LOST ART im Internet

Die Suche nach verschwundenen Kunstwerken war jahrzehntelang eine mühsame Arbeit. Ermittler mussten Museumskataloge wälzen, Auktionen und Kunsthändler auf allen Kontinenten besuchen und in staubige Archive steigen. Seit einigen Jahren versuchen staatliche und private Initiativen, mit den Möglichkeiten des Internet den verschollenen Werken und Eigentümern auf die Spur zu kommen.

26.000 Teppiche, 33.000 Gemälde, Zeichnungen und Grafiken, 53.000 sonstige Kunstwerke. So viele Kulturgüter sind allein in Deutschland als gestohlen gemeldet. Kunstdiebe und Hehler schaffen es immer wieder, geraubte Objekte an Händler oder Sammler zu verkaufen, weil diese die Herkunft nicht ausreichend überprüfen wollen oder können. Die beste Möglichkeit, jedem potenziellen Kunstkäufer alle Daten für eine Identifizierung zur Verfügung zu stellen und damit Diebesgut unverkäuflich zu machen, ist das Internet. Das haben öffentliche Stellen ebenso wie private Initiativen erkannt und stellen zunehmend ihre Datenbanken online. Die mit Verlustgeschichten, Aktenzeichen und Fotografien gefütterten Verzeichnisse können nach Werk oder Schöpfer durchsucht werden. Kunstkäufer haben damit eine realistische Chance, ihrer gesetzlich vorgeschriebenen Sorgfaltspflicht nachzukommen und die “Provenienz”, also die Herkunft des Werkes zu überprüfen. Ein positiver Nebeneffekt solcher virtueller Archive ist die Möglichkeit, sie dezentral zu “lagern”. So kann verhindert werden, was mit der Kunstabteilung der US-Zollbehörde in New York geschehen ist: Deren Archiv befand sich im Nebengebäude Nr. 6 des World Trade Centers und wurde bei den Anschlägen am 11. September 2001 vernichtet.

Das Art Loss Register

Die älteste und erfolgreichste Internet-Datenbank zu gestohlener Kunst ist das
Art Loss Register (ALR) mit Hauptsitz in London. Es wurde 1991 von
Versicherungsunternehmen, Auktionshäusern und der
International Foundation for Art Research (IFAR) gegründet. Die IFAR hatte seit den 1970er Jahren ein Archiv über geraubte Kunstwerke angelegt und begann 1987, dieses in eine elektronische Datenbank zu überführen. Auf Vorschlag des Auktionshauses Sotheby`s http://www.sothebys.com wurde diese zum Art Loss Register ausgebaut. Dort kümmern sich nun 20 Mitarbeiter um Suchanfragen und um 10.000 neue Diebstahlmeldungen jährlich – und das mit Erfolg: Bereits 6 % aller verschwundenen Kunstwerke können jedes Jahr mit Hilfe der Datenbank, die rund 100.000 Einträge umfasst, identifiziert werden. So kamen seit der Gründung etwa 1.000 Funde im Gesamtwert von 100 Millionen Dollar zusammen.

Neben Versicherern und Kunsthändlern, die aus eigenem Interesse digitale Archive gestohlener Kunst aufbauen, stellen auch staatliche Ermittlungsbehörden Fahndungsseiten ins Netz.

Auf der Homepage des ”
Art Theft Program” veröffentlicht das FBI vermisste Objekte nach Kategorien unterteilt. In der Rubrik “Special Cases” werden besonders spektakuläre Fälle, wie der Diebstahl von 20 Gemälden aus dem Anwesen einer spanischen Bauunternehmerin im August 2001, vorgestellt. Die Privatsammlung, die unter anderem einen Brueghel und mehrere Goyas umfasste, ist bislang noch nicht wieder aufgetaucht. Unter der Rubrik “Recoveries” finden sich unter anderem
exotische Fälle wie der des Kriegskopfschmucks von Apachen-Häuptling Geronimo. Einem Verkauf über das Internet kamen Undercover-Agenten des FBI zuvor.

Auf den
Fahndungsseiten des Bundeskriminalamtes sind dagegen nur die 12 meistgesuchten Kunstwerke des Jahres zu sehen. Das deutsche Pendant der US-Bundesbehörde bietet damit ein eher mageres Angebot, das kaum Vorteile gegenüber einem herkömmlichen Fahndungsplakat aufweist. Deutlich fortschrittlicher ist
Interpol. Zusätzlich zu den ins Netz gestellten Postern mit den “Most Wanted Works” gibt es eine Liste mit den aktuell gemeldeten Fällen, eine umfangreiche Zusammenstellung von sichergestellten Objekten, deren rechtmäßige Besitzer noch nicht gefunden wurden und, wie beim FBI, eine Auswahl bereits aufgeklärter Fälle. Interpol bringt außerdem alle zwei Monate eine in drei Sprachen erhältliche CD-Rom heraus, auf der weit über 10.000 vermisste Kunstwerke zusammengefasst sind.

Sowohl das Art Loss Register wie auch die staatlichen Datenbanken beschäftigen sich hauptsächlich mit aktuellen Fällen von Kunstdiebstahl. Andere Projekte konzentrieren sich auf die Suche nach Werken, die während des NS-Regimes oder infolge des Zweiten Weltkriegs verschollen sind. Neben der
Commission for Art Recovery, einer Unterorganisation des
World Jewish Congress, deren Datenbank allerdings nicht öffentlich einsehbar ist, ist dies vor allem die
Lost Art Internet Database in Deutschland.

Die Lost Art Internet Database

Seit 1994 recherchiert und dokumentiert die “Koordinierungsstelle der Länder für die Rückführung von Kulturgütern” Kunstwerke, die im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus verschollen sind. Darunter fallen die von den Sonderkommandos der Wehrmacht oder der SS für das geplante Führermuseum in Linz zusammengeraubten Objekte aber auch die sogenannte Beutekunst, die von den Alliierten während des Krieges “verbracht” wurde.

Das so entstandene interne Archiv ist seit April 2001 auch im World Wide Web verfügbar und verzeichnet beachtliche Zugriffszahlen: Durchschnittlich 150.000 Seiten werden seit dem Start jeden Monat aufgerufen. Beim Aufbau der Datenbank und der Website half die AG Datenbanken der
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. In der sachsen-anhaltinischen Landeshauptstadt sitzen auch die Mitarbeiter von Koordinierungsstelle und Lost Art-Projekt. Als einer der ersten Erfolge konnte im vergangenen Sommer ein lange vermisstes Gemälde des niederländischen Malers van de Velde an seine Eigentümer übergeben werden.

Auch mit den mehreren zehntausend bei Lost Art verzeichneten Objekten sind allerdings nicht alle vermissten Kunstwerke an einer Stelle erfasst. Zwar tauschen sich die einzelnen öffentlichen und privaten Datenbankanbieter untereinander schon lange aus, ein zentraler Zugriff auf deren Archive ist aber nicht möglich.

Das könnte sich bald ändern. Im November 2001 fand in Magdeburg eine internationale Fachkonferenz unter dem Titel “Datenbankgestützte Dokumentation von Kulturgutverlusten” statt, zu der Experten aus neun Staaten anreisten. Die Teilnehmer waren sich einig, dass die auf die einzelnen Projekte verteilten Datensammlungen mit dem Ziel einer möglichst großen Öffentlichkeit vernetzt werden müssen. Nach den Worten von Dr. Michael Franz, Projektleiter der Lost Art Internet Database, ist eine Meta-Suchmaschine geplant, mit der in allen digitalen Archiven zugleich nach vermissten Kulturgütern geforscht werden kann. Ein internationaler Standard, der als Grundlage für die vernetzte Suche dienen könnte, ist mit der “Object ID” bereits jetzt vorhanden.

Object ID

Das
Getty Information Institute entwickelte 1997 in Zusammenarbeit mit Kunstsachverständigen und Kriminologen ein
Formular zur Registrierung von Kunstobjekten jeder Art. Dabei werden exakte Angaben zum Künstler und seinem Werk – zu Technik, Material, Maße, Besonderheiten, dem Marktwert und der Herkunft aufgezeichnet. Zusammen mit Fotografien lässt sich mit Hilfe der als “Object ID” bezeichneten Checkliste jedes Kunstwerk eindeutig identifizieren.

Die
Axa Art, eine der größten Spezialversicherungen für Kunst weltweit, versichert Kunstwerke schon seit längerem nur noch, wenn sie zuvor über die Object ID registriert wurden.

Das Blättern in papiernen Akten wird zwar auch in Zukunft nicht völlig aus dem Alltag der Spurensucher verschwinden – eine vereinheitlichte, gleichzeitige Suche in allen Online-Datenbanken wird jedoch die Recherche beschleunigen und den Verkäufern geraubter Kunst das Leben schwerer machen.

Erschienen am 17.01.2002