Nicht nur die Parteien, auch die Sozialwissenschaftler
variieren ihre Kommunikationsformen. Der politik-digital-Autor
Christoph Bieber, Politologe, diskutierte via eMail
mit dem Soziologen Till Westermayer über den Internet-Parteitag
der Bündnisgrünen im Ländle.

Mit der Durchführung eines "Virtuellen Parteitags" setzt der grüne
Landesverband Baden-Württemberg ein deutliches Signal in Richtung Internet. Für gut zwei
Wochen diskutieren die Delegierten mit den Mitgliedern auf der eigens eingerichteten
Website www.virtueller-parteitag.de, bevor
es dann zur digitalen Abstimmung – auch dies eine Neuerung – kommen wird. Der Versuch,
politisches Internet-Neuland zu erkunden, ruft nicht nur Politik und Medien auf den Plan,
auch die Wissenschaft wirft ein interessiertes Auge auf die Vorgänge im Netz.
politik-digital-Autor Christoph Bieber führte kurz vor dem Start des Online-Parteitags
eine eMail-Korrespondenz mit Till Westermayer,
der das politische Netzereignis ins Zentrum seiner wissenschaftlichen Abschlussarbeit
gestellt hat.

politik-digital: Wie kommt man dazu, einen
Virtuellen Parteitag zum Thema einer Magisterarbeit zu machen? Ruft das nicht Stirnrunzeln
bei den Prüfern hervor?

Westermayer: Politik im Internet hat mich schon immer interessiert,
und als ich dann die Möglichkeit gesehen habe, zu einem ganz konkreten, spannenden
Politikprojekt im Netz meine Magisterarbeit zu schreiben, wusste ich: das ist es. Und
meine Prüferin war nach einem ersten Gespräch auch gleich bereit, das Thema zu betreuen.

politik-digital: Wer nimmt denn die Prüfung ab und
in welcher Disziplin ist es?

Westermayer: Ich schreibe meine Magisterarbeit im Studiengang
Soziologie an der Uni Freiburg; betreut werde ich dabei von Prof. Nina Degele, die neben
der allgemeinen Soziologie und der qualitativen Methodik in Freiburg auch für die Gender
Studies zuständig ist.

politik-digital: Wie kann man eine solche
Veranstaltung überhaupt wissenschaftlich begleiten?

Westermayer: Da gibt es ganz unterschiedliche Zugänge. Ich werde mir
vor allem anschauen, wie die Nutzerinnen und Nutzer den virtuellen Parteitag im Vergleich
zu einem echten Parteitag wahrnehmen, und wie sich das Medium Internet auf das Verhältnis
zwischen "Funktionären" und "Basis" und auf das
Geschlechterverhältnis auswirkt. Andere Projekte befassen sich stärker mit
politikwissenschaftlichen Aspekten oder mit Besonderheiten der Kommunikationsformen.

politik-digital: Welche Art von "Daten"
fällt denn dabei an? Nimmt man – quasi als Ethnologe – am Online-Geschehen teil und
berichtet dann über die Eigenheiten des Netzereignisses?

Westermayer: Auch hier gibt es verschiedene Möglichkeiten. Was ich
mir vorstelle, ist eine Kombination aus der Erhebung von Fragebogendaten mit der genauen
Beobachtung und Beschreibung des Parteitags. Dazu führe ich dann qualitative Interviews
mit verschiedenen TeilnehmerInnen am Parteitag.

Till Westermayer
Till
Westermayer

politik-digital: Sind Sie denn selbst auch
teilnahmeberechtigt?

Westermayer: Da ich selbst Mitglied der grünen Partei bin, wäre ich
prinzipiell teilnahmeberechtigt. Ich habe mir auch ein Passwort für den Schreibzugriff
kommen lassen, weiss aber noch nicht, ob ich es nutzen werde, da ich den Parteitag ja
diesmal weniger als Parteimitglied als vielmehr mit einem soziologischen Blick betrachten
will. Deswegen werde ich auch nicht als Delegierter für meinen Kreisverband kandidieren.
Am Parteitag können übrigens alle baden-württembergischen Parteimitglieder
"redend" teilnehmen.

politik-digital: Das klingt nach dem bekannten
Dilemma des Forschers, der seinen Gegenstand nicht beeinflussen darf, obwohl er vielleicht
so manches besser weiß… Gibt es denn schon einschlägige methodische Vorarbeiten für
derartige Untersuchungen oder betritt man damit komplettes Neuland?

Westermayer: Ganz ohne Riesen, auf deren Schultern man sich stellen
kann, ist man ja nie – Neuland ist dieses Projekt insofern, als es bisher zwar schon
einige (auch qualitative) Arbeiten dazu gibt, wie sich das Medium Internet auf
beispielsweise das Gruppengefühl auswirkt, aber ich bisher kaum Arbeiten dazu gefunden
habe, wie Parteimitglieder sich in ihrer Partei ‘fühlen’.

politik-digital: Bieten denn die herkömmlichen
Ansätze der Parteienforschung da keine Anknüpfungspunkte? Ich denke da zum Beispiel an
die Diskussion um die "Krise der Mitgliederparteien" oder die Debatte zum
"Verfall der innerparteilichen Demokratie". Dabei geht man von einer
allmählichen Erlahmung der Aktivität der Parteimitglieder aus – die großen Parteien
verzeichnen zwar noch respektable Mitgliederzahlen, aber die eigentliche Parteiarbeit
verteilt sich auf immer weniger Schultern… sagt diese Entwicklung nicht auch etwas über
die "Befindlichkeit" von Parteimitgliedern aus? Und: können Virtuelle
Parteitage vor diesem Hintergrund tatsächlich zu mehr "Mitmachen" animieren?

Westermayer: Natürlich lassen solche Befunde einen zu bestimmten
Vermutungen über die Befindlichkeit der Parteimitglieder kommen. Mir geht es aber nicht
darum, vom Zustand der Institution Partei auf das Interesse der Mitglieder zu schließen,
sondern anders herum mal genau hinzuschauen, wie Mitglieder sich in einer Partei
aufgehoben fühlen, und wie – und warum – diese sich dort beteiligen und einbringen
wollen. Ob der virtuelle Parteitag es schafft, hier zu mehr "Mitmachen" zu
führen, bleibt abzuwarten – schön wäre es, und das ist wohl auch eines der Ziele. Aber
ob es funktioniert, lässt sich erst nach dem Parteitag sagen.

politik-digital: Gibt es andere
Online-Veranstaltungen, die für einen "Virtuellen Parteitag" als Vorbilder
fungieren können?

Westermayer: Der Virtuelle Parteitag der Grünen in Baden-Württemberg
ist wohl das erste Projekt, bei dem ein Parteitag mit all seinen Eigenschaften – also mit
gewählten Delegierten, mit einem Präsidium, mit (bindenden!) Abstimmungen – ins Netz
transferiert wurde. Insofern gibt es bisher keine Erfahrungen mit Online-Parteitagen.
Anders sieht es mit der Nutzung von Online-Konferenzen zur politischen Diskussion in einem
eingeschränkten TeilnehmerInnenkreis aus. Strukturell recht ähnlich wie der Virtuelle
Parteitag scheint mir hier Claudia Bremers www.bildung2001.de
zu sein, eine online stattfindende Konferenz zu Fragen der Zukunft der Bildung. Dazu und
zu ähnlichen Konferenzen gibt es einiges an Material.

politik-digital: Bei solchen Online-Veranstaltungen
entstehen zumeist auch völlig neue Anforderungen sowohl für die Teilnehmer wie auch für
die Veranstalter. Das beginnt mit dem Aufstellen von Schreibregeln oder Hinweisen zum
Diskussionsverhalten, bis zur "richtigen" Zusammenfassung und Moderation der
Beiträge innerhalb einzelner Diskussionsstränge. Was sind aus Ihrer Sicht die
wichtigsten Neuerungen, mit denen die Teilnehmer konfrontiert werden?

Westermayer: Das wichtigste ist vielleicht der größte Vor- und
Nachteil des Internet im Vergleich zu einer realen Tagung: die Asynchronität. Auf einem
realen Treffen kann ich entweder zum Arbeitskreis A oder zum Arbeitskreis B gehen, und
wenn zehn Leute geredet haben, ist eine Stunde vorbei und keine Zeit mehr für weitere
Redebeiträge. Im Netz kann ich – theoretisch – mir sowohl die Diskussion in mehreren
Arbeitsgruppen parallel anschauen und mich daran beteiligen, als auch zeitunabhängig zu
einer Diskussion beitragen. Dieses Potenzial führt leicht zu der Erwartung, anders als
bei einem realen Treffen alles mitkriegen zu wollen. Das geht aber natürlich nicht – und
führt dann zu Stress. Es kommt also drauf an, bewusster als bei einem bisherigen Treffen
Informationen zu managen, zu entscheiden, was gelesen wird und was nicht, woran ich mich
beteilige und woran nicht. Außerdem scheint Internetkommunikation – wohl durch die
fehlende Rückkopplung zum Gegenüber – schnell zum Aufkochen von Emotionen zu führen,
oder auch zum Breittreten von Mißverständnissen. Hier ist dann eine gute Moderation
gefragt – die zugleich auch die Aufgabe hat, unbekannte, unsichtbare Menschen zum
Mitdiskutieren anzuregen. Wer nicht mitdiskutiert, ist im Netz noch viel weniger als im
realen Raum präsent. Allein dadurch schon ergibt sich eine neue Situation.

politik-digital: Inwiefern hält der "Virtuelle
Parteitag" der CDU
einem Vergleich mit dem grünen Projekt stand?

Westermayer: Ich hatte ja schon angedeutet, dass es sich beim
Virtuellen Parteitag um ein Projekt handelt, bei dem ein Parteitag mit all seinen
Eigenheiten ins Netz verschoben werden soll. Ob das im Detail immer richtig ist, wird sich
zeigen – hier werde ich auch besonders drauf achten. Beim sogenannten Internet-Parteitag
der CDU – der leider nur CDU-Mitgliedern zugänglich war – ging es nach den mir
vorliegenden Informationen darum, in Diskussionen und Umfragen etwas über die Meinung der
Mitglieder herauszufinden, um den real in Stuttgart tagenden Bildungsparteitag der CDU
vorzubereiten. Das scheint mir dann doch etwas ganz anderes zu sein als der Versuch, einen
kompletten Parteitag virtuell abzuhalten. Ob der reale Einfluss dieses Internet-Parteitags
größer ist als der Einfluss anderer Meinungsumfragen, bleibt für mich eher fraglich.
Umfragen und politische Diskussionen im Netz gibt es inzwischen ja doch recht häufig,
etwa bei der Politik-Community dol2day.

politik-digital: Der Virtuelle Parteitag knüpft
zum einen an die "Kultur" der parteiinternen Diskussionsforen und im Falle der
Grünen auch an das Vorläuferprojekt www.grundsatzdebatte.de
an. Sind Erfahrungen aus diesen Projekten in den Virtuellen Parteitag eingeflossen?

Westermayer: Bündnis 90/Die Grünen profilieren sich ja seit einiger
Zeit dadurch, dass sie ausloten, wie das Internet für eine moderne Kommunikation zwischen
Partei und BürgerIn und unter Parteimitgliedern genutzt werden kann.
www.grundsatzdebatte.de würde ich momentan als einen netten Versuch beurteilen, der aber
an technischen und organisatorischen Problemen krankt und nie richtig in Gang gekommen
ist. Ich gehe davon aus, dass die OrganisatorInnen des Virtuellen Parteitags sich
www.grundsatzdebatte.de genau angeschaut haben und auch daraus gelernt haben.

politik-digital: Wie würdest du denn die übliche
Online-Berichterstattung von den "realen Parteitagen" beurteilen? Ist das eine
reine "Marketing-Masche" oder haben Parteitage auch in den letzten Jahren nicht
schon immer dazu beitragen wollen, die Partei "in die Nähe" des Internet zu
rücken? Gibt es da vielleicht so eine Art "Tradition"?

Westermayer: Ich sehe hier schon eine gewisse Tradition. Auf der Seite
der Information – zum Beispiel darüber, welche Anträge für einen Parteitag anstehen,
was gerade beschlossen wurde, etc. – wird heute sehr viel besser als vor ein paar Jahren
informiert. Damals musste ein "einfaches" Parteimitglied ins Parteibüro rennen,
um herauszukriegen, welche Anträge vorliegen, und bekam wenn es um spannende Themen ging
nur aus den Medien, und sonst überhaupt nicht mit, wie darüber diskutiert und
entschieden wurde. Insofern sehe ich hier tatsächlich mehr als Marketing. Natürlich ist
auch ein bisschen Marktschreierei dabei – die doch erhebliche Presseresonanz auf die erste
Ankündigung des Virtuellen Parteitags weist z.B. darauf hin. Aber vielleicht verbindet
sich hier der Wunsch, innovativ zu wirken, mit tatsächlichen Innovationen.

politik-digital: Könnte sich diese Steigerung von
Transparenz aber nicht auch negativ auswirken? Wird der Online-Zugriff auf solche
Informationen zu innerparteilichen Diskussionen führen, die gar nicht mehr im Zaum zu
halten sind?

Westermayer: Möglicherweise wird das von einigen als Gefahr gesehen.
Wenn sich tatsächlich eine derartige Dynamik entwickelt, mag das zu einigem Wirbel in
unserem politischen System führen. Ich persönlich denke aber, dass eine solche
Entwicklung, die ja auch erst einmal noch eintreten muss, lediglich dazu führen würde,
die Demokratie demokratischer zu machen. Und insofern wäre dies zu begrüßen.

politik-digital: Ein schönes Schlusswort. Vielen
Dank für die eMails.