie wickeln ihre gesamte politische Information, Diskussion und Partizipation über das Netz ab. Das sind im Wesentlichen jüngere Jahrgänge, und sie haben ein bestimmtes Muster an Einstellungen: Sie sind parteipolitisch ungebunden, sie haben keine traditionelle Orientierung. Sie entscheiden sich flüchtiger, sie entscheiden sich von Wahl zu Wahl. Sie sind politisch interessiert und sie sind davon überzeugt, dass sie mit ihrer politischen Aktivität etwas erreichen.