"Alles Gute kommt von Norden": die Skandinavier haben uns nicht nur mit wackligen Möbeln und lispelnden
Handy-Experten beglückt, jetzt bescheren sie uns auch die erste reine Online-Zeitung Deutschlands: die Netzeitung

Nach einem Schnellstart zur Olympiade im September ist die Netzeitung, die in Norwegen vor drei Jahren als Nettavisen
das Licht der digitalen Welt erblickte, nun seit einigen Wochen mit vollem Programm in Deutschland online.
Volles Programm heißt auch hier Politik, Wirtschaft und Sport, ein Kulturteil soll folgen.

Was aber hat die Netzeitung, das andere Online-Angebote nicht haben? Zunächst einmal fehlt ihr etwas: eine Printausgabe
nämlich. Alle großen Verlagsprodukte im Netz profitieren von ihren Printmarken – und umgekehrt. Wer den Spiegel kennt
und schätzt, verirrt sich früher oder später auch auf die Seiten von spiegel-online.de. Und da die Netzeitung,
die inzwischen der schwedischen Internetfirma Spray gehört, sich allein durch Werbung finanzieren soll, muss sie ihre
Leser mit etwas ködern, dass die anderen Anbieter nicht haben.

Im Test mit den großen Berliner Online-Angeboten vom Tagesspiegel, der Berliner Zeitung und der Morgenpost zeigt sich,
dass die Netzeitung noch keine Netz-Revolution ausgelöst hat. Der Vergleich zeigt aber auch, dass die Online-Angebote
des Berliner Zeitungsmarkts dem Leser höchst unterschiedlichen Info-Spaß bieten. Der User sucht im Internet vor allem
eine top-aktuelle Berichterstattung. Daneben sind Hintergrundberichte, eine ansprechende Aufmachung, der Servicebereich
und die innovative Nutzung des Internets die Disziplinen, in denen sich die Online-Angebote im Test messen konnten.

Ein weiterer Grund für Infohungrige, die Sites der Tageszeitungen abzusurfen, sind all die kleinen "Extras", die nur
das Internet bieten kann: der Netzwert. Ob Newsletter oder Archiv, interaktive Bereiche wie Umfragen und Chats oder
Grafiken und Tabellen – wer das Potential nicht ausschöpft, kann eigentlich gleich bei seiner Printversion bleiben.
Für alle Testteilnehmer gilt unterm Strich: das Medium Internet kann noch besser genutzt werden.

Und hier sind die Ergebnisse im einzelnen:

Tagesspiegel Netzeitung Berliner Zeitung Morgenpost
Aktualität (8) 6 8 2 2
Dossiers (5) 4 2 0 3
Extras (4) 4 0 3 2
Hintergrund (3) 3 3 3 3
Inhalt (20) 17 13 8 10
Gestaltung (5) 3 3 1 2
Übersichtlichkeit (5) 3 2 2 2
Präsentation (10) 6 5 3 4
Frames (2) 2 2 2 2
Druckversion (2) 0 0 2 0
Termindaten (2) 2 0 2 1
Reservierungen (2) 0 0 0 0
Artikel verschicken (2) 0 2 2 0
Technik/Service (10) 4 4 8 3
Kreativität (10) 3 7 2 2
Newsletter (2) 2 0 2 2
Archiv (4) 2 0 4 2
Interaktivität (4) 3 1 2 0
Netzwert (20) 10 8 10 6
Gesamt (60) 37 30 26 23


1. Platz
Der Tagesspiegel schafft sich einen Vorsprung durch Inhalt: aktuelle
Berichterstattung, zahlreiche Dossiers und Extrainhalte, so macht
lesen im Web Spaß. Auch Gestaltung und Übersicht der Site sind
vorbildlich. Die Themen sind hierarchisch geordnet und verwandte
Artikel werden mit dem ersten "Klick" angezeigt. Abzüge muss der
Tagesspiegel.de im Servicebereich hinnehmen: Druckversion und
"Artikel versenden" fehlen! Auch beim Netzwert darf nachgebessert
werden.

Der Tagesspiegel


2. Platz
Die Netzeitung hat die Nase vorn in Sachen Aktualität, außerdem bietet
sie gut verdauliche Hintergrundinformation. Die aktuellen Änderungen
werden am Rand der Site angezeigt. Das ist digitales Futter für
infohungrige Surfer. Punktabzug gibt’s für die Übersichtlichkeit und
auch beim Service könnte mit einer Druckversion besser gepunktet
werden. Obwohl sie eine reine Net(z)zeitung ist, fällt sie beim
Netzwert hinter den Tagesspiegel zurück. Der Grund: es fehlen
Newsletter und Archiv.

Netzeitung


3. Platz
Die Berliner Zeitung bietet den Usern vor allem im Servicebereich
einige Extras: das gutsortierte Archiv erfreut ebenso wie die
Druckversion. Leider werden die Inhalte zu selten aktualisiert und
könnten auch übersichtlicher präsentiert werden. Die Übersicht zu
themen-verwandten Artikeln fehlt beispielsweise.

Berliner Zeitung


4. Platz
Auch die Morgenpost hat beim Inhalt noch nicht die digitale
Geschwindigkeit erreicht, bietet dafür aber immerhin eine Bündelung in
Dossiers. Insgesamt ist die Site auch ansprechender in Design und
Übersicht als bei der Berliner Zeitung. Dringend überarbeitet werden
muss der Service-Bereich. Von Netzwert mag man hier gar nicht
sprechen: die konservative Nutzung des Mediums reißt die
Morgenpost in der Gesamtwertung hinunter.

Berliner Morgenpost

Dieser Artikel erschien zuerst in der Zitty 25/2000