Über die Notwendigkeit der Vermittlung von Medienkompetenz an Schulen gibt es mittlerweile eine breite Übereinstimmung in Politik und Wissenschaft. Uneinigkeit herrscht noch über die Art und Weise der Umsetzung. Soll es ein separates Fach Medienkompetenz an den Schulen geben, wie es der Berliner Datenschutzbeauftragte Dr. Alexander Dix fordert, oder ist vielmehr eine fächerübergreifende Lösung zielführender, die Niedersachsens Kultusminister Dr. Bernd Althusmann anstrebt?
Bei der diesjährigen didacta, die als europaweit größte Bildungsmesse gilt und vom 14. – 18. Februar in Hannover stattfinden wird, steht bei vielen Veranstaltungen auch wieder die Vermittlung von Medienkompetenz sowohl an Lehrer als auch die von ihnen betreuten Schüler ganz oben auf der Agenda. Um den Herausforderungen und Erfordernissen des digitalen Zeitalters gewachsen zu sein, ist es insbesondere für Heranwachsende wichtig, sich selbstbestimmt und sicher durch das Internet bewegen zu können, also einen kompetenten Umgang mit dem Medium zu lernen. Die Frage ist dabei, wie dies am sinnvollsten vermittelt werden soll.
Pro-Standpunkt Dr. Alexander Dix
In den 1990er Jahren veröffentlichte der Amerikaner Clifford Stoll mit dem Buch „Log out“ einen Appell für die Verbannung von Computern aus dem Schulunterricht. Heute gehört der Umgang mit Computern im Allgemeinen und mit dem Internet im Besonderen zu einer Kernkompetenz. Ein Verzicht auf sie ist mit dem Verlust von Entfaltungschancen verbunden, der keinem Menschen zugemutet werden darf. Zudem statten Unternehmen wie die Deutsche Telekom immer mehr Schulen mit Rechnern aus. Das aber genügt nicht. Zum einen muss die Hard- und Software so administriert werden, dass sie jederzeit über aktuelle Virenscanner und Firewalls verfügen. Das setzt kompetentes Personal voraus, für das die Schulträger sorgen müssen. Entscheidend aber ist die Vermittlung der nötigen Kompetenz zum Umgang mit diesen neuen Medien. Schülerinnen und Schüler, die häufig schon zuhause und vor der Einschulung Kontakt mit Computern haben, sollten lernen, welche Chancen, aber auch welche Risiken das Internet birgt. Suchmaschinen kann man nur sinnvoll nutzen, wenn man auch weiß, was dabei gespeichert wird und wie etwas aus dem Cache einer Suchmaschine gelöscht werden kann. Wer bei Facebook ein Profil anlegt, sollte sich zunächst die Frage stellen, ob er einem Unternehmen vertraut, das wiederholt die eigenen Zusagen zum Umgang mit den Nutzerdaten über Nacht geändert hat, ohne die Nutzer zu fragen. Er sollte auch in der Lage sein, mit dem permanenten Zwang zur Verwaltung der eigenen Reputation (reputation management) umzugehen. Wer sich bei Google registriert hat, um verschiedene Dienste im Vertrauen auf die – inzwischen widerrufene – Zusage dieses Unternehmens zu nutzen, die verschiedenen Nutzungsdaten nicht zu einem Profil zusammen zu fassen, sollte jetzt in der Lage sein, seine Registrierung zu löschen und vergleichbare Dienste verschiedener Konkurrenten zu nutzen, um der Profilbildung zu begegnen. Auch sollte jede Schülerin und jeder Schüler wissen, dass sie oder er sich mit dem Hochladen von Bildern von Freunden ohne deren Einwilligung strafbar macht. Dies sind nur einige Elemente der Medienkompetenz (die noch ganz andere, weiter gehende Elemente hat), die in Schulen möglichst in einem eigenen Unterrichtsfach vermittelt werden sollte. Bisher geschieht dies – wenn überhaupt – erst zu spät und nur in vereinzelten Unterrichtsfächern wie Informatik oder Politik. Dadurch wird der Stellenwert der Medienkompetenz aber nicht angemessen berücksichtigt. Ein eigenes Unterrichtsfach ist auch deshalb dringend erforderlich, um Jugendlichen die Fähigkeit zu vermitteln, wie mit Cybermobbing effektiv umzugehen ist. Das Anprangern und Herabwürdigen von Jugendlichen im Netz hat schon vereinzelt zu Suiziden geführt. Die Kultusministerkonferenz ist auch deshalb aufgefordert, für ein eigenes Fach „Medienkompetenz“ den Weg frei zu machen.
Contra-Standpunkt Dr. Bernd Althusmann
Beim Erwerb von Medienkompetenz geht es nicht darum, sich mit Medien um der Medien Willen auseinanderzusetzen. Vielmehr geht es darum, die Chancen und Risiken der Mediennutzung und des Medieneinsatzes am konkreten Lerngegenstand zu erfahren – also anhand von geeigneten Beispielen im Fachunterricht. Ob dabei vielleicht die Tageszeitung im Deutschunterricht, der PC im Mathematikunterricht oder das Internet-Videoprojekt im Politikunterricht in geeigneter Weise zum Einsatz kommt, liegt im Ermessen der Lehrkräfte. Auch datenschutzrelevante Medienkompetenzen wie der sichere Umgang mit sozialen Netzwerken oder mit Urheberrechten sollten Bestandteil des fachbezogenen Unterrichts sein, z. B. im Bereich der politischen Bildung, Werte und Normen oder Deutsch, da es hier konkrete Gesprächsanlässe gibt. Die fächerintegrative Einbindung von Medienbildung ist zudem besser dazu geeignet, den Erwerb von Medienkompetenz in den allgemeinen Bildungs- und Erziehungsauftrag von Schule einzubeziehen. Hinzu kommt: Die inhaltliche wie auch die technische Entwicklung der Medien führen dazu, dass sie ohnehin in jedem Unterrichtsfach Bestandteil des Lernens sind. Dies zeigt auch die Erweiterung und Überarbeitung der Lehrpläne in zahlreichen Bundesländern. So werden wir in Niedersachsen dafür Sorge tragen, dass Medienbildung verbindlich in die Lehrpläne und in schulische Entwicklungskonzepte aufgenommen wird. Dies ist nur ein Aspekt des Gesamtkonzepts „Medienkompetenz in Niedersachsen – Meilensteine zum Ziel“ der Niedersächsischen Landesregierung. Das Konzept zeigt einen Weg auf, wie der Erwerb von Medienkompetenz nachhaltig in der niedersächsischen Bildungsarbeit verankert werden kann – von der frühkindlichen Bildung bis in die berufliche Weiterbildung. Dies hat auf vielen Ebenen Vorteile: Schulentwicklung und die Verbesserung der Unterrichtsqualität bedingen ohnehin zunehmend projektorientiertes und fächerübergreifendes Lernen. Hier bietet der Medieneinsatz vielfältige Möglichkeiten eigenständigen, kreativen und individuellen Lernens. Ein eigenständiges Fach Medienbildung wäre kontraproduktiv: Es geht nicht darum, ein neues Fach obendrauf zu satteln – es geht darum, anders und verstärkt mittels Medien zu lernen. Unabdingbar ist dabei natürlich, dass auch die Vermittler von Medienkompetenz, also unsere Lehrerinnen und Lehrer, die entsprechenden Kenntnisse und Fertigkeiten mitbringen. Sie sind auch in stärkerem Maße gefordert, beispielsweise schuleigene Konzepte zur Vermittlung von Medienkompetenz zu erarbeiten – somit fördert Medienbildung auch Prozesse der inneren Schulentwicklung. Wir werden in Niedersachsen hierzu die Nachhaltigkeit von Fortbildungen erhöhen. All dies wird dazu beitragen, dass Medienbildung in unseren Bildungsinstitutionen mehr und mehr zum selbstverständlichen Bestandteil des Bildungskanons wird – ganz ohne ein eigenes Schulfach.