Wer unter den Bundestagsbgeordneten welche Kommunikationsplattform wie oft nutzte, darüber gibt der “Social Media Activity Index 2011” Aufschluss. Das ernüchternde Ergebnis: Lediglich junge Abgeordnete – vor allem der Grünen, SPD und FDP – aus urbanen Wahlkreisen interagieren regelmäßig mit dem Wahlvolk.
Vergleicht man die Anzahl der Follower der Bundeskanzlerin Angela Merkel im Micro-Blogging-Dienst Twitter mit denen des US-Präsidenten Barack Obama, scheint es mit der Nutzung der neuen Medien in den hohen Gefilden der deutschen Politik nicht sehr weit her zu sein: 27.000 gegen 14 Millionen sprechen eine deutliche Sprache. Und das, obwohl die Bundeskanzlerin mit einem zweiten englischsprachigen Account internationale Fans umgarnen kann. Trotz dieser mutmaßlichen Unpopularität Merkels im Netz – ihren deutschen Tweets folgen gerade einmal 4.128 Anhänger – reichte es für die Kanzlerin in dem vom Institut für Medien und Kommunikationsmanagement (MCM) der Universität Sankt Gallen ermittelten “Social Media Activity Index 2011” immerhin für den dritten Platz unter allen Bundestagsabgeordneten. Bemerkenswert, wenn man Merkels Inaktivität in der webbasierten Kommunikation bedenkt.
Das Phänomen, das diesem überraschenden Befund zugrunde liegt, wird in der vom ISPRAT-Institut (Interdisziplinäre Studien zu Politik, Recht, Administration und Technologie) geförderten Studie als “Prominentenbonus” bezeichnet. Denn Merkel – ebenso wie die viert- und fünftplatzierten Karl-Theodor zu Guttenberg (vor seinem Rücktritt am 1. März 2011) und Frank-Walter Steinmeier – sind lediglich aufgrund ihrer Bekanntheit stark auf verschiedenen Social Media-Plattformen wie MeinVZ vernetzt. In der Regel – so die These der nun vorgestellten Studie “Politiker im Netz” – bedarf es dafür einer entsprechend hohen Kommunikationsaktivität. Vernetztheit und Aktivität – diese beiden Faktoren bildeten die statistischen Grundlagen für die Wahl der “Social Media Champions 2011”.
Facebook und Twitter vorn, MySpace und StudiVZ zuletzt
Den höchsten Index-Wert erreichte mit 26,66 Prozent die weitgehend unbekannte saarländische SPD-Abgeordnete Elke Ferner. Platz zwei geht an den bislang ebenso wenig populären Ulrich Kelber von der SPD Nordrhein-Westfalen vor Angela Merkel (CDU). Ermittelt wurde der Index mittels Addierung der im Jahr 2010 gesammelten Aktivitätsdaten (Statusmeldungen, Likes, Comments, Tweets, Posts, Uploads) mit den Vernetzungsdaten (Anzahl an Freunden, Fans, Kontakten). Die entsprechenden Social Media-Plattformen (Facebook, MeinVZ, XING, wer-kennt-wen, MySpace, StudiVZ, Flickr, YouTube und Twitter) wurden je nach Verbreitung verschieden gewichtet. So macht die bei den Abgeordneten beliebteste Web 2.0-Kommunikationsplattform Facebook gut ein Drittel des Index aus. Ausgewertet wurden dabei das Profil (Anzahl der Freunde, Statusmeldungen, Likes und Comments) bzw. die Daten der Facebookseite (Fans und Statusmeldungen). Auch persönliche Weblogs wurden mitberücksichtigt – aufgrund ihrer geringen Nutzung aber fließen sie mit lediglich fünf Prozent in die Bewertung ein.
Bei Betrachtung der Verbreitung der unterschiedlichen Instrumente für die webbasierte Kommunikation erschließt sich aus den Zahlen, dass es den Politikern um die direkte Vernetzung (Facebook, MeinVZ) und Einbindung der Bürger mittels kurzer Updates (Twitter) geht – und weniger um die Produktion sowie die Verbreitung eigener multimedialer Inhalte über sogenannte Content Networks (Flickr, Youtube). Vielmehr geht es um den Abbau der Kommunikationshürden und Stärkung “horizontaler” Kommunikation unter Gleichberechtigten im Netz. Politiker auf Augenhöhe der Bürger – das soll sich auch in der informellen Sprache ausdrücken.
Und natürlich nutzen Politiker die Plattformen auch zum öffentlichen Schlagabtausch mit anderen Parteien. Aktuelles Beispiel: Der in der Studie als “Twitter-Champion” ausgewiesene Volker Beck (Bündnis 90/Grünen) konterte am 20. April 2012 auf den von Christopher Lauer (Piraten) geposteten Spiegel-Artikel über den „Kindersexskandal“ der Grünen aus dem Jahr 1985 mit folgendem Tweet: “@Schmidtlepp [Christopher Lauer] wäre ich Pirat, würde ich sagen: Geht Euch der Arsch auf Grundeis, dass Ihr Falschberichte von 1985 auskramt?” Und weist Lauers Beitrag mittels des Hashtags #Schmutzkampagne als Verleumdung aus.
Jugend, Wahlkreis und Partei zählen
Unabhängig von der Bewertung der kommunizierten Inhalte lässt sich feststellen: Für die deutschen Bundestagsabgeordneten gehören soziale Medien zum Alltag politischer Kommunikation. Auch wenn zwei Drittel der Bundestagsabgeordneten Social Media-Plattformen nutzen – 57 Prozent der Abgeordneten nutzten diese nur gelegentlich, lediglich drei Prozent werden als “sehr aktiv” oder als “Champions” gewertet. Dabei bedienen sich die aktivsten Politiker verschiedener Plattformen parallel. Gewinnerin Elke Ferner unterhält neben dem Facebook-Profil auch eine Facebook-Seite sowie je ein Profil auf wer-kennt-wen (WKW), Twitter und Flickr.
Für die Nutzungsintensität ist vorwiegend das Alter der Bundestagsabgeordneten ausschlaggebend. Quer durch alle Parteien gilt: Je jünger, desto aktiver. So spiegelt die Social Media-Aktivität auch den demografischen Zustand der Volksvertreter wider. Das Durchschnittsalter des Bundestages liegt nach eigenen Angaben derzeit bei 49,3 Jahren. Das könnte sich bei den nächsten Bundestagswahlen 2013 ändern, wenn die jungen und per definitonem medienaffinen Piraten ihre Erfolge bei den Wahlen im Saarland und Berlin wiederholen und in den Bundestag einziehen. Bis zum möglichen Einzug der Piraten in den Bundestag bleiben die Grünen die aktivste Partei in den sozialen Medien. Lediglich 15 Prozent ihrer Abgeordneten nutzten während des Untersuchungszeitraums keine Web 2.0-Plattformen. Eine Sortierung nach Bundesländern zeigt zudem: Mit dem Saarland, Berlin und Hamburg landen mit Ausnahme Bremens die flächenmäßig kleinsten Bundesländer am weitesten vorne; besonders aktiv sind Abgeordnete aus urbanen Wahlkreisen.
Und was die Kanzlerin angeht: Ihre Popularität wird auch weiterhin nicht von ihrer Social Media-Aktivität abhängen. Stellvertretend lässt Merkel seit einem Jahr ihren Regierungssprecher Steffen Seibert, mit immerhin 57.000 Follower auf Twitter, mit dem Wahlvolk interagieren. Damit ist das Sprachrohr der Kanzlerin jedoch immer noch weit von der Quote des US-Präsidenten entfernt. Obama hatte 2008 die Präsidentschaft in den USA auch dank des intensiven Einsatzes sozialer Medien wie Twitter gewonnen und so die politische Kommunikation des Landes revolutioniert. Kein künftiger US-Präsident könnte diese Interaktionsmöglichkeiten so ignorieren wie derzeit – noch – die deutsche Kanzlerin. Dafür wäre auf der anderen Seite Seiberts versehentlicher Patzer vom Mai 2011 in den USA vermutlich nicht folgenlos geblieben. In einem Tweet machte der Regierungssprecher “Obama verantwortlich für [den] Tod tausender Unschuldiger”. Gemeint war Osama bin Laden. Aber das hätte der Kanzlerin auch passieren können.
(Foto: Widjaya Ivan)