Aus- und Weiterbildung im Netz, Lernen in virtuellen Gemeinschaften; Teleteaching und e-Learning in virtuellen Klassenräumen: Das neue Lernen ist schnell, günstig und problemorientiert. Kurzfristiges, problemnahes Lernen wird von den Kunden in der Wirtschaft gewünscht. Stichwort “learning-on-demand”: Gelernt wird nur das, was das Unternehmen und seine Angestellten gerade brauchen. Lernen ohne Nebenwirkungen?

Nachdem e-Learning als die bedeutende Entwicklungsstufe im e-Business angekündigt wurde (“Edu-Commerce”), bleibt zu fragen, was nach der allgemeinen Ernüchterung um die New Economy davon übrig geblieben ist und wohin die Reise im Bildungsmarkt geht. Als einen Ort für Antworten bietet sich die siebte “Online Educa” in Berlin an (28.-30. November). Die von der Europäischen Kommission unterstützte Konferenz erwartet 1200 Fachleute aus Wirtschaft, Industrie und Politik, die in zahlreichen Workshops, Diskussionsforen und Vorträgen über den neusten Stand des technisch gestützten Lernens diskutieren werden. Die internationale Konferenz wird zudem von einer Fachmesse begleitet, auf der Fachanbieter ihre neusten Produkte präsentieren.

In den letzten Jahren bestimmten Themen wie die Entstehung eines globalen Bildungsmarktes, Virtualisierung von Bildung via Internet, Konzentrationsprozesse und strategische Partnerschaften der Bildungsanbieter die Diskussionen der Veranstaltungsteilnehmer. Es bleibt die Frage, was von den optimistischen Marktprognosen für e-Learning übrig geblieben ist. Denn Pleiten von Bildungsanbietern haben die e-Learning-Gemeinde gehörig aufhorchen lassen. Welche technischen Standards werden sich durchsetzen, welche Geschäftsmodelle sind rentabel und wer wird im Rennen um die Kunden der Zukunft vorne dabei sein – all das wird auf dem Branchentreffen die Gemüter erhitzen.

Das bisher gültige Postulat vom “Lernen auf Vorrat” wird durch das neue Postulat vom “lebenslangen Lernen” abgelöst. Durch Stichworte wie “Globalisierung”, “Internetrevolution”, und “New Economy” ausgelöst, stehen wir am Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, die auch als Wissens- bzw. Informationsgesellschaft bezeichnet wird. Wissen wird zum wichtigsten Rohstoff und zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor.

Mit diesen Schlagwörtern soll der rasante Wandel gesellschaftlicher Rahmenbedingungen und die rasche Entwicklung von Kommunikationstechnologien und Medien begrifflich gefasst werden. Bildungsexperten haben festgestellt, dass in den letzten dreißig Jahren mehr Informationen entstanden sind als in den letzten fünftausend Jahren zusammen. Sie schätzen, dass sich die Wissensbestände alle fünf Jahre verdoppeln werden. Hinzu kommt die wesentlich geringere Haltbarkeit von Wissen, die durch den Einzug der Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK) in Beruf und Alltag immer mehr Menschen weltweit betrifft. Die Verkürzung von Produkt- und Produktionszyklen kennt jeder, der sich vor vier Jahren etwa einen PC oder ein Mobiltelefon gekauft hat: Die Geräte sind langsam, groß und inkompatibel – halt schrecklich veraltet. Und wer arbeitet noch mit Floppy-Disks ?

Bezogen auf die Wirtschaft bewirkt das einen hohen Anpassungsdruck an neue Geschäftsabläufe, der sie zwingt, sich zu verändern und neue Geschäftsideen zu entwickeln. Wollen Unternehmen im internationalen Vergleich nicht Marktanteile verlieren, müssen sie sich den neuen Bedingungen anpassen. Ein anderer entscheidender Faktor ist die Internationalisierung der Geschäftsprozesse und die Weiterentwicklungen der Unternehmenskultur. Es entstehen vielfältige, neue Anforderungen an Unternehmen und Mitarbeiter und deren Wissensverarbeitung.

Wie schult man beispielsweise 90.000 Mitarbeiter, die sich weltweit auf verschiedene Standorte verteilen? Da wundert es nicht, dass e-Learning als das Allheilmittel Linderung schaffen soll. So schätzte beispielsweise Dr. Joachim Schaper, SAP AG, in seiner Keynote auf dem Kongress “Innovations for an e-Society. Challenges for Technology Assessment” in Berlin, 17. – 19. Oktober 2001, dass 80 Prozent aller Angestellten in den nächsten zehn Jahren eine Weiterbildung benötigen.

Betriebliche Weiterbildung ist daher eine der wichtigsten Aktivitäten im Rahmen der Umsetzung von “lebenslangem Lernen” – und für viele Erwachsene oft die einzige Gelegenheit, die eigene Qualifikation aufzufrischen. Dieser Ansicht ist auch die überwiegende Mehrheit der Unternehmen in Deutschland: 85 Prozent sind sich der Bedeutung betrieblicher Weiterbildung als Beitrag zum lebenslangen Lernen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bewusst. Gleichzeitig erkennen die in den Unternehmen für die Weiterbildung Verantwortlichen jedoch auch die Belastungen, die sich aus dem Konzept des “lebenslangen Lernens” für ihre Mitarbeiter/innen ergeben:

85 Prozent betonen die immer häufigere Mehrfachbelastung durch Arbeit, Familie und Lernen, 81 Prozent sehen den ständigen Druck auf die Belegschaft, Neues zu lernen, 56 Prozent stellen eine zunehmende Unsicherheit des Einzelnen im Hinblick auf die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten fest und 54 Prozent gehen von wachsenden privaten und finanziellen Belastungen aus, wenn das “lebenslange Lernen” aktiv betrieben wird. Dies sind Ergebnisse einer Untersuchung, die das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Zusammenhang mit der zweiten europaweiten Betriebsbefragung zur Weiterbildung (CVTS-II) durchgeführt hat. Im Rahmen der von der Europäischen Kommission finanzierten CVTS-II-Befragung wurden 10.000 Unternehmen in Deutschland (europaweit etwa 90.000 in 25 Ländern) zu ihren Weiterbildungsaktivitäten befragt.

Die Debatten über die Zukunft des Lernens müssen sich mit der Problematik eines weiterhin bestehenden Fachkräftemangels in Deutschland auseinandersetzen, der die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen behindert. Andererseits alarmieren Arbeitslosigkeit und neue Pleiterekorde die Öffentlichkeit, und machen eindrücklich den Handlungsbedarf von Politik, Verwaltung und Wirtschaft klar.

Die “Chancen neuer Bildungsstrategien für das Beschäftigungspotential in Deutschland” untersuchte jüngst das gleichnamige Hintergrundpapier von politik-digital, dass im Auftrag der Initiative D21 erstellt wurde. Durch e-Learning könnte lebenslanges Lernen finanziert und die Voraussetzungen für mehr Beschäftigung geschaffen werden. Mehr Beschäftigung sei langfristig nur zu erreichen, wenn die Leistungsfähigkeit der Bildungsinstitutionen verbessert und e-Learning konsequent in allen Bildungsbereichen eingesetzt würde. Eine Strategie besteht in einer verstärkten Vernetzung und Nutzung von Synergien. Denn die Versuche, die Anforderungen der neuen Wissensgesellschaft zu erfüllen, verlaufen innerhalb und zwischen staatlichen Bildungsträgern, Wirtschaft und Politik noch weitgehend unkoordiniert.

Mit e-Learning “kann eine Effizienzrevolution in der Qualifizierung erreicht werden”. Durch e-Learning könnten z. B. die öffentlichen Ausgaben für Weiterbildung von derzeit 17 Milliarden Mark um bis zu 5 Milliarden Mark gesenkt werden, so Erwin Staudt von IBM Deutschland auf der D21 Pressekonferenz am 08.10.2001 in Nürnberg.

Ferner können mit Hilfe von e-Learning im Bereich der Aus- und Weiterbildung in Unternehmen enorme Einsparungen erzielt werden. Bei einer Fortbildung können Firmen nach Einschätzung der Unternehmensberatung Mummert + Partner bis zu 30 Prozent ihrer Kosten einsparen. Bei jährlich geschätzten Ausgaben der Wirtschaft von 60 Millionen Mark für Aus- und Weiterbildung wären das etwa 18 Milliarden Mark allein in Deutschland. Die Schulungs- und Logistikkosten sind dabei niedriger als beim Lernen im Klassenzimmer. Fehlende Reisezeiten und weniger Fehlstunden am Arbeitsplatz machen selbstgesteuertes Lernen zur Aus- und Weiterbildung mittels Internet/Intranet attraktiv. Aber die Firmen zögern noch: Der Markt für virtuelle Lernangebote und Lernportale wird der Studie zufolge erst ab 2004 boomen.

Bildung wird als Markt der Zukunft mit globaler Reichweite gesehen.

Der deutsche e-Learning Markt wird nach einer Prognose der International Data Corporation (IDC) ein rasantes Wachstum erleben. Laut IDC wird der deutsche e-Learning Markt von 20 Millionen US-Dollar im Jahr 1999 auf 575 Millionen US-Dollar in 2004 anwachsen. Für ganz Europa wird das Marktvolumen auf 3,9 Milliarden US-Dollar im Jahr 2004 beziffert. Im gleichen Jahr soll der weltweite e-Learning Markt gar auf 23 Milliarden US-Dollar angewachsen sein. Dominiert wird der Markt auch weiterhin von nordamerikanischen Firmen, die nach Aussagen von IDC zweidrittel des weltweiten Marktes bestimmen werden. In Europa dominieren skandinavische und britische Anbieter. Voraussetzung für das Eintreffen der Prognosen sei eine weiter stark wachsende Zahl von Internetnutzern, schnellere und billigere Internetverbindungen und die Verbesserung der angebotenen e-Learning Produkte.

Entgegen den optimistischen Prognosen zahlreicher Marktaguren sieht die Realität anders aus. Das ist sicherlich nicht e-Learning spezifisch, sondern eher typisch für den Hype um alle e-Anything bzw. e-Was-auch-immer-Entwicklungen wie e-Business, e-Government oder e-Society. e-Learning deckt auch heute nur einen Randbereich der Qualifizierungsmaßnahmen in deutschen Großunternehmen ab. Denn nur wenige Unternehmen verfügen bereits heute über eine Lernkultur oder wenden Erkenntnisse des Wissensmangements systematisch an, in der digitale Bildungs- und Wissensaktivitäten eine zentrale Rolle spielen.

Zu diesem Ergebnis kommt die am gestrigen Mittwoch, den 28. November 2001 vorgestellte Studie “e-Learning zwischen Euphorie und Ernüchterung” der Unternehmensberatung KPMG. Erst wenige Beschäftigte deutscher Großunternehmen nutzen die Möglichkeiten des computergestützten Lernens am Arbeitsplatz, um sich weiterzubilden. Außerdem werden e-Learning-Projekte vergleichsweise selten effizient in die konventionelle Bildungsarbeit eingebunden. Das sind die Ergebnisse der aktuellen Studie im Auftrag von KPMG Consulting, bei der bundesweit 604 Personalverantwortliche in Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten befragt wurden. Lediglich knapp jedes zweite der befragten Großunternehmen (46 Prozent) bietet durch e-Learning gestützte Bildungsmaßnahmen an. Erreicht werden damit nur 18,4 Prozent aller Mitarbeiter, von denen wiederum weniger als die Hälfte (46,5 Prozent) schließlich Gebrauch von diesen Angeboten macht.

Die gesamte Qualifizierung der Mitarbeiter ist also weiterhin konventionell geprägt: Seminarangebote im Klassenzimmer, Informationsveranstaltungen und Handbücher/Dokumentationen dominieren, neben der individuellen Weiterbildung, die Bildungsarbeit. Nach den vorliegenden Zahlen der KPMG-Studie investieren die Unternehmen 1.500 bis 3.000 DM pro Jahr je Mitarbeiter in die berufliche Weiterbildung. Diese besuchen im Durchschnitt alle zwei Jahre eine vier- bis fünftägige Fortbildungsveranstaltung. Die Inhalte liegen überwiegend in der IT-Qualifizierung, gefolgt von Fremdsprachen, kaufmännischen Fachthemen und Produktschulungen.

Die Kosten für e-Learning-Projekte umfassen derzeit 10 bis 12,5 Prozent des gesamten Bildungsbudgets. Die Personalverantwortlichen erwarten in den kommenden drei Jahren lediglich eine Steigerung auf maximal 25 Prozent, wobei noch offen ist, wie sich die angespannte wirtschaftliche Lage auf die Größe des gesamten Bildungsetats auswirkt. Ob diese Investitionen ausreichen, um die optimistischen Prognosen des rasanten Wachstums des e-Learning Marktes zu erfüllen, muss stark bezweifelt werden.

Den größten Anteil an e-Learning-Unternehmen weist der Dienstleistungsbereich auf. Spitzenreiter ist hier das Kredit- und Versicherungsgewerbe, bei dem bereits mehr als zwei Drittel der Großunternehmen (68 Prozent) zu den Anwendern zählen. In der Branchengruppe “Handel, Verkehr, Nachrichtenübermittlung” liegt der Anteil deutlich darunter (38 Prozent).

Wird in naher Zukunft der Computer das Klassenzimmer ersetzen und der Lernende allein auf dem Datenhighway zurückgelassen? Mit Sicherheit nicht. Experten sind sich einig, dass durch die Kombination von Präsenz- und virtuellen Lernphasen die Qualität ebenso wie die Effizienz einer Aus- und Weiterbildungsmaßnahme erheblich gesteigert wird. Der Fachbegriff dafür lautet “blended learning” oder “hybrid learning”. Der Bedarf an Bildung ist groß, die Rahmenbedingungen, sowie die Veränderung der Lernkultur stecken aber noch in den Kinderschuhen.

Auffällig ist die geringe Bedeutung politischer Fragen im Bereich e-Learning. Dabei geht es um nichts geringeres als die Zukunft des Wirtschaftstandortes Deutschland und die Modernisierung des Bildungswesen und seiner Institutionen. Dass der Zugang zu Wissen von entscheidender Bedeutung ist, steht beim Wandel der Gesellschaft von der Industrie zur Wissensgesellschaft außer Zweifel. Aber die entscheidende Frage dreht sich auch hier um die Machtbeziehungen: Wer entscheidet über Art und Weise des Zuganges zu Wissen, die Eigentumsrechte an Wissen, die Verteilung der zentralen Ressource für Wohlstand? Stichwort digitale Spaltung, sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene. Eben eine politische Frage!