Am
Montag, 20. November 2006 war Wolfgang
Coy,
Professor für
Informatik
, zu Gast im E-Teaching.org
Live-Chat in Kooperation mit politik-digital.de. Er diskutierte mit
den Nutzern über die Möglichkeiten und den Nutzen von Open
Access für die Wissenschaft
.

Moderator: Liebe Nutzerinnen und
Nutzer von e-teaching.org, willkommen zum e-teaching.org Live-Chat.
Zu Gast ist Professor Wolfgang Coy, Professor für Informatik
an der Humboldt Universität zu Berlin. Einen schönen guten
Herr Professor Coy und vielen Dank, dass Sie Zeit für uns haben.
Können wir beginnen?

Wolfgang Coy: Gerne!

Moderator: Was genau ist denn unter dem Begriff
Open Access eigentlich zu verstehen?

Wolfgang Coy: Open Access ist der Versuch, wissenschaftliche
Literatur über das Internet weltweit und frei zugänglich
zu machen.

HU-Student: Welchen Nutzen verspricht sich die
Humboldt-Universität von Open Access?

Wolfgang Coy: Die Humboldt-Universität hofft
damit die vielfältige wissenschaftliche Aktivität ihrer
Mitarbeiter deutlich zu machen. Des Weiteren versuchen wir international
und national sichtbar zu sein. Dahinter steht eine grundsätzliche
Frage, nämlich WER soll Zugang zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen
haben. Insbesondere geht es darum, wissenschaftliche Arbeit, die
mit öffentlichen Mitteln erstellt wurde, der Öffentlichkeit
zurück zu geben. Der deutsche Steuerzahler hat ein direktes
Recht dazu. Aber wir Wissenschaftler sind auch der Ansicht, dass
wir etwas für die anderen Länder tun sollten. Zudem sind
elektronische Veröffentlichungen im Regelfall viel schneller
als gedruckte Veröffentlichungen.

ulfi: Was genau erhoffen Sie sich durch den freien
Zugang zu Informationen im Internet?

Wolfgang Coy: Wir hoffen auf das Interesse möglichst
vieler Leser und damit einer breiten Diskussion dessen, was wir
veröffentlichen.

HU-Student: Blicken Sie mal in die Zukunft: Wird
Open Access und Open Content die Wissenschaft nachhaltig verändern?
Wie wird das ihrer Meinung nach aussehen?

Wolfgang Coy: Unbedingt! Die Kosten herkömmlicher
Druckpublikationen und der beschränkte Markt hat die Wissenschaft
bislang eher beschränkt. Mit den elektronischen Formen kommen
wir in eine neue Ära. Es wird viel mehr veröffentlicht
und die Leser sorgen hoffentlich dafür, dass das Wichtige aus
diesen Publikationen herausgefiltert wird.

Zucchero: Ist Open Access nur für wissenschaftliche
Literatur?

Wolfgang Coy: Überhaupt nicht. Denken sie
an Blogs, in denen jeder seine Meinung äußern kann und
manches auch gelesen wird. In der Wissenschaft ist das nicht anders.
Nur: Wissenschaftliche Literatur wird entweder als Self-Archive
veröffentlicht oder in den Archiven der Open Access-Bewegung
in ähnlicher Weise wie in Zeitschriften, nämlich in einem
Peer-Review-Prozess. Das heißt, dass andere Wissenschaftler
die Veröffentlichung lesen und begutachten und eventuell ablehnen,
bevor sie erscheinen kann. Wissenschaftliche Literatur ist also
gefiltert im Gegensatz zu Blogs.

Sim: Sind die Professoren offen gegenüber
einer Publikation über Open Access oder sind ihnen klassische
Publikationsmedien lieber?

Wolfgang Coy: Das hängt vom Gebiet ab. Tatsächlich
sind die Publikationskulturen in den verschiedenen Wissenschaften
sehr verschieden. In den Naturwissenschaften und Technikwissenschaften
sind kurze Aufsätze in Zeitschriften oder Tagungsbänden
vorherrschend. Bei den Geisteswissenschaftlern sind es eher Bücher.
Während die Naturwissenschaftler die elektronischen Publikationen
sehr begrüßen, sind die Geisteswissenschaftler etwas
zurückhaltend. Das Ganze hängt von zwei großen Randbedingungen
ab: Erstens müssen die Wissenschaftler das System kennen lernen
(die meisten sind ja neugierig) und zweitens ist es eine Altersfrage.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat eine Umfrage vor einem Jahr
gemacht, wo sich über 80% positiv zu Open Access geäußert
haben.

Moderator: Wie sieht es denn in der deutschen
Hochschullandschaft aus? Gibt es neben der Humboldt-Universität
weitere Universitäten, die Open Access befürworten?

Wolfgang Coy: Ja. Die Bielefelder Uni war vor
uns, andere haben sich angeschlossen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft
empfiehlt Open Access. Die Max-Planck-Gesellschaft empfiehlt Open
Access, die Helmholtz-Gemeinschaft empfiehlt Open Access. Also alle
großen Forschungsorganisationen stehen hinter dieser Idee.

Ulfi: Was hat die Tatsache, dass verschiedene
Universitäten Open Access unterstützen für einen
Einfluss auf das Studieren beziehungsweise auf die Studenten?

Wolfgang Coy: Die Studenten haben Zugang zu vielen
Publikationen aus dem eigenen Haus, die sie sonst nicht gesehen
hätten. Die Humboldt-Universität hat bereits 1261 Dissertationen
und 273 Habilitationen, sowie 111 Magister- und Diplomarbeiten als
Open Access veröffentlicht. Die hätte sonst niemand gesehen.

balzac76: Sind denn alle Wissenschaftler der Humboldt-Universität
damit einverstanden? Wie motiviert man die Professoren zu Open Access?

Wolfgang Coy: Natürlich nicht. Wissenschaftler
sind sich niemals einig. Aber es werden immer mehr, die ihre Veröffentlichungen
als Open Access zugänglich machen.

acw: Was genau ist der Unterschied zwischen Open
Access und Open Content?

Wolfgang Coy: Open Access bezieht sich auf wissenschaftliche
Veröffentlichungen, die entweder in einem Repository nach einem
Peer-Review-Prozess stehen oder als Self-Archiving veröffentlicht
werden. In beiden Fällen handelt es sich um Open Content, aber
im ersten Fall ist die Kontrolle durch andere Wissenschaftler gegeben.
Open Content ist dagegen eine Lizenz. Unser Repository heißt
„edoc-Server“ (www.edoc.hu-berlin.de). Das hat den Vorteil,
dass unser Rechenzentrum sowohl die langfristige Archivierung garantiert,
wie auch die nötigen Metadaten hinzufügt. So dass diese
Veröffentlichungen weltweit leicht gefunden werden können.

paula: Kann ich einfach alle
meine Publikationen ins Netz stellen und das dann Open Access nennen
oder sind noch andere Kriterien erforderlich?

Wolfgang Coy: In diesem Falle wäre das Self-Archiving.
Bei Open Access wird typischerweise erwartet, dass es einen Begutachtungsprozess
gibt (Peer-Review).

hintz: Können Sie erfolgreiche Beispiele
für Open Content im Internet nennen?

Wolfgang Coy: Natürlich die Gutenberg-Server,
aber auch unser edoc-Server.

gordon: Wie umgehen Sie Urheberrechte/Datenschutzrechte?

Wolfgang Coy: Gar nicht. Die Idee ist, dass die
Wissenschaftler ja über ihr eigenes Copyright verfügen,
wenn sie etwas unter Open Access veröffentlichen. Das bedeutet,
dass sie sich mit den Verlagen einigen müssen, wenn das auch
gedruckt werden soll. Das ist in den letzten Jahren leichter geworden.
Häufig gibt es bei gedruckten Veröffentlichungen Schutzzeiten
von sechs Monaten bis zwei Jahren, die aber jeweils ausgehandelt
werden müssen.

Richard: Wer berät denn Wissenschaftler beim
"Self-Archiving"? Ich kann mir vorstellen, dass da leicht
rechtliche Probleme entstehen können.

Wolfgang Coy: Eigentlich kann es keine Probleme
geben: Wer seine eigenen Sachen veröffentlicht, hat auch die
Rechte. Ansonsten steht auf den edoc-Servern meist ein Hinweis,
wie man mit den Verlagen reden muss – falls dies die Frage war.

Gordon: Ist Open Access mit "creative commons"
vergleichbar?

Wolfgang Coy: Creative Commons ist eine Lizenz.
Open Access ist ein soziales System. Beides hängt zusammen,
aber Creative Commons kann viele andere Fragen betreffen, z.B. Filme,
Bilder, Musik etc.

Moderator: In der Ankündigung dieses Chats
wurde auch auf die „Berlin Declaration“ hingewiesen.
Hierzu eine Nachfrage von hintz:

hintz: Was ist die "Berlin Declaration"?

Wolfgang Coy: Die Open Access-Bewegung beruht
auf zwei Startdokumenten: Der „Budapester Erklärung“
und der „Berliner Erklärung“. In beiden haben Wissenschaftsorganisationen
den Willen erklärt, Open Access einzuführen und zu propagieren.
Später hat der WSIS, eine UNO-Konferenz, ebenfalls die Nutzung
von Open Access weltweit vorgeschlagen. Es handelt sich also um
eine globale Bewegung.

balzac76: Sie sagen: Der Steuerzahler hat ein
direktes Recht darauf. Das stimmt aus moralischer Sicht – muss sich
da gesetzlich nicht auch noch einiges ändern?

Wolfgang Coy: Eigentlich nicht. Wenn Wissenschaftler
öffentlich bezahlt werden, gehören die Ergebnisse ihrer
Forschung auch der Öffentlichkeit. Historisch haben wir den
Wissenschaftlern große Freiräume bei der Verwertung eingeräumt.
Das war aber eher eine praktische Frage. Mehr und mehr verlangen
die Universitäten und Hochschulen an Patentauswertungen und
Veröffentlichungen beteiligt zu werden. Das wäre eher
der Normalfall.

Sim: Welche Rolle spielt die Politik, um Open
Access voran zu bringen?

Wolfgang Coy: Sie behindert Open Access durch
die mögliche Abschaffung des Paragraphen 52a des Urheberrechtsgesetztes.
Dort wird die Nutzung von urheberrechtlich geschützten Material
gesetzlich geregelt. Wenn diese Vorschrift fällt, wird die
Verbreitung von wissenschaftlichen Veröffentlichungen erheblich
beschränkt. Es wäre schön, wenn die Politiker sich
über die Bedeutung von Open Access klar würden.

Richard: Wie beurteilen Sie staatliche Förderung
von Open Access Journals wie z.B. die Digital Peer Publishing Initiative
in Nordrhein-Westfalen? Braucht Open Access Förderung oder
ist es besser, wenn das Publizieren in E-Journals selbstorganisiert
passiert?

Wolfgang Coy: Wissenschaftliche Veröffentlichungen
wurden schon immer von den Hochschulen und den Fördermittelgebern
gefördert. Natürlich ist auch der Betrieb von Server und
die Wartung nicht kostenlos. Das ist der Beitrag, den die öffentliche
Hand leisten muss. Nur bisher haben die Verlage diese Gelder kassiert.
Jetzt stecken wir sie in unsere eigene Infrastruktur.

schildkröte: Mit Open Access ist ja kein
Geld zu verdienen. Denken Sie, dass sich das trotzdem durchsetzen
wird?

Wolfgang Coy: Wissenschaftler werden von der Öffentlichkeit
bezahlt. Sie sind froh, wenn sie gelesen werden und nicht auch noch
für die Publikation bezahlen müssen (was gelegentlich
vorkommt: Druckkostenzuschuss).

brigitte: Wie stehen Verlage zu Open Access/Open
Content?

Wolfgang Coy: Ursprünglich feindselig. Inzwischen
haben die Verlage gemerkt, dass sie sehr wohl eine Archivfunktion
wahrnehmen mit gedrucktem Material, dass sie sehr wohl mit Büchern
Geld verdienen. Seitdem ist die Situation entspannter und es zeigt
sich die Möglichkeit, dass Verlage und Open Access miteinander
leben können.

balzac76: Werden dadurch nicht die wissenschaftlichen
Verlage gefährdet?

Wolfgang Coy: Das Internet gefährdet ALLE
ökonomischen Strukturen – wenn die Verantwortlichen nicht neu
über ihr Geschäft nachdenken. Es gibt sehr wohl Geschäftsmodelle,
bei denen Verlage verdienen können. Aber möglicherweise
nicht vorzugsweise mit wissenschaftlichen Aufsätzen.

Richard: Will Open Access den Verlagen komplett
das Wasser abgraben oder sehen Sie eine Chance für "Arbeitsteilung"?

jokerle: Wie durchsetzungsfähig schätzen
Sie Open Access ein gegenüber dem etablierten (Verlags-)Publikationswesen?

Wolfgang Coy: Die Perspektive liegt sicher in
einem Miteinander. Das ist schon durch die unterschiedliche Publikationskultur
in den Wissenschaften begründet. Wissenschaftler wollen niemandem
"das Wasser abgraben" sondern sie wollen gelesen werden.
Und da haben elektronische Publikationen deutlich mehr Zugriffe
als gedruckte Publikationen.

paula: Welches Interesse haben denn die Verlage,
einer elektronischen Publikation zuzustimmen? Die möchten doch
ihre Print-Produkte verkaufen. Wenn alles offen im Netz steht, bestellt
doch z.B. sicher niemand mehr den gedruckten Tagungsband?

Wolfgang Coy: Das Geschäft mit dem Tagungsband
besteht darin, am Anfang der Tagung den Tagungsband, der mit der
Teilnahmegebühr bezahlt ist, zu verteilen. Danach gibt es kein
Geschäft mehr mit Tagungsbänden. Die elektronische Fassung
bleibt aber für alle leicht zugänglich. Das Verlagsgeschäft
kann zwei Wege verfolgen: Die Erstveröffentlichung für
etwa sechs Monate und die Archivfunktion für Bibliotheken.

paula: Bei aller Sympathie für freie Inhalte:
Wissenschaftliche Qualitätssicherung kostet Geld – woher soll
das künftig kommen, wenn den Verlagen die Vermarktungsgrundlage
entzogen wird?

Wolfgang Coy: Die wissenschaftliche Qualitätssicherung
durch Gutachter ist bislang eine unbezahlte Tätigkeit der Wissenschaftler.
Soll heißen, sie wird aus öffentlichen Mitteln bezahlt.
Das soll so bleiben.

Sim: Offen publizieren ist die eine Sache. Wie
aber kann die Auffindbarkeit dieser Publikationen auch sicher gestellt
werden?

Wolfgang Coy: Da hat die elektronische Publikation
im Open Access-Archiv einen eindeutigen Vorteil. Solche Publikationen
werden mit Metadaten versehen, nach denen mit Suchmaschinen gesucht
werden kann. Das ist bei gedruckten Publikationen viel schwieriger.

Wiebke Oeltjen: Wer gibt die Metadaten zu den
Veröffentlichungen beim edoc-System ein? Die Autoren, Bibliothekare,
anderes Fachpersonal?

Wolfgang Coy: Alle. Das soll heißen, die
Autoren können Vorschläge machen. Aber die Betreuer des
Repository ergänzen diese.

Richard: Sind die Dokumentenserver der Hochschulen
eigentlich ausreichend erschlossen? Oder würde hier ein "Meta“-Server
benötigt, der die lokalen Angebote vernetzt?

Wolfgang Coy: Beispielsweise die edoc-Server sind
weltweit miteinander verbunden. Dies ist freilich noch verbesserbar.

balzac76: Werden heute bereits Artikel, die frei
zugänglich (z.B. über Google Scholar auffindbar) häufiger
zitiert? Ist das die große Chance für Open Access, bei
den Autoren beliebter zu werden?

Wolfgang Coy: Es gibt Untersuchungen, die das
bestätigen.

paula: Gibt es Untersuchungen dazu, inwieweit
sich bei elektronischen Publikationen die Zitation erhöht?

Wolfgang Coy: Vorsichtig gesagt scheint das so
zu sein. Es ist freilich so, dass Wissenschaftler meistens einen
engen Bereich an Veröffentlichungen sehr gut im Blick haben.
Das können gedruckte ebenso wie elektronische Publikationen
sein. Höhere Zitattreffer kommen dann meistens durch Wissenschaftler,
die Suchmaschinen benutzen. Es gibt in den einzelnen Wissenschaften
zum Teil über 100 elektronische Journale, die im Peer-Review-Prozess
begutachtet werden. Es gibt aber immer noch tausende von gedruckten
Zeitschriften. Wir sind mit Open Access also erst am Anfang.

luba: Wie sehen die Peer-Review-Kontrollen denn
aus? Wer bestimmt, was ins Netz gestellt wird?

Wolfgang Coy: Das ist im Prinzip das gleiche wie
bei gedrucktem Material. Bei Zeitschriften ist das eine Redaktion,
die auf akademische Gutachter zurückgreift. Bei Büchern
ist es typischerweise der Lektor, der sich Gutachten erstellen lässt.
Das geschieht elektronisch und gedruckt in gleicher Weise. Es gibt
elektronische Zeitschriften, zu deren Herausgeber Nobelpreisträger
gehören.

brigitte: Birgt Open Access/Open Content die Gefahr
eines Qualitätsverlusts?

Wolfgang Coy: Ich glaube nicht. Aber es ist klar:
Wenn mehr veröffentlicht wird, muss die Qualität nicht
unbedingt steigen. Es können aber auch interessante abweichende
Meinungen erscheinen, die sonst vielleicht untergegangen wären.
Letztlich liegt die Kontrolle im Kopf des Lesers.

schildkröte: Kann durch Open Access nicht
auch jeder "Schrott" veröffentlicht werden, da es
so einfach wird, seine Arbeiten zu publizieren? Gibt es irgendwelche
Qualitätsstandards?

brigitte: Wie kann eine Qualitätssicherung
im Zusammenhang mit Open Access/Open Content realisiert werden?

Wolfgang Coy: Noch einmal: Die Qualitätsstandards
sind bei elektronischen Zeitschriften die gleichen wie bei gedruckten
Zeitschriften. Auch wenn sie es noch nicht festgestellt haben: Es
gibt sehr schlechte gedruckte Aufsätze und Bücher.

godzilla: Kann ich als Nicht-Student auch meine
wissenschaftlichen Arbeiten bei Ihnen auf diesem edoc-Server veröffentlichen?

Wolfgang Coy: Bei allen wissenschaftlichen Zeitschriften,
ob gedruckt oder elektronisch publiziert, können alle Aufsätze
eingereicht werden. Was die Redaktion damit macht, kann ich natürlich
nicht vorhersagen. Wir veröffentlichen auf dem edoc-Server
alle Dissertationen, die freilich schon durch eine sehr komplexe
Begutachtung gegangen sind. Wir veröffentlichen auch Magister-
und Diplomarbeiten, wenn sie mindestens mit Gut beurteilt wurden.

brigitte: Wissenschaftler sind daran interessiert,
dass ihre Veröffentlichungen gelesen werden, d´accord.
Aber möchten sie auch ihre Lehrskripte freigeben?

Wolfgang Coy: Sie werden ja nicht dazu gezwungen.
Aber ich kenne viele Kollegen, die das gern tun, denn der "Marktwert"
einer Wissenschaftlerin steigt auch mit erfolgreicher Lehre.

balzac76: Bleiben wir bei der Qualität: Online-Angebote
würden auch ein Rating durch die Leser erlauben. Ist das sinnvoll
bzw. gibt es bereits solche Initiativen?

Wolfgang Coy: Das ist sehr richtig und es gibt
elektronische Journale, die den Lesern solche Beurteilungen vor
der Veröffentlichung erlauben. Das Endurteil erfolgt dann trotzdem
durch Gutachter. Aber man könnte sich natürlich auch Zeitschriften
vorstellen, die allein von den Lesern herausgegeben werden. So gibt
es eine Zeitschrift im Bereich Klimaforschung, die alle eingereichten
Papiere öffentlich darstellt. Die Leser können ihre Kommentare
schreiben und in einer zweiten Phase werden diese Artikel von den
Gutachtern, die die Leserzuschriften kennen, begutachtet. Erst dann
wird entschieden, ob der Artikel "veröffentlicht"
ist. Ich halte das für ein sehr interessantes Verfahren – ein
Stück Demokratisierung der Wissenschaft.

Martin: In Blogs wird häufig darüber
diskutiert, mit welchen Stichworten ein gutes Ranking erreicht wird.
Droht der Wissenschaft ebenfalls ein Wettbewerb um möglichst
gute Platzierung in Suchmaschinen? Und schadet der den wissenschaftlichen
Inhalten?

Wolfgang Coy: Das gibt es doch jetzt schon. Es
gibt gute Zeitschriften, es gibt sehr gute Zeitschriften und es
gibt exzellente Zeitschriften. Wissenschaftler versuchen oft, in
die letzte Kategorie zu kommen.

Sim: Glauben Sie, dass der Open Content Gedanke
sich auch bei Lehrmaterialien durchsetzen wird?

Wolfgang Coy: Ich hoffe das sehr. Ein schönes
Beispiel ist die Open Course Ware-Initiative des Massachusetts Institute
of Technology, die viele Lehrmaterialien bereitstellt. Das kann
alles umfassen. Von Texten, Powerpoint-Dateien bis zu Videomitschnitten.

acw: Lautet der nächste Schritt der Humboldt-Universität:
Open Courseware?

Wolfgang Coy: Wir arbeiten daran.

paula: Auch bei Open Access gibt es schwarze Schafe:
Manche E-Journals werden mit großem Elan gelauncht und dümpeln
dann doch nur dahin. Besteht die Gefahr, dass hier insgesamt die
Glaubwürdigkeit elektronischer Publikationen geschädigt
wird?

Wolfgang Coy: Ich sehe keine besonderen Probleme
des elektronischen Publizierens in dieser Frage. Bei Modethemen
werden auch schnell neue Druckjournale aufgelegt.

lobotom: Mal jenseits der Hoffnung auf eine einfachere,
transparentere Veröffentlichungspraxis: Was sind die Probleme
beim Open Access?

Wolfgang Coy: Das Hauptproblem besteht darin,
Open Access zum Normalfall zu machen. Da muss noch viel Überzeugungsarbeit
geleistet werden. Aber es ist natürlich auch eine Frage der
jeweiligen Ressourcen. Die Uni muss Server bereitstellen und Betreuung.
Das geht nicht kostenfrei.

paula: Wie erkenne ich, ob ein E-Journal auch
nächstes Jahr noch besteht oder nur eine Eintagsfliege ohne
Rückhalt in der Scientific Community ist?

Wolfgang Coy: Erfahrung.

Chrissy: Müssen mehr E-Journals gegründet
werden, damit Open Access erfolgreich sein kann?

Wolfgang Coy: Nicht zwingend. Aber ich glaube,
dass mit der Ausweitung von Open Access viele neue Journals entstehen
werden – immer dann wenn sich eine Community bildet, die eine eigene
Zeitschrift betreiben will und kann.

Moderator: Eine Nachfrage zum
weltweiten Zugriff auf wissenschaftliche Inhalte von Martin:

Martin: Die Verlage und ihre Interessen sind die
eine Seite. Spannend wird es doch auch in Hinblick auf die wissenschaftlichen
Inhalte: Wie kann sichergestellt werden, dass der Zugang wirklich
weltweit und frei ist? Gibt es da nicht bestimmte Regierungen, die
kein allzu ausgeprägtes Interesse an freiem Wissensaustausch
haben?

Wolfgang Coy: Zensur ist sicher ein großes
Problem. Zugang ein anderes großes Problem. Aber ich sehe
mehr Möglichkeiten im Internet weltweiten Zugang zu erreichen,
als mit Druckmedien.

ZUckerhut: Warum ist denn der freie Zugang zu
Inhalten für e-learning und e-teaching von besonderer Relevanz?

Wolfgang Coy: e-learning sollte sich nicht auf
einen eng zugeschnittenen Bereich beschränken. Die breite Nutzung
des Internets ist sozusagen Basis von e-learning und e-teaching.
Und da fügen sich elektronische Veröffentlichungen gut
ein.

gordon: Ist die „Scholar-Suche“ bei
Google das Paradebeispiel für Open Access?

Wolfgang Coy: Das wird unterschiedlich gesehen.

Sim: Wie lange, meinen Sie, dauert es, bis sich
die Publikationskultur an einer Hochschule ändert?

Wolfgang Coy: Zwei Generationen – von Doktoranden.

Sim: Wie beratungsintensiv ist die Publikation
über OA? Wie werden Hochschullehrende an der Humboldt-Universität
beraten?

Wolfgang Coy: Wir haben das Glück, ein sehr
aktives Rechenzentrum zu haben, das diesen Bereich aus Drittmitteln
finanziert. Das ist leider kein allgemein umsetzbares Modell. Letztendlich
kommt es darauf an, dass Menschen sich engagieren.

luba: Sind andere Länder viel weiter und
fortschrittlicher als Deutschland, was Open Access betrifft? Wenn
ja, welche?

Wolfgang Coy: Großbritannien hat eine Vorreiterrolle
gespielt, aber auch viele amerikanische Bibliotheken. Auch Skandinavien
und Frankreich sind sehr weit. Das ist ein schöner internationaler
Wettbewerb, von dem wir alle profitieren.

Moderator: Hat die Politik dieser Länder
dabei eine Rolle gespielt? Oder hat sich die Wissenschaftskultur
in diesen Ländern selbst so schnell weiterentwickelt?

Wolfgang Coy: Negativ könnte man sagen: Ohne
die finanziellen Kürzungen der Bibliotheken wäre das Problem
nicht so schnell klar geworden. Andererseits gibt es auch positive
Impulse aus der Politik, z.B. die Bibliothèque Nationale
in Paris.

Moderator: Der Nutzer "Kram" fragt noch
einmal zu den positiven Effekten von Open Access auf die Verlage:

kram: Kommen die Verlage vielleicht in einen positiv
zu bewertenden Druck, die Bücher schneller als bisher zu drucken?

Wolfgang Coy: Das kann ich nicht beurteilen. Es
ist aber klar, dass in den wissenschaftlichen Verlagen diese Fragen
diskutiert werden. Das kann zu besseren Arrangements führen.
Ein schönes Beispiel ist die Veröffentlichung von kritischen
Werkausgaben, die sich oft über Jahre oder Jahrzehnte ziehen
kann. Hier können elektronische Zwischenergebnisse oder auch
das Endprodukt ganz neue Wege der Publikation eröffnen. Interessant
ist auch die Reaktion der Lexikon-Redaktionen auf die Wikipedia.
So ist jetzt der Meyer online frei verfügbar.

balzac76: Wenn der Bürger ein Recht auf freien
Zugang zu den Publikationsinhalten hat – gibt es dann nicht auch
ein Recht für Studenten, auf Vorlesungsmaterialien aller Hochschulen
zuzugreifen?

Wolfgang Coy: Das ist eine interessante Frage.
Prinzipiell finde ich "ja". Man muss aber berücksichtigen,
dass die Lehrenden ihr Material freiwillig herausgeben müssen.
Es gibt ja gute Gründe, warum man etwas nicht breit streuen
will. Und dazu das unsägliche Urheberrecht.

balzac76: Steigen aufgrund von Open Access auch
die Ansprüche und Erwartungen für wissenschaftliche Publikationen?
Schließlich ist es jetzt leichter, sich einen guten Überblick
zu verschaffen, die Recherche geht um ein Vielfaches schneller.
Wird dann z.B. von Doktoranden auch mehr Output verlangt?

Wolfgang Coy: Das wäre doch ein wunderschöner
Nebeneffekt.

lobotom: Vorhin haben sie darauf hingewiesen,
dass die zu veröffentlichenden Inhalte von Steuergeldern finanziert
wurden. Das gilt ja auch für Lehrinhalte.

Wolfgang Coy: Nochmals: Ja. Es gibt aber keine
Veröffentlichungspflicht für Lehrinhalte.

Daniel Kämmerling: Artikel 52a wird 2008
voraussichtlich nicht mehr verlängert. Welche weitere Gefahren
sehen Sie, wenn die Schrankenregelung abgeschafft wird?

Wolfgang Coy: Anarchie und Chaos.

undwarum?: Denken Sie, dass Open Access für
die Wissenschaft ein Vorläufer sein kann für eine generelle
Form von Open Access und Open Content?

Wolfgang Coy: Ich glaube, dass Open Access ein
Teil einer ganz großen Bewegung ist, nämlich möglichst
viel im Netz frei anzubieten.

jokerle: Nachfrage 52a: Inwiefern kommen dadurch
Beschränkungen, wenn doch das Urheberrecht eigentlich bei den
Autoren liegt?

Wolfgang Coy: Für selbst erstellte Inhalte
gibt es selbstverständlich keine Schranke. Es geht um die Nutzung
von fremd erstellten Inhalten für die Lehre. Die Streichung
des 52a wird zu unsäglichen Auseinandersetzungen über
das angemessene Zitieren führen. In der Folge werden immer
weniger fremde Materialien in den Unterricht eingeführt.

Chrissy: Sie haben ja eben erläutert, dass
sich Print und Online bei der Qualität nichts vergeben – in
beiden wird auch mal Quatsch verbreitet. Wie objektiv ist Peer Review
eigentlich? Gibt es dazu Untersuchungen?

Wolfgang Coy: Peer-Review ist nicht objektiv und
das ist gelegentlich untersucht worden. Aber wir haben keine besseren
Formen bislang gefunden. Vielleicht ist die Einbeziehung der Leser
ein Ausweg aus dem Qualitätsproblem des Peer-Review.

luba: Ich schätze, ein Problem von Open Access
wird sein, dass ein gedrucktes Buch in der Hand zu halten immer
noch mehr Wert für einen selbst hat als die elektronische Version
im Internet. Sehen Sie das auch so?

Wolfgang Coy: Ja das sehe ich auch so. Deshalb
haben wir für unseren edoc-Server auch die Publishing-on-Demand
Variante vorgesehen. Wenn jemand einen Text ausgedruckt haben möchte,
kann er den – gegen Geld – drucken lassen.

Chrissy: Ist es vorstellbar, dass wir zukünftig
Publikationsmechanismen aus der Blogosphäre auch in E-Journal-Beiträgen
finden, z.B. ein Blogroll von E-Journals, die der Autor liest?

Wolfgang Coy: Warum nicht? Allerdings sehe ich
den Platz nicht im E-Journal sondern eben in einem Qualitätsblog.
Interessanterweise hat Vannevar Bush mit seinem Memex schon 1945
ein solches Verfahren des "Mitlesens" vorgeschlagen. Man
kann immer von anderen lernen – auch das Lesen.

Moderator: Der Nutzer bezieht sich vermutlich
auf die Verbreitung des Open Access-Gedanken:

lobotom: Was sind eigentlich ihre Hauptwidersacher?

Wolfgang Coy: Tradition und desinteressierte Ökonomie.

anne: Wohin geht Ihrer Meinung nach der langfristige
Trend? Publikation nur noch über Open Access?

Wolfgang Coy: Sagen sie doch so was nicht! Wir
brauchen doch Bücher.

Moderator: Kommen wir zu letzten Frage:

Sim: Wie sieht Ihre Zukunftsprognose für
Open Content und Open Access für Deutschland aus?

Wolfgang Coy: Open Access wird sich an den Hochschulen
und Universitäten als ein Publikationsstandard einbürgern.
Das hat ökonomische Gründe – Bibliotheken verarmen -,
ebenso wie technische Gründe – wir leben alle mehr und mehr
im Internet. Trotzdem glaube ich nicht daran, dass Bücher "verschwinden".
Die Technik ist einfach noch zu praktisch.

Moderator: Das waren 90 Minuten e-teaching.org
Live-Chat. Vielen Dank für Ihr Interesse und Dank an Herrn
Professor Coy für den Chat! Das Protokoll des Chats finden
Sie in Kürze auf www.e-teaching.org.
Unsere Bitte um Verständnis an jene, die wir heute mit ihrer
Frage nicht berücksichtigen konnten. Unter der URL http://www.e-teaching.org/community
können Sie weiter über dieses Thema diskutieren. e-teaching.org
wünscht allen Beteiligten noch einen schönen Tag!

Wolfgang Coy: Ich bedanke mich auch, besonders
bei den Fragestellern, die die wunden Punkte schnell herausgefunden
haben.