Der Projektbereichsleiter “Online Wahlkampf“ der SPD, Sebastian Reichel, verrät, welche Strategie den Roten Wahlkampf im Netz bestimmt. Tritt der Online-Wahlkampf im Jahr 2005 endlich aus dem Schatten der Nicht-Beachtung?

politik-digital.de: Noch im letzten Wahlkampf galt das Internet lediglich als experimentelles Zusatzangebot. Welche Bedeutung misst die SPD dem Internetwahlkampf bei dieser Bundestagswahl zu?

Sebastian Reichel: Wir arbeiten mittlerweile selbstverständlich mit dem Medium, nicht mehr experimentell. Es gibt Theorien, die sagen, dass sich das Internet mittlerweile als vierte Mediensäule etabliert hat. Das Internet ist für die Parteien mittlerweile ein normales Medium geworden, die Arbeit damit selbstverständlich, nicht experimentell. Das Internet ist natürlich ein Teil, ein Ausschnitt der Gesamtkampagne. Es gibt ja eine ganze Reihe an Kampagnenwegen und -bausteinen. Neben der Offline-Kampagne gibt es eben auch die Online-Kampagne, wo all die Möglichkeiten ausgeschöpft werden, die das Medium bietet. Ich würde das jetzt nicht gegeneinander ranken wollen. Das Internet ist ein integraler Bestandteil. Und das war es aus meiner Sicht schon 2002. Ich weiß aber nicht, wo diese Internetwahlkampfdiskussion hinführt. Ob man sagen muss, der Online-Wahlkampf ist völlig eigenständig zu führen. Das fände ich ein wenig absurd, da der Online-Wahlkampf immer ein Teil der Gesamtkampagne ist.

politik-digital.de:Wie ergänzt in diesem Wahlkampf das Internet die Gesamtkampagne? Wie spielen die einzelnen Teile zusammen?

Sebastian Reichel: Im Internet hat man ja bestimmte Möglichkeiten, die man mit den klassischen Medien oder im realen Leben nicht hat. Man erreicht mehr Menschen auf direktem Weg an den Massenmedien vorbei. Dieses Potenzial ergänzt, erweitert eine Kampagne, wenn man so sagen möchte. Natürlich finden sich auch alle Bestandteile, die ich in der realen Kampagne habe in der Onlineversion wieder: Plakate und dergleichen mehr. Man hat die Möglichkeit Inhalte multimedial aufzubereiten. Somit ist das Internet auch Dienstleistungsmedium für die reale Kampagne.

politik-digital.de:Wie schlägt sich der Stellenwert des Internets nun im Gesamtbudget nieder?

Sebastian Reichel: Zum Budget haben wir eine Regel: Es gibt eine Gesamtsumme, die Sie bereits kennen und die auch im Rechenschaftsbericht der Partei aufgeschlüsselt wird. Zu den Einzelbudgets machen wir keine Angaben.

politik-digital.de:Franz Müntefering hat für dieses Jahr einen Wahlkampf mit viel Inhalt und dafür weniger Design angekündigt. Wie schlägt sich diese Ankündigung im Online-Auftritt der SPD nieder?

Sebastian Reichel: Das können sie ja sehen an den Seiten, die wir bereits gestartet haben. Sie sind inhaltlich sehr ausführlich. Design spielt selbstverständlich bei der Darstellung der Inhalte eine wichtige Rolle.

Alle Seiten sind sehr funktional aufgebaut. Wir versuchen uns zu konzentrieren, einen konzentrierten Wahlkampf auf www.spd.de als Dachmarke zu führen und dabei die Inhalte entsprechend den Möglichkeiten des Netzes anzupassen.

politik-digital.de:Der Wunsch des Bundeskanzlers nach vorgezogenen Bundestagswahlen kam doch überraschend. Es ist auch noch möglich, dass der Wahltermin vom Bundesverfassungsgericht gekippt wird. Wie wirken sich diese Gegebenheiten auf Ihre Wahlkampfführung aus? Gibt es Konsequenzen für das Konzept?

Sebastian Reichel: Parteien beschäftigen sich ja schon lange bevor überhaupt Wahlen beginnen mit ihren Wahlkampfkonzepten und dementsprechend haben wir auch schon frühzeitig angefangen, Konzepte für eine Onlinekampagne 2006 zu entwickeln. Die lagen alle bereits in der Schublade und konnten dann zur Ankündigung der Neuwahlen durch den Bundespräsidenten umgesetzt werden. Das ganze natürlich mit hoher Schlagzahl: Das heißt, ein Programm, das man sich für ein Jahr vorgenommen hatte, wird nun in drei Monaten absolviert. Man muss selbstverständlich etwas modifizieren. Viele Sachen, die vorstellbar waren, können nicht mehr umgesetzt werden, weil der zeitliche Rahmen zu eng ist.

Da wir allerdings kontinuierlich mit dem Internet arbeiten, verfügen wir über etablierte Strukturen: Wir haben ein großes Netzwerk von ehrenamtlichen Helfern im Internet und gute technische Voraussetzungen. Das erleichtert natürlich die Arbeit zu einer Kampagne. Wir haben bis hier viel Engagement und Arbeitskraft in den Internetwahlkampf gesteckt, um das in einem kürzeren Zeitrahmen aus dem Boden stampfen zu können.

politik-digital.de:Was sind die Trends, die die SPD in ihrem Online-Wahlkampf 2005 verfolgt? Gibt es neue Elemente in der Kampagne?

Sebastian Reichel: Nahezu jeder, den sie fragen, wo er Informationen zur SPD sucht, wird ihnen www.spd.de antworten: Das ist quasi die Dachmarke und darauf vernetzen wir alle unsere Aktivitäten. Diese „Dachmarkenstrategie“ haben wir gegenüber 2002 verstärkt.

Wir versuchen in diesem Wahlkampf auch verstärkt im und mit dem Internet zu mobilisieren. Dafür ist die Rote Wahlmannschaft gedacht. Und wir arbeiten auch mit Webblogs. Dort geht es nicht darum, dass wir sagen, wir müssen so viele Spitzenpolitiker wie irgend möglich in Blogs bekommen und das Ganze groß inszenieren. Es geht uns eher darum, ein großes Blognetzwerk von Leuten zu schaffen, die die SPD im Wahlkampf unterstützen wollen. Das findet sich jetzt abgebildet auf www.roteblogs.de.

Es gibt eine Seite, auf der wir uns mit den politischen Konkurrenten auseinander setzen. Das gab es zwar auch 2002, aber wenn sie die Seite von damals www.nicht-regierungsfaehig.de und www.die-falsche-wahl.de zur jetztigen Wahl nebeneinander legen, wird da relativ schnell ein Unterschied klar. Natürlich gibt es auch wieder www.gerhardschroeder.de. Die Seite haben wir Anfang August gestartet.

politik-digital.de: In der letzten Zeit haben Blogs auch für Parteien stark an Bedeutung gewonnen. Welche Vor- und Nachteile sehen Sie in diesem Medium?

Sebastian Reichel: Wenn sie so wollen, hatten sie lange Zeit ein oligopoles Internet mit wenigen Informationsknoten. Wenn man das auf Deutschland bezieht, hatte man www.google.de als zentrale Suchmaschine, außerdem www.spiegel.de, www.bild.de und die anderen großen Plattformen, die eigentlich das deutsche Internet dominierten. Ein Blog ist – dadurch dass die Technik an sich einfach ist – eine Möglichkeit für die Nutzer, das Internet wieder ein Stück weit zurückzuerobern. Und das in dezentraler Form.

Internetforen haben den Nachteil, dass man sich schnell hinter Anonymität verstecken kann und die Diskussionskultur nicht immer konstruktiv verläuft. Ein Weblog hingegen ist etwas sehr Persönliches, bei dem man ein Stück weit die eigene Identität preisgeben muss. Das heißt, die Diskussionskultur in Weblogs folgt anderen Regeln als bisher und schafft so ganz andere Möglichkeiten der Teilhabe. Darüber hinaus erreicht man über Weblogs eine Vernetzung sehr viel schneller als über herkömmliche Seiten. Daher ist es für uns schon ein wichtiges Instrument.

politik-digital.de: Nach wie vor gilt der durchschnittliche online erreichbare Wähler als männlich, jung und überdurchschnittlich gebildet. Spricht die SPD auf ihren Seiten speziell diese Zielgruppe an oder sollen auch andere Gruppen erreicht werden?

Sebastian Reichel: Also, wenn man von der Nutzergruppe Internet spricht, dann spricht man ja von 50 oder 60 Prozent der Haushalte, die über einen Internetanschluss verfügen.

Die Erfahrungen, die wir gemacht haben, sind andere – zumindest bei den Leuten, die für uns sichtbar sind, nämlich bei unseren Ehrenamtlichen, die mit dem Internet arbeiten, die wir mit dem Medium erreichen und die wir mit dem Medium in die Kampagne einbeziehen wollen und können. Da habe ich nicht das Gefühl, dass sie überdurchschnittlich jung, überdurchschnittlich männlich, überdurchschnittlich gebildet sind. Das meine ich natürlich im positiven Sinne, denn überdurchschnittlich gebildet sind sie alle! Da sind viele Frauen und gerade auch viele Ältere dabei. Es wird der Querschnitt der Partei abgebildet.

Natürlich bietet es sich an, im Internet bestimmte Zielgruppen herauszusuchen und diese dann auch gezielt zu bedienen. Da es aber in der Kampagne generell um Stimmenmaximierung geht, um alle Wählerstimmen und alle Gruppen, die man erreichen kann, muss man diverse Strategien erarbeiten und genaue Ziel setzen. Man kann versuchen, Zielgruppen im Internet ausfindig zu machen und diese mit bestimmten Themen zu versorgen und über bestimmte Themenschienen zu informieren. Das passiert auch zum Teil, aber ich würde die Arbeit im Internet nicht darauf beschränken. Das Internet ist für uns mehr als das, was die Demographen erheben.

politik-digital.de: Über Weblogs hinaus: Welche Möglichkeiten zur Partizipation bietet die SPD in ihrem Online-Wahlkampf?

Sebastian Reichel: Die rote Wahlmannschaft (www.rote-wahlmannschaft.de) ist ja das zentrale Partizipationsangebot. Man kann sich registrieren lassen. Wir versuchen, diese Leute direkt in den Wahlkampf mit einzubeziehen, indem wir zum Beispiel über ihre Aktivitäten berichten. Wir bekommen auch viele E-Mails – das wäre jetzt das, was man direkt unter Kommunikation versteht – und greifen viel aus der Roten Wahlmannschaft auf. Wir versuchen, die Mitglieder direkt am Infostand vor Ort zu mobilisieren, die Leute zu involvieren und einzubeziehen. Das ist das zentrale Partizipationsangebot im Wahlkampf.

Wenn man von Partizipation spricht, meint man zumeist die mittlerweile fast schon klassischen Instrumente: Chats und Foren. Wir haben das im Blick, wir schauen, ob wir Chats anbieten und in welcher Form. Aber da würde ich mich jetzt noch nicht festlegen wollen. Wenn allerdings Anfragen kommen, z.B. von www.politik-digital.de, dann entsprechen wir diesem zumeist. Viele unserer Spitzen machen das gerne. Franz Müntefering, zum Beispiel, ist ein begeisterter Chatter (http://www.politik-digital.de/salon/transcripte/fm%FCntefering05.shtml). Ob wir selbst Chats anbieten, ist für uns allerdings noch offen.

Die zweite klassische Möglichkeit der Partizipation im Internet sind Internetforen. Das wird bei uns leider zur Zeit technisch überarbeitet. Deshalb wird es wohl in den nächsten Wochen nicht erreichbar sein. Wir bemühen uns aber die technischen Mängel, die vorhanden waren – die Software muss einfach mal überholt werden – abzustellen und die Foren wieder anzubieten. Aber ich denke, dass wir gerade durch die Blogs eine andere Form der Partizipation gefunden haben. Man könnte sich sogar überlegen, ob so eine Blogosphäre ein Forum nicht irgendwann ablösen könnte. Aber auch das würde ich offen lassen und noch keine abschließende Bewertung geben.

politik-digital.de: Das Internet bietet verschiedene Möglichkeiten zur direkten Unterstützung. Eine davon ist die Möglichkeit von Online-Spenden. Auch die SPD hat dieses Angebot auf ihren Seiten. Versprechen Sie sich hiervon einen großen Erfolg?

Sebastian Reichel: Die Verlinkung zu Online-Spenden haben wir seit längerer Zeit. Ich kann dazu eigentlich gar nicht so viel sagen, weil ich nicht in der Schatzmeisterei sitze. Natürlich ist es das Ziel, Spenden einzuwerben.

politik-digital.de: Von wem lassen Sie sich beraten, was den Online-Wahlkampf angeht? Können Sie dazu Angaben machen?

Sebastian Reichel: Wir arbeiten schon seit mehreren Jahren mit der Internetagentur A&B Face2Net zusammen, die uns zu aller Zufriedenheit berät. Face2Net arbeitet viel an den Konzeptionen mit, erstellt selber Konzepte und setzt diese auch technisch um. Die Ergebnisse können sich sehen lassen. Wir haben 2002 einen sehr erfolgreichen Online-Wahlkampf geführt und sind auch diesmal einige Schritte voraus.

politik-digital.de: Somit kann man für den Wahlkampf eine Entwicklung entlang eines „roten Fadens“ ausmachen.

Sebastian Reichel: Ich glaube es ist auch von Vorteil in einem so kurzen Wahlkampf bestehende Strukturen wieder einzusetzen. Wir haben schon den Wahlkampf 2002 zusammen mit Face2Net bestritten. Das heißt nicht, dass wir das gleiche wiederholen. Auf das, was wir 2002 gemacht haben, kann man jetzt aufbauen, es weiterentwickeln und neue Sachen hinzufügen.

politik-digital.de: Zum Abschluss eine Frage zu den kommenden Projekten. Was können wir als nächstes von der SPD im Internetwahlkampf erwarten?

Sebastian Reichel: Wir sind da noch ein wenig am hin und her testen. Wir versuchen jetzt natürlich, die Roten Blogs weiterzutreiben und aus dem Instrument Blogs noch einiges mehr herauszuholen. Aber ich möchte vielleicht noch gar nicht so viel verraten.

politik-digital.de: Vielen Dank für dieses Gespräch.

Das Gespräch führte Michaela Frost für politik-digital.de.