Zwei Monate lang tourte ein Bayer mit dem Fahrrad durch Deutschland und traf überall junge Deutsche. Sein Ziel war es, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und zu ergründen, wie sie „ticken“. Die Ergebnisse, zusammen mit denen einer Online-Umfrage, boten Stoff für eine Studie, die im Januar im Internet veröffentlicht wurde.
Mit dem Anliegen, die erste gesamtdeutsche Studie durchzuführen, startete Simon Schnetzer, der Initiator des Projekts „Junge Deutsche“, mit einer Online-Umfrage unter 835 Deutschen. Dabei ging es ihm um das Leben und Erwachsenwerden in Deutschland, mit einem besonderen Fokus auf die Themen Arbeit, Politik und Zukunft. Um „die Statistiken zum Leben zu erwecken“, war es ihm wichtig, viele der Teilnehmer auch direkt zu befragen. Den Jugendforscher interessierte vor allem, wie die 18- bis 34-Jährigen mit der zunehmenden Digitalisierung vieler Lebensbereiche umgehen, welche Themen mehr Aufmerksamkeit von der Regierung erhalten sollten und was für junge Deutsche gute Arbeitsverhältnisse ausmachen. „Mein Ziel war es, mehr über die Lebenssituationen und Denkweisen junger Menschen in ganz Deutschland herauszufinden, um meinem Streben nach Wandel eine Richtung zu geben“, erklärte Schnetzer. Zudem sollte seine Studie zu Diskussionen anregen. Die bei der Umfrage erhobenen Daten sollten die nötige Faktengrundlage dafür bieten.
Was die „Junge Deutsche“- Studie besonders macht, sind das große Engagement ihres Autors und die Methoden, die er zur Datenerhebung nutzte. Zwei Monate durchquerte Simon Schnetzer ganz Deutschland mit dem Fahrrad, twitterte von unterwegs über seine Erlebnisse und übernachtete fast jede Nacht kostenlos auf einer anderen Couch. Das sogenannte Couchsurfing begeistert rund 300.000 Menschen in ganz Deutschland, vernetzt sind sie auf einer Internetseite, auf der Erfahrungsberichte ausgetauscht und Empfehlungen ausgesprochen werden. Auf diese Weise erhielt Simon Schnetzer einzigartige, private Einblicke in das Leben der jungen deutschen Bevölkerung und konnte anschließend die Studienergebnisse qualitativ reflektieren.
Großer Einfluss der Digitalisierung
Nach Aussagen der Befragten wird die zunehmende Digitalisierung als stärkster Einfluss auf viele Lebensbereiche gesehen. Durch das Verschwimmen der Grenze zwischen Privatem und Beruflichem würde das soziale Miteinander verloren gehen und die Abhängigkeit von der Technik das Leben in zwei Welten, eine greifbare und eine virtuelle, spalten. Auch zeigt Schnetzers Studie, dass die 18- bis 34-Jährigen einen hohen Lebensstandard und die berufliche Verwirklichung anstreben. Zwar sind sie sich der grenzenlosen Möglichkeiten im digitalen Zeitalter bewusst, jedoch lässt die derzeitige Situation die Menschen eher mit „bangem, beinahe resigniertem Blick in eine ungewisse Zukunft“ schauen.
So sind junge Deutsche längst an Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt und unsichere Arbeitsbedingungen gewöhnt, jeder Zweite ist sogar überzeugt, den Lebensstandard der Eltern nicht erreichen zu können. Dementsprechend besteht nach Ansicht der Befragten vor allem in Bildungs- und Zukunftsfragen verstärkter Handlungsbedarf. Auch erwarten sie von der Bundesregierung, herrschende Ungerechtigkeiten zwischen den Generationen möglichst sofort anzugehen, die Wirtschaft in die Verantwortung zu nehmen und die Belastungen aus Schulden-, Renten- und Gesundheitspolitik gleichmäßig zu verteilen. Bislang sehen die jungen Menschen diese Interessen und Forderungen jedoch kaum von der Politik wahrgenommen, politisches Engagement erscheint ihnen daher meist zwecklos. Besonders überrascht hat den Jugendforscher die Tatsache, dass ein Drittel der Befragten den Zerfall der Familie als prägend für ihre Generation angibt.
Simon Schnetzer kommt zu dem Schluss, dass zwar eine „wachsende Empörung“ unter jungen Deutschen deutlich erkennbar ist, er stellte aber insgesamt eine große Zufriedenheit fest. Die jungen Menschen „leben lieber zufrieden im Moment, als sich das Leben mit Problemen von morgen zu beschweren“, so Schnetzer. Trotzdem fordert er die Politik auf, Deutschland in sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Bereichen auf einen „zukunftsweisenden und generationengerechten Pfad“ zu bringen.
Die Studie selbst erhielt viel positive Resonanz, auch dank des ansprechenden untypischen Layouts, das sie besonders lesenswert macht. Die selbst erlebten Geschichten von unterwegs lassen die Ergebnisse der Umfrage sehr plastisch werden. Offenbar können auch Jugendorganisationen sich mit Schnetzers Ergebnissen identifizieren und laden ihn zur Zusammenarbeit und zu gemeinsamen Diskussionen ein.
Dies motiviert den jungen Autor zu neuen Projekten. So kündigte Simon Schnetzer bereits eine weitere Studie für 2012 an, für die er wieder mit dem Fahrrad durch die Republik touren will. Schwerpunktthemen werden Europa und Partizipation sein, weshalb er diesmal auch in drei weiteren Ländern ein „kleines Pilotprojekt“ durchführen werde.