(Interview, 21. September 2006) Der Medien- und Computerkritiker Joseph Weizenbaum sagt im politik-digital.de Interview, dass Wissenschafter sich technischen Entwicklungen auch verweigern und Schüler google misstrauen sollten.


 
Der erste Computer wurde für das Militär entwickelt. Können Sie den geschichtlichen Zusammenhang zwischen Informatik und Militär näher beschreiben?

Der 1946 in Betriebe genommene “ENIAC” in den USA gehörte zu diesen ersten Computern. Er war speziell entwickelt worden, um die Flugbahn von Artilleriegeschossen zu berechnen: Das war der Beginn einer Tradition. Interessant ist, dass Konrad Zuse in Deutschland während der Zeit des Zweiten Weltkrieges seinen Computer entwickelte, doch vergeblich versuchte, das deutsche Militär dafür zu interessieren.

Auch im Kalten Krieg spielte die Entwicklung von Computern eine wichtige Rolle. Zum Beispiel wurden im Rahmen einer US-Verteidigungsstrategie Frühwarnsysteme im Norden Kanadas und auf Grönland errichtet. Die Signale, die diese Geräte aufnahmen, mussten wiederum verarbeitet werden. Dafür waren gewaltige Computer nötig, und die US-Industrie und Wissenschaft gerieten mächtig unter Druck. Das größte Problem war die Zuverlässigkeit der Computer. Ohne die Lösung dieses Problems, wäre die gesamte Strategie gescheitert.

Danach blieb Rüstungsfortschritt der Hauptmotor, der die gesamte Computerindustrie in den USA antrieb, da sich mit jeder technischen Entwicklung die potenzielle Angriffszeit des Gegners verkürzte und Computer schneller reagieren sollten. Das reichte von der Einführung der Bomberflotte in den USA, über den Einsatz von Propellerflugzeugen in der Sowjetunion bis zur Entwicklung der Interkontinentalrakete und der Mehrfachsprengköpfe.

Außerdem mussten Maschinen, vor allem Flugzeuge und Raketen, selbst Computer an Bord haben. Die mussten leichter bedienbar und noch zuverlässiger werden.

War Informatik die Wissenschaft, die die Rüstungsdynamik am meisten vorangetrieben hat?

Ja, aber es gilt auch umgekehrt: Rüstungswirtschaft war der Faktor, der Informatik am stärksten vorantrieb. Man kann fragen: Wäre der Computer entwickelt worden, wenn es nach dem Zweiten Weltkrieg weniger Kriege gegeben hätte? Ich kann mir vorstellen, dass wir dann heute z.B. immer noch große Computerzentren in Fabriken hätten und zu Hause kleinere Computer nutzten, aber vielleicht keine Laptops. Wegen der viel geringeren Finanzierung wäre die Entwicklung erheblich langsamer verlaufen.

Computerforschung ist heute ein Komplex mit vielen Branchen und Zweigen, anders als zu Beginn. Aber ein riesiger Teil auch der heutigen Forschung ist immer noch vom Militär abhängig. Dies gilt vor allem für die USA.

Was denken Sie über die zukünftige Dynamik zwischen Informatik und Krieg?

Manchmal kommt ein Student zu mir und macht sich Sorgen über das, woran er arbeitet, ob er weitermachen soll, über seine zukünftige Arbeit nach der Universität etc. Ich sage in solchen Fällen: “Bevor du anfängst an einem Projekt zu arbeiten, versuche dir vorzustellen, was mit deiner Arbeit gemacht wird. Sagen wir, du arbeitest an einer Computervision, kannst du sicher sein, daß jeder Fortschrtitt, den du machst, nicht eines Tages in einer Rakete, einer Cruise Missile eingesetzt wird? Wenn die Antwort nein ist, solltest du nicht an diesem Projekt arbeiten. Mehr kann ich dir nicht sagen. Im übrigen, sollst du nicht etwas tun, weil Weizenbaum es sagt, sondern du musst es selbst wissen.”

Die Lehre aus dieser kleinen Geschichte lautet, dass es uns gelungen ist, eine derart astronomische Distanz zwischen das, was wir tun, und den Konsequenzen unseres Tuns zu legen, dass die Verbindung einfach verloren ging. Bomberpiloten beispielsweise bombardieren mit einer B 52 aus einer Höhe von 40 000 Fuß wie in Vietnam, drücken den Knopf und diese riesigen Bomben regnen da runter. Und der Pilot ist da oben. Er hört die Explosion nicht, er sieht die Explosion nicht, er sieht kein Blut, keine abgerissenen Arme, er ist so weit entfernt, dass es mehr mit Computern zu tun hat als mit Menschen oder irgendeiner Realität.

Geben Sie den Rat, sich der eigenen Wissenschaft zu verweigern?

Ja, ich glaube wirklich, dass Verweigerung eine Antwort sein kann. Selbstverständlich ist das unrealistisch. Die Informatikgemeinschaft wird sich nicht kollektiv verweigern.

Sollte man in der Ausbildung der Studenten etwas ändern?

Die wichtigste Aufgabe der Schule ist, den Schülern kritisches Denken, Skepsis, beizubringen. Das aber ist das absolute Gegenteil von Surfen im Internet, von der Einbildung, Google sei die Quelle der Wahrheit usw. Aber was wird gelehrt? Keine Skepsis, keine Logik. Ohne kritisches Denken und Fragen ist aber jeder leichte Beute von Propaganda und Irreführung.

Professor Joseph Weizenbaum (geb. 1923 in Berlin) begann 1963 seine Tätigkeit am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, wo er Computerwissenschaften lehrte und ab 1970 zum Professor für Computer Science ernannt wurde. Er ist Mitbegründer der US-Interessenorganisation
Computer Professionals for Social Responsibility und Mitglied im Beirat des Forums InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIFF) in Deutschland. Weizenbaum tritt seit den 60er Jahren als Medien- und Computerkritiker hervor und wurde mit zahlreichen wissenschaftlichen Preisen ausgezeichnet.

Das Gespräch führte Reiner Braun.