Jugendliche haben wenig Geld und sind dennoch die groesste Nutzergruppe technischer Neuheiten. Eine wissenschaftliche Annäherung an das Thema „Telekommunikation und Jugendkultur“.
SMS schreiben, chatten, die täglichen Soaps gucken – Jugendliche umgeben sich heutzutage mit zahlreichen Medienangeboten. Die Wirtschaft darf jubeln, kann in diesem Fall einmal die Nachfrage mit dem wachsenden Angebot Schritt halten, wie jeder Blick ins multimediale Kinderzimmer oder alltägliche Zufallsbeobachtungen jugendlicher Verhaltensweisen bestätigen. Insbesondere die neuen Telekommunikationsmedien Handy und Internet spielen im Leben der Jugendlichen eine entscheidende Rolle. Sie gelten sowohl insgesamt als die größte Nutzergruppe als auch als ‚early adopter\’, soll heißen ‚frühe Anwender\’ technischer Neuerungen, obwohl sie doch das finanzschwächste Käufersegment bilden.
Neue Medien und Jugendkultur
Um so unverständlicher erscheint es, dass die aktuelle Jugendkulturforschung die veränderte Medienumwelt kaum in ihre Untersuchungen einbezieht. Zwar konstatiert beispielweise die kommerzielle Studie des österreichischen Mobilfunkanbieters mobilkom austria, dass 91 Prozent der einheimischen Jugendlichen ihr Handy immer bei sich tragen und durchschnittlich 23,4 SMS pro Woche verschicken, dennoch unterscheiden die meisten Studien zur Jugendkultur immer noch zwischen medialen und nicht-medialen Freizeitverhalten. Computer, Internet und Mobiltelefone sind jedoch integraler Bestandteil des jugendlichen Freizeitverhaltens. Bei den männlichen Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren hat der Computer bereits den Fernseher ‚als Medium, auf das am wenigsten verzichtet werden kann\’ vom Spitzenplatz verdrängt.
Judith Bug und Matthias Karmasin bieten in den von ihnen herausgegebenen Sammelband “Telekommunikation und Jugendkultur. Eine Einführung” eine erste wissenschaftliche Annäherung an dieses Thema. Unter dem Blickwinkel ihrer unterschiedlichen Disziplinen entwickeln die Autoren Fragestellungen, um das neue Forschungsfeld abzugrenzen.
Themenfelder der Beiträge sind die Integration der Telekommunikationsmedien in bestehende Formen der Mediennutzung, Re-Artikulation der Kulturen und Identitäten von Jugendlichen, Angebot und Nutzung von Bildschirmspielen, neue Formen der cross-medialen Vermarktung am Beispiel Pokémon, Merkmale computer-vermittelter Kommunikation am Format Internet-Chat, die Rolle des Handys und insbesondere des Short-Message-Service für Jugendliche, die Veränderungen im Umgang mit Musik durch MP3 und die Mediatisierung jugendlicher Lebensräume.
Umfassende gesellschaftliche Veränderungen
Die Autoren vergleichen die Neuen Medien mit de Erfindung des Buchdrucks: Ähnlich wie die Erfindung des Buchdruckes nehmen die neuen Medien nicht nur Einfluss auf das Freizeitverhalten der Menschen, sondern auf alle Lebensbereiche.
Entsprechend der veränderten Mediennutzung müsse die Zuschauerforschung ihre Methodologie anpassen: Der Stellenwert der einzelnen Medien könne nicht mehr durch die quantitative Nutzungsdauer gemessen werden. Vielmehr stellen sich die Jugendlichen eigene Menüs aus alten und neuen Medien zusammen, die sie ihren Bedürfnissen entsprechend zur Information, Kommunikation oder Unterhaltung verwenden.
In der Soziologie, so die Autoren, dürfe nicht länger nur Globalisierung und Individualisierung als einflussnehmende Faktoren auf das Umfeld Jugendlicher analysiert werden, auch die Auswirkungen der Mediatisierung müssten Eingang in die Forschung finden. Einige Folgen könnten schon heute beobachtet werden: Der Alltag ist weniger klar strukturiert als es noch in der Industriegesellschaft der 50er Jahre der Fall war. Beziehungen definieren sich nicht mehr so stark durch räumliche Nähe als über gemeinsame Interessen.
Insgesamt stellt dieser Sammelband, der von Telekom Austria gesponsert wurde, eine gelungene Einführung in das Thema dar. Die vorgestellten Hypothesen zur gesellschaftlichen Veränderungen durch die Telekommunikationsmedien sind anschaulich und allgemein verständlich. Kritische Anmerkungen zur Kommerzialisierung und Verflachung von Kommunikation kommen allerdings zu kurz.
Erschienen am 1.5.2003
|