Zur Eröffnung von

WAHLTHEMEN.DE:

Ein Einschnitt im deutschen Online-Wahlkampf als Testfall für die Vision einer “Regierung durch Diskussion”.

Der Start von WAHLTHEMEN.DE wird einen Einschnitt im deutschen Online-Wahlkampf markieren – bislang war die digitale Wahlkampfarena wesentlich geprägt von zwei Akteursgruppen: auf der einen Seite stehen die Werbebemühungen der Parteien, auf der anderen die Wahlkampfberichterstattung der etablierten Medienanbieter. Sicher hat das Internet auch einige neuartige Darstellungs- und Diskussionsformate für politische Kommunikation hervor gebracht, doch eine gezielte Ausnutzung der viel beschworenen interaktiven Potenziale fand noch kaum statt.



Bürgerorientiertes Wahlkampfangebot

Mit der Eröffnung dieser neuen Diskussionsplattform soll für die große Zahl der interessierten Onliner – laut
“(N)onliner-Atlas 2002” sind 26,7 Millionen Menschen bereits regelmäßig online, weitere gut 2 Millionen planen den baldigen Anschluss – ein Angebot geschaffen werden, dass sich zwischen Politik, Sach- und Fachverstand und der kommunikationsbereiten Bürgerschaft platziert. Es soll nicht zur Domäne der “üblichen Verdächtigen” werden, die sich als allzeit redebereite Öffentlichkeitsarbeiter nur zu gerne einem breiten Publikum präsentieren. Gewiss fungiert das Redaktionsteam als “Gatekeeper”, der einen moderierenden Einfluss auf Struktur und Inhalte der Diskussionen ausüben wird. Dennoch soll der Unterschied zu den klassischen Medienangeboten stets deutlich sichtbar sein: WAHLTHEMEN.DE ist ein bürgerorientiertes Wahlkampfangebot, das immer einen kommunikativen Zugang zu den wichtigen Themen der öffentlichen Debatte bis zum 22. September bietet.

Mit diesem Projekt soll auch die sich längst abzeichnende “Medienlastigkeit” des Bundestagswahlkampfs konterkariert werden – auch wenn es vielleicht etwas paradox anmuten mag, dass hier ein (neues) Medium gegen ein (altes) Medium in Stellung gebracht werden soll. Die in einem emphatischen Sinne “politische” Notwendigkeit des Projekts wird vielleicht am deutlichsten sichtbar mit Blick auf die aktuellen Vorbereitungen der TV-Duelle zwischen dem Kanzler und solchen, die es noch werden wollen. Ein eng verflochtenes Konglomerat aus Medien und Politik hat hier ein in jedem Fall modernes, möglicherweise auch wichtiges Wahlkampfformat okkupiert. Vor den Augen der ohnmächtigen Zuschauer wird die vermeintlich reiche Beute verteilt, zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Medienanbietern, zwischen SPD und CDU. Selbst einige Politiker bleiben außen vor oder müssen annehmen, was die medialen Katzentische hergeben. Erwartet werden darf ein politisches Show-Spektakel, gerahmt von einer präzise ausgeklü(n)gelten Choreografie, mit chirurgischen Einschnitten nicht nur in die inhaltliche Gestaltung.

“Inter-Aktivierung” der politischen Online-Kommunikation

Gerade im Kontrast zu solchen zwar professionell durchgeführten und auch hinsichtlich ihres politisch sensibilisierenden Potenzials nicht zu unterschätzenden Angeboten des Hochglanz-Politainment zeigen sich die Möglichkeiten des interaktiven Mediums Internet. Entlang der wesentlichen Wahlkampfdiskurse organisiert WAHLTHEMEN.DE einen Strang der öffentlichen Debatte im Internet. Dass dabei “Experten” den Auftakt machen und nicht sofort der “gut informierte Bürger” an die Tastatur gebeten wird, ist vor allem mit zwei Argumenten zu begründen. Einerseits grenzen die Eröffnungsstatements das jeweilige Themenfeld ein und schließen an bereits laufende Debatten an, andererseits wird der nachfolgende “öffentliche Diskurs” auf diese Weise in doppelter Weise verkoppelt. In Richtung der Politik durch den Bekanntheitsgrad der Experten, die oft auch direkten Zugang zum administrativen Entscheidungsraum haben, in Richtung der Bürger durch die Möglichkeit, eigene Erfahrungen und Expertise einzubringen. wahlthemen.de übernimmt in diesem Prozess die Rolle des “Transmissionsriemens” zwischen politischem System und dem öffentlichen Diskussionsraum der interessierten Bürgerschaft. Dadurch gerät die “Rückkanalfunktion” des Internet in den Blickpunkt und wird das oft nur theoretisch erkannte Potenzial zur Erzeugung von Feedback vor eine praktischen Prüfung “unter Wettkampfbedingungen” gestellt.

In dieser Konstellation zwischen politischem Entscheidungsraum und interessierter politischer Öffentlichkeit ist WAHLTHEMEN.DE ein Experiment und Testfall dessen, was in der Politikwissenschaft inzwischen als “Internet-Diskurs” bezeichnet wird – nämlich die möglichst unmittelbare Verkoppelung von Bürgerinteressen und politischem System unter Einsatz anspruchsvoller, interaktiver Medienformate. Am Ende dieser gerade erst beginnenden Entwicklung steht die Vision einer “Regierung durch Diskussion”, also der Herstellung kollektiv verbindlicher Entscheidungen aus dem Geist und über den Weg der kontroversen öffentlichen Auseinandersetzung mit fairen, demokratisch legitimierten Mitteln. Ob das Experiment gelingt, werden die nächsten Wochen und Monate zeigen – schon jetzt aber gibt es einen Gewinner: es ist die politische Öffentlichkeit des Internet, die um einen neuen, spannenden, lehrreichen Ort erweitert wird.

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Erschienen am 11.07.2002