Software ist eine neue Zeiterscheinung. Daher sind Softwarepatente bisher nur sehr schwammig definiert. Monopolfreiheit und freier Austausch von Wissen und Ideen waren die Katalysatoren des Erfolgs des Internets. Softwarepatente können dieser Entwicklung einen Riegel vorschieben und Weltkulturerbe in Privateigentum verwandeln. Joachim Jakobs von der Free Software Foundation Europe stellte sich den Fragen von politik-digital.de

politik-digital: Versagt bei der Debatte um die Einführung von Softwarepatenten in der EU die demokratische Kontrolle?

Joachim Jakobs: Ja! Das Bedauerliche an dieser Debatte ist, dass es nicht mehr darum geht, eine Lösung zu finden, die Europa weiterbringt. Wie ist es sonst zu erklären, daß eine Diskussion zu diesem Thema nicht stattgefunden hat, obwohl das eine Reihe von Ländern gefordert haben. Die Luxemburgische Ratspräsidentschaft hätte dieser Forderung nach den Prozeduren der Europäischen Union stattgeben müssen.

politik-digital.de: Welche direkten politischen Folgen hätte die Umsetzung der Richtlinie in Deutschland?

Joachim Jakobs: Würde tatsächlich Gesetz, was der Europäische Rat vor kurzem beschlossen hat, stünde der deutsche Gesetzgeber vor der absurden Situation, das in nationales Recht umsetzen zu müssen, was er vorher ausdrücklich abgelehnt hat. Dann müsste sich wiederum die Bundesregierung fragen lassen, wie sie dem Bundestag Derartiges zumuten kann. Der Beschluß des Europäischen Rates vom 7. März wäre ohne die Zustimmung der Bundesregierung nicht zustande gekommen.

politik-digital.de: Die Problematik der Softwarepatente ist in der Politik schwer zu vermittel. Welche Rolle spielt hierbei die politische Lobbyarbeit?

Joachim Jakobs: Einige der Mächtigen in Europa scheinen vergessen zu haben, daß sie Politik für die Menschen zu machen haben und nicht für eine bestimmte, einzelne Klientel – die scheinbar die dickeren Kanonen in Stellung gebracht haben. Die Gemeinschaft derer wächst, die die weltweite Politik zur Monopolisierung der Informations- und Wissensgesellschaft mit Argwohn beobachten.

Mit unserem Fellowship-Programm auf
fsfe.org wollen wir den Informationsaustausch quer über Projekt- und Ländergrenzen fördern. Im Ergebnis werden wir damit nicht nur das Wachstum dieser Gemeinschaft beschleunigen, sondern vor allem zeigen, dass Goliath auch im Informationszeitalter keine Chance gegen David hat.

politik-digital.de: Immer mehr Technik verfügt auch über Softwarebestandteile. Würden das nicht auch ein Konjunkturmotor sein? Warum lehnen freie und mittelständische Entwickler solche Patente ab?

Joachim Jakobs: Mit Softwarepatenten werden Ideen monopolisiert. Hätte es Mitte des 18. Jahrhunderts schon Ideenpatente gegeben, hätte Joseph Haydn ein “Musikstück aus vier Sätzen mit Gesang und Melodie” patentieren können. Die Folge: Haydn hätte für jede von Mozarts 41 Sinfonien Lizenzzahlungen in beliebiger Höhe verlangen können. Schlimmer noch: Um dieses Patent zu bekommen, hätte Haydn niemals auch nur eine einzige Sinfonie komponieren müssen.

Jeder noch so unmusikalische dafür aber skrupellose Anwalt hätte dieses Patent somit anmelden können. Nun wird eine Gesellschaft mit Monopolen auf Ideen im Bereich der Kunst vor allem ideell “ärmer”. Die ökonomischen Auswirkungen sind eher begrenzt.

Softwarepatente hingegen wirken als Job- und Konjunkturkiller: Hewlett Packard mußte vor kurzem den Verkauf eines Produktes einstellen, weil dieses Produkt ein Softwareideenpatent in den USA verletzte. Dieses Produkt war ursprünglich ein Flaggschiff eines Startup-Unternehmens, das HP 2001 für 350 Millionen Dollar übernommen hatte. Es bleibt für HP die Erkenntnis: “Ausser Spesen nix gewesen!”

Grade vor dem Hintergrund von über 5 Millionen Arbeitslosen in Deutschland können wir derartige Verhältnisse in Europa nicht wirklich wollen.

Politik-digital.de: Sind die Großunternehmen unflexibler als die kleinen Software-Enwickler aus dem Mittelstand?

Joachim Jakobs: Kleine und Mittelständische Unternehmen haben offenbar schon länger erkannt, daß sich viele europäische Politiker hier in einer Sackgasse befinden. Aber es gibt ja durchaus auch Großunternehmen, die bereit sind, dazu zu lernen.

So bemängelte John Swainson, der Chef von Computer Associates vor kurzem gegenüber der Financial Times Deutschland die vielen Trivialpatente in den USA. Er hofft, dass die Europäer nicht alle die Fehler wiederholen, die in den USA begangen wurden.

Denkt man das zu Ende, kommt man zu dem Ergebnis, daß nur das schützenswert ist, was eine physikalische Auswirkung in der Natur hat – zum Beispiel der Antrieb einer Maschine. Allerdings sind dies dann keine Softwarepatente mehr, sondern tatsächliche Erfindungen. Und die sind schon immer durch das Patentrecht geschützt gewesen und sollen es auch bleiben. Wir hoffen, dass wir diese Erkenntnis von Herrn Swainson auch den Lobbyisten des BDI und denen von Siemens, Nokia und Philips werden beibringen können.

Politik-digital.de: Die Folgen der Einführung von Softwarepatente btreffen nicht nur die IT-Branche. Welche gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen hat die neue EU-Richtlinie?

Joachim Jakobs: Es gibt unterschiedliche Kulturen: Die Freie Software Gemeinde pflegt die des Teilens von Wissen und von Informationen. Aus dieser Kultur des Austauschs ist das “WWW”, das World Wide Web entstanden. Andere nutzen zwar gerne das Wissen von Dritten, meinen aber, sie müssten eigene oder gar fremde Ideen monopolisieren, um dann bei denen Kasse zu machen, die eine Lösung zu dieser Idee entwickeln.

Ist der Lösungsentwickler nicht bereit, die Wegelagerer-Gebühr des Ideenbesitzers zu bezahlen, kann der ihn als Ideendieb verklagen. Genauso können die Kunden des Ideendiebs verklagt werden. Da kein Wirtschaftsbereich ohne Software auskommt, werden alle davon betroffen sein. Angesichts von 30.000 Softwarepatenten in den Europa, die nur auf ihre Legalisierung warten, erwarten wir nicht nur eine Lähmung des wirtschaftlichen, sondern auch des gesellschaftlichen Lebens in Europa.

Ein Beispiel: “Basel II” sind Empfehlungen zur Berechnung und Bewertung von Kreditrisiken. Sie wurden von Zentralbanken rund um den Globus unter der Federführung der Bank für internationalen Zahlungsausgleich im schweizerischen Basel entwickelt.

In den USA sind 180 Patente angemeldet, die sich mit “Credit Risk” beschäftigen. Insbesondere deutsche Mittelständler ächzen unter der restriktiven Kreditvergabe ihrer Finanzdienstleister. Sie ahnen allerdings nicht einmal im Ansatz, was mit Softwarepatenten erst auf sie zukommen könnte.

Beliebige weitere Szenarien aus Bereichen wie der öffentlichen Finanzverwaltung, der Verwaltung von Kranken oder der Arbeitslosen sind denkbar. Eines möchte ich aber noch herausgreifen: Die Anzahl der Möglichkeiten, ein Computersystem möglichst “sicher” zu machen, sind begrenzt. Vielfach wird es wohl nur eine “beste” Lösung geben. Sicherlich wünschen sich viele Menschen eine gesicherte Energieversorgung. Auch die Software von Atomkraftwerken sollte höchsten Ansprüchen genügen. Mit Softwarepatenten ist dieser Anspruch erheblich eingeschränkt.

Politik-digital.de: Warum ist Ihrer Meinung nach der deutsche Wirtschaftsminister Minister Clement am 07. März bei den abschliessenden Verhandlungen so passiv geblieben?

Joachim Jakobs: Jeder Bundesminister, der in dieser Frage abzustimmen gehabt hätte, hätte einen präzisen Auftrag erhalten. Die Frage ist mehr, wieso sich Bundeskanzler Schröder so dezidiert auf die Seite der Patentlobby gestellt hat, ohne sich über die Folgen zu informieren.

politik-digital.de: Wie können sich Bürgerinnen und Bürger gegen die Einführung von Softwarepatenten in Europa wehren?

Joachim Jakobs: Am besten Fellow der Free Software Foundation Europe werden und gemeinsam mit uns Aktionen und Initiativen etwas gegen die geistige Verarmung unserer Gesellschaft unternehmen! Nur Gemeinsam sind wir stark!

Politik-digital.de: Was spricht gegen die Hauptargumente der Befürworter der neuen Softwarepatent-Richtlinie?

Joachim Jakobs: Das Hauptargument der Befürworter ist, dass die “Erfindungen” geschützt werden müssten. Nur: Ideen sind keine Erfindungen, sondern allenfalls Voraussetzung, um etwas erfinden zu können. Und die tatsächlichen “Erfindungen”, nämlich der Quellcode der Programme der Softwareentwickler sind durch das bestehende Urheberrecht ausreichend geschützt.

Politik-digital.de: Brigitte Zypries bezeichnete den EU-Ratsbeschluss als “grossen Gewinn an Rechtssicherheit”. Worauf bezieht sich dieser Rechtssicherheitsgewinn?

Joachim Jakobs: Diese Aussage scheint mir genauso qualifiziert, wie die seit Monaten andauernde Hoffnung, die Konjunktur in Deutschland werde anspringen. Mit anderen Worten: Das bleibt das Geheimnis unserer Bundesjustizministerin. Danach sollten Sie sie selbst fragen.

Politik-digital.de: Nennen Sie bitte ein paar Beispiele aus dem alltäglichen Leben, auf die sich die neue Richtlinie auswirken könnte!

Joachim Jakobs:Jeder Marktteilnehmer, der ein Softwarepatent hält, könnte seine Wettbewerber verklagen – die Beweislast läge beim Beklagten. Das könnte die verschiedensten Produkte erheblich teurer machen, oder deren Benutzung ganz verhindern. Die Entscheidung darüber läge beim Patentinhaber. So könnten sich die Gebühren beim Internet-Einkauf könnten erhöhen, weil Amazon sein berüchtigtes Ein-Klick-Patent hält.

Windows und
GNU/Linux-Anwender müssten fürchten, Lizenzzahlungen wegen eines Patents auf einen virtuellen Mülleimer an Apple leisten zu müssen. Und Fans des freien Musikkompressions-Standards
OGG/Vorbis müssten Klagen der Fraunhofer-Gesellschaft wegen deren
MP3 Patent fürchten. Genauso müssten Fotografen um die Existenz ihrer virtuellen Fotoalben im Internet fürchten, wenn sie ein anderes Fotoformat als das patententierte JPEG benutzen – Daß das benutzte Format nicht das Patent verletzt, müssen die Beklagten beweisen.


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