2012 war ein gutes netzpolitisches Jahr, weil sich mit Blick auf die Internet-Awareness der politischen Parteien in Deutschland außerordentlich viel getan hat. Damit meine ich nicht allein die Piraten, die hier allerdings sehr wohl als ein Dreh- und Angelpunkt gewirkt haben.

Schließlich kommt es ja nicht allzuoft vor, dass sich das politische System an dieser zentralen Stelle verändert und erweitert. Als Reaktion auf die Piraten-Erfolge in diesem Jahr sind auch die etablierten Parteiakteure Schritte in Richtung einer digitalen Modernisierung gegangen: die SPD hat mit Adhocracy experimentiert (okay, das war schon in 2011, aber die Zeitgeschichtsschreibung orientiert sich auch nicht immer an Kalenderjahren), die FDP hat gleich ein ganze Beteiligungsplattform nach dem Muster von Liquid Feedback nachbauen wollen (allerdings hört man von „New Democracy“ nicht mehr viel).

Immer wieder einmal mischen sich auch „Netzvereine“ wie D64 oder C-Netz in innerparteiliche Diskussionen ein und kommen den Partei-Granden in die Quere. Nach der Wahlniederlage im Mai war in der NRW-CDU die Rede davon, eben diese Entscheidungsplattform auf Landesebene einzuführen. (Dieses Wagnis bereits eingegangen ist dagegen der Landkreis Friesland mit „Liquid Friesland“ – seit November können sich die Einwohner dort für die Plattform registrieren lassen.) Horst Seehofer hat zu einer Facebook-Party eingeladen, Peter Altmaier sich ein Ministerium ertwittert. Peer Steinbrück ist nun auch mit von der 140-Zeichen-Party, ebenso die ur-gewählte Katrin Göring-Eckardt, sicherheitshalber sogar mit Helm. Zuletzt sorgten die Bundesparteitage von SPD und CDU mit ihren Twitter-Kooperationen sogar für Aufregung im digitalen Blätterwald.

Das alles ist ein ziemliches Sammelsurium, lässt sich aber durchaus auch miteinander verbinden: all diesen Aktivitäten gemein ist die Orientierung hin zur Basis. Natürlich haben die Parteieliten auch weiterhin die Entscheidungshoheit, doch immer häufiger sehen sie sich aktiven Mitgliedern gegenüber, die verstärkt auf digitale Medien setzen, um sich organisationsintern Gehör zu verschaffen. Einzig bei den Piraten ist dies anders: hier diktiert die Basis das Geschehen, und dies häufig auf Kosten der wenigen Köpfe, die sich noch in die erste Reihe trauen. Das Umfragetief der Piraten deutet darauf hin, dass diese radikale Strategie des Andersseins mindestens im Sonntagsfragenzirkus nicht gut ankommt. Der digitale Trend zur Basisorientierung der Parteien wird dadurch aber eher noch gestärkt.

Prof. Dr. Christoph Bieber ist Politikwissenschaftler am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen. Seit Mai 2011 hat er dort die Welker-Stiftungsprofessur für Ethik in Politikmanagement und Gesellschaft an der NRW School of Governance übernommen. Er ist seit der Gründung Mitglied im Vorstand von pol-di.net e.V.

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