Auf der Campus Party Europe stand am Donnerstagvormittag die Diskussion um die Bedeutung des “geistigen Eigentums” im Blickfeld des internationalen Publikums. Trotz namhafter Gäste brachte die Debatte keine neuen Erkenntnisse, bestätigte aber viele Ansätze zur Anpassung des Urheberrechts an eine digitale Gesellschaft, die auch von der deutschen Politik bereits aufgegriffen wurden.
Der Umgang mit “geistigen Eigentum” in einer digitalisierten Gesellschaft ist von großer Bedeutung für die Lösung der oft hitzigen Urheberrechtsdebatte, wie sie seit Monaten auch in Deutschland geführt wird. Während Urheber in Schutzbestimmungen für “geistiges Eigentum” die notwendige Bedingung zur Wahrung kreativer Arbeit sehen, wehren sich vor allem die Nutzer vermehrt gegen staatliche Regulierungsversuche im Internet. Die scheinbaren Fronten entsprechen aber nicht der Realität der Problemlage, wie sich in der Diskussion zeigte. Mit Paul Brigner vom Nordamerikabüro der Internet Society (ISOC), dem dänischen Creative-Commons-Aktivisten Christian Villum und Anke Domscheit-Berg, Gründerin von opengov.me, wurde die oft nur im nationalen Rahmen geführte Diskussion von einer globalen Perspektive betrachtet und gemeinsam über mögliche Lösungsansätze nachgedacht.
Im Eingangsstatement schilderte der Moderator Maurice Frank vom EXBERLINER Magazin mit persönlichen Erinnerungen ans Kopieren von Musikkassetten für Freunde bis zum Versenden von Liedern in Form von MP3-Dateien den grundlegenden Wandel für die Content-Industrie durch das Internet. Für ihn stellt sich die Frage, wie das Internet weiterhin offen und frei gestaltet werden kann, ohne dass die Wertschätzung und der Schutz für kreative Arbeit in unserer Gesellschaft verloren gehen. Für die ehemalige Microsoft-Managerin Anke Domscheit-Berg liegt ein Problem vor allem in der Anwendung veralteter Gesetze, die keinen Bezug zu unserer Zeit haben und deshalb nicht mehr passen. Ein fehlendes Verständnis für den Umgang mit digitalen Kopien, die nach Ansicht Domscheit-Bergs in keiner Rivalität zum Original stehen, führten demnach zur fehlerhaften Annahme, dass es etwas wie “geistiges Eigentum” in der Digitalisierung noch geben könne. Immaterielle Güter könnten nicht nach den gleichen Regeln wie materielle Güter behandelt werden, denn die Konzepte der Produktion und Distribution sind laut Domscheit-Berg zu unterschiedlich. Mit der Senkung von Schutzfristen, neuen Freiheiten im Umgang mit Nutzungsrechten und der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle nannte sie einige Ansätze, um eine Reform des Urheberrechts friedlich voranzutreiben.
Der dänische Creative-Commons-Aktivist Christian Villum schloss sich der Forderung nach neuen Geschäftsmodellen an. Als Besitzer des Labels für elektronische Musik Uhrlaut Records lizenziert er die Werke seines Labels unter Creative Commons (CC), bietet die Musik für nicht-kommerzielle Zwecke frei an und schafft dadurch die benötigte Aufmerksamkeit, um andere Produkte des Labels wie Konzerte und Merchandise besser zu verkaufen. Durch den Wandel von einer Produktions- hin zu einer Informationsgesellschaft müssen seiner Meinung nach neue Geschäftsmodelle entwickelt werden, die Werte mit anderen Mitteln schaffen und diese finanziell vermarkten. Im Streit um eine Urheberrechtsreform sieht Villum das Aufeinandertreffen zweier verschiedener kultureller Vorstellungen von Wert und Nutzen kreativen Schaffens. Filesharing ist für ihn als Labelbetreiber, im Gegensatz zu anderen Verwertern, kein Diebstahl, sondern eine neue Möglichkeit, eine untereinander vernetzte und kommunizierende Gesellschaft gerechter zu gestalten.
Paul Brigner, der erst vor kurzem von der Motion Picture Association of America (MPAA), dem Branchenverband der großen Hollywood-Studios, zur Internet Society gewechselt ist, teilte zwar viele Gedanken der beiden anderen Gäste, fürchtet aber den Verlust von Potenzialen durch eine zu wenig auf das Wesentliche gerichtete Debatte. Seines Erachtens nach arbeitet die Content-Industrie konzentriert an neuen Geschäftsmodellen, wobei zwischen den verschiedenen Sparten unterschieden werden müsse. Eine zu belehrende Debatte durch Nutzer und Politiker, was wie getan werden müsse, schrecke aber vor allem neue Unternehmer und Entwickler ab. Diese Menschen würden jedoch benötigt, um neue Ideen und Konzepte zu entwickeln. Eine Reform des Urheberrechts und neue Geschäftsmodelle sollten seiner Meinung nach den Interessen der Kreativen besonderen Schutz zu gestehen.
In einer sehr sachlichen Diskussion redeten die Panelgäste am meisten über alternative Beispiele für funktionierende Geschäftsmodelle. Anke Domscheit-Berg stört sich an der stiefmütterlichen Behandlung von eBooks, die wegen analoger Methoden wie der Buchpreisbindung weiterhin von den Verlagen vernachlässigt würden. Während der Anteil an eBooks in Deutschland rund 2,5 Prozent ausmacht, ist er in der USA bereits bei über 50 Prozent Marktanteil. Diese Schieflage im internationalen Vergleich zeigt ihrer Meinung nach, dass es vermehrt Geschäftsmodelle geben müsse, die sich an den Interessen der Nutzer orientieren. Christian Villum wies darauf hin, dass in der Content-Industrie die gleiche Menge Geld stecke wie früher und sich nur die Quellen und Wege des Geldes verändert hätten. Zum Beispiel geben die Nutzer laut Villum heute ein vielfaches mehr für Konzerttickets aus, als sie es vor zehn Jahren gemacht haben, kaufen aber weniger Platten als früher. Mit neuen Angeboten, die die Rechte und Interessen der Kunden berücksichtigen, könne viel erreicht werden. Creative Commons ist seines Erachtens ein Teil einer größeren, noch zu entwickelnden Lösung. Durch die Freigabe nicht-kommerzieller Nutzung würden die Leute nicht mehr gezwungen, für Musik Geld auszugeben, so dass sie sich freier dafür entscheiden können, wofür sie bezahlen.
Im Gegensatz zu Paul Brigner, der die Nutzer zu mehr Wertschätzung für kulturelle Leistungen “erziehen” möchte, plädierten Domscheit-Berg und Villum für eine Sensibilisierung der Wirtschaft für den digitalen Wandel. Vorhaben zu einer strikteren Rechtsdurchsetzung dürften nicht mehr ohne die Bürger entstehen und besonders die Lobbyisten der Content-Industrie sollten nach Domscheit-Berg nicht mehr an der Erarbeitung eines Gesetzesvorhaben mitarbeiten. Der politische Entscheidungsprozess müsse transparenter erfolgen und den Bürgern Teilhabe-Möglichkeiten anbieten. Nur so könnten jene Nutzer, die immer die neuesten technischen Möglichkeiten dem Standard der Industrie vorziehen werden, wieder Akzeptanz für das Urheberrecht entwickeln. Die Menschen zahlen zurzeit für Kultur so viel wie nie zuvor, das Geld kommt aber selten bei den Urhebern an, wie Domscheit-Berg erläuterte. Das Internet ist eine wunderbare Sache, fasste Villum seine Meinung zusammen, falsche Regulierung dürfe deshalb nicht das Potenzial unserer Gesellschaft durch die Verhinderung des Zugangs zu Wissen und Kultur vernichten. Alle drei Gäste waren sich darin einig, dass Ideen die Chance brauchen, wie Thomas Edison es formulierte, sich zu verwirklichen. Die Wiederherstellung von Akzeptanz für das Urheberrecht und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle versprechen mehr Erfolg als eine härtere Durchsetzung einer veralteten Gesetzeslage.
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