Interview mit Wolf-Michael Catenhusen, Parlamentarischer Staatssekretär des BMBF

Der Deutsche Bundestag hat im Sommer 2001 das Projekt “Nachhaltigkeit in der Informations- und Kommunikationstechnik” (NIK) gestartet. Unternehmen, Wissenschaft und Verbraucher sollen gemeinsam Nachhaltigkeitsstrategien entwickeln. Ziel ist es, eine “Roadmap” zur Nachhaltigkeit für den IKT Bereich zu entwickeln.


politik digital:
Was verbirgt sich hinter den Begriffen Nachhaltigkeit und Roadmapping?


Catenhusen:
Mit dem Begriff Nachhaltigkeit ist eine sich selbst tragende, dauerhafte gesellschaftliche und soziale Entwicklung in der Gesellschaft gemeint, die Lebensqualität sichert, die Ressourcen schont und den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft sichert. Das ist natürlich ein sehr ambitioniertes und ehrgeiziges Ziel, das in diesem Zusammenhang auch die Entwicklung von Industriebranchen betrifft. Das Prinzip Roadmapping ist eine Technik der Entscheidungsfindung. In diesem Kontext sollen in einem ständigen Prozess Produktionsverfahren und die Produkte der IKT stärker an den Zielen der Nachhaltigkeit orientiert werden.

politik digital: Welche Aspekte der Nachhaltigkeit spielen in der IKT eine Rolle?

Catenhusen: Betrachtet werden soll der gesamte Lebenszyklus von Produkten, etwa Produktion, Gebrauch und auch Recycling. Es geht um ein komplexes Set von Zielen, von der Einsparung von Ressourcen bis zu einer besonderen Benutzerfreundlichkeit. Das Entscheidende an diesem Prozess ist, dass die Akteure, also die Unternehmer selbst, aber auch Vertreter aus dem Umwelt- und Verbraucherbereich diese Ziele gemeinsam erarbeiten sollen. Wir, das Bundesministerium für Bildung und Forschung, geben nur eine Struktur vor. Wir finanzieren einen Dialogprozess zur Erarbeitung dieser Roadmaps. Es ist also ein dezentraler, von unten organisierter Prozess – und deshalb mit großen Chancen verbunden.

politik digital: Warum wurden keine leichter verständlichen Begriffe gewählt, insbesondere vor dem Hintergrund der Bedeutung der Einbindung der Bevölkerung?

Catenhusen: Wenn man sich damit aufhielte, würde man die Zeit zur Konkretisierung verlieren. Ich denke, der Begriff Nachhaltigkeit wird in diesem Projekt durch die Ergebnisse sehr viel konkreter fassbar. Das Problem ist, dass den Begriff Nachhaltigkeit alle Politikfelder belegen und er damit einen hohen Abstraktionsgrad hat. Ich glaube, dass es gerade in diesem Projekt gelingen könnte, ihn sehr viel anschaulicher und transparenter zu machen. Wenn man über Nachhaltigkeit konkret in bestimmten Handlungsfeldern der Gesellschaft diskutiert, wird der Begriff auch fassbar und pragmatisch. Das Roadmapping ist ein in Unternehmen, vor allem im angelsächsischem Bereich, praktizierter Prozess der Strategiefindung und der Verständigung von Entscheidungsträgern. Wir wollten diese Technik in der Praxis erproben und sind als Ministerium selbst sehr neugierig auf die Ergebnisse. Insbesondere im Bereich der IKT liegen nach zahlreichen Studien noch hohe Potenziale in einer umweltfreundlichen Nutzung. Die Erwartungen sind sehr abstakt. Wir haben deshalb auch keine politischen Vorgaben gegeben und glauben, dass vielmehr diese Technik der Verständigung spannend ist. Die Industrie hat schon längst solche Prozesse der Entscheidungsfindung etabliert. Wir versuchen nun, diese Entscheidungstechniken auch für Verständigungsprozesse zwischen Politik, Wissenschaft und Wirtschaft zu öffnen.

politik digital: Inwiefern ist eine Steuerung von wirtschaftlicher Entwicklung mit dem Ziel von Nachhaltigkeit überhaupt möglich?

Catenhusen: Man muss unterschiedliche Ebenen sehen. Die Politik kann Vorgaben geben, etwa durch gesetzliche Rahmenbedingungen. Das tut sie auch. Hier kommt es eher darauf an, perspektivisch nach vorn zu blicken. Die Frage ist: Wie können unternehmensinterne Nachhaltigkeitsstrategien einzelner Unternehmen für Branchenlösungen geöffnet werden und wie kann der Prozess beeinflussbar sein für Ziele im Sinne der Umwelt- und Verbraucherinteressen.

politik digital: Eine Haupteigenschaft der IKT Branche ist ihre Schnelllebigkeit. Wie wird im NIK Projekt eine flexible Reaktion auf neue Entwicklungen in der IKT berücksichtigt?

Catenhusen: Die Schnelllebigkeit birgt große Chancen, weil es dadurch kaum Strukturverfestigungen gibt. Man kann natürlich nur für einen Zeitraum von maximal 3-5 Jahren tiefergehende Produktziele formulieren. Man muss nicht unbedingt über jede modische Erneuerung alle halbe Jahre reden. Innerhalb dieser 3-5 Jahre passiert so viel an neuer Technologie und Rationalisierungsgewinn, man ist immer im Wettlauf mit der Zeit. Es wird sich zeigen, wie das funktioniert. Wenn dieser Roadmapping-Prozess in der IuK-Industrie als gesellschaftlicher Diskurs organisiert ist, schreit er natürlich nach Bestätigung. Dieser Prozess in dieser Form ist noch einmalig in Deutschland.

politik digital: Momentan befindet sich das Projekt noch auf einer sehr abstrakten Ebene. Wie sieht der Zeithorizont aus, wann werden Konzepte konkreter?

Catenhusen: Wir machen hier etwas ohne Vorbild. Es ist auch gut, dass Politik den Mut hat, nicht nur Etabliertes zu wiederholen, sondern wirklich Innovatives erproben zu lassen. Wir glauben natürlich, dass konkrete Ergebnisse in einem überschaubaren Zeitraum anwendbar werden. Ich denke, dass für Segmente der IuK- Industrie Roadmaps bis Anfang nächsten Jahres vorliegen sollten und erprobt werden, in dem sie von Akteuren in ihre Unternehmensplanungen einbezogen werden. Dann soll ein Rückkopplungsprozess organisiert werden, wie weit sich das bewährt und eine Optimierung erfolgt.

politik digital: Was kostet Nachhaltigkeit? Welche Mehr-Kosten entstehen? Welche Kosten werden eingespart?

Catenhusen: Das BMBF kann erst einmal nur die Infrastruktur zur Verfügung stellen und politisch helfen, die Offenheit und das Engagement der Wirtschaft herzustellen. Das Erstaunliche und Positive, was man heute schon sagen muss, ist, dass eine Reihe von Unternehmen der IuK-Industrie wirklich interessiert sind, sie nehmen den Prozess selbst in die Hand. Der Prozess ist durchaus auch Wunsch der Industrie. Nachhaltigkeitsziele können die wirtschaftliche Situation von Unternehmen natürlich auch verbessern. Ressourcenschonung ist heute angesichts der hohen Kosten von Ressourcen unternehmerisches Eigeninteresse.