Plaste und Elaste hatte die DDR zur genüge und selbst in Sachen
Computertechnik waren die "Zonis" gar nicht ohne.
Ob sie es jedoch jemals ins VE-Internet geschafft hätten? Und ob sie dort, auf ihrer Seite der
gigantischen nationalen Firewall, irgend jemand hätten treffen können, der sie verstanden hätte?

Man stelle sich nur einen Moment lang vor, welch’ hübsche Wortkreationen uns verloren
gegangen sind, dadurch dass die Ossis schneller revoltierten als das Internet: Elektronische
Tischauflage für Laptop, Stasischwätzanbindung für Intranet und schließlich gar das Internet
als digitales Genossenanbindungsnetzwerk. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wer
zu spät gekommen ist: die DDR oder doch das Internet.

Zum Glück ist das Internet ein Ort, der sich wenig um schnöde historische Chronologie schert
und so können heimwehgeplagte Ossis, Wessis, die es vor 1989 nie zur Tante nach Thüringen
geschafft haben, und alle echten Spaßvögel eine Reise in Honis Welt unternehmen: Die DDR ist ein
digitaler Wiedergänger. Und was für einer. Politisch wird es selten auf den DDR-Sites im Web,
höchstens besinnlich. Es überwiegen jedoch die skurrilen Elemente, wobei das Spektrum von
DDR-Zündholzheftchen bis zum
Ost-Sandmännchen in allen
Lebenslagen reicht.

"Achtung. Sie verlassen jetzt West-Berlin" wird der
mutige Ost-Tourist gewarnt und wenn er sich per Mausklick an der Vopo vorbei geschmuggelt hat,
dann ist er drin. Stilecht können Sie jetzt zu flotten Tönen schmissiger Melodien wie
"Baut auf, baut auf" erfahren,
warum die offizielle DDR Karl May nicht mochte, obwohl er doch die Initialen des großen
Vorgängers trug. Dazu gibt es ein Forum, ein who-is-who des öffentlichen DDR-Lebens und jede
Menge Photomaterial.

Den Nervenkitzel der besonderen Art verspricht die
DDR-Überraschung
. Während Ihre Freunde öde Ferien auf Fidschi verbringen, können Sie
stilechten Urlaub in einem DDR-Ausbildungslager für Stasi, Volkspolizei und NVA erleben.
Schlappe 5200,- DM kostet die Zeitreise. Ob die allerdings vom Berufsbildungswerk anerkannt
wird, ist fraglich.

Ja, und wenn Sie dann schon mal da sind, liegt eine kleine Rundreise durch den Arbeiter-und-Bauern-Staat
doch nahe. Zunächst kaufen Sie sich eine ursige Rennpappe (Trabi) und
besorgen sich eine Straßenkarte. Die
passende Hotelliste verrät Ihnen dann auch, welches Interhotel in Karl-Marx Stadt seine Tore
für Sie öffnet. Als Beweis, dass Sie tatsächlich "drin" sind, dient ein postalischer Gruß. Die richtige
Frankierung erfahren sie ebenso, wie
die passende Postkarte bereitliegt.

Falls Sie, wieder zu Hause, Erich
Honecker
vermissen sollten, kein Problem. Der Sonderzug ins DDR-Nirvana hält intime Details aus
Honis Leben bereit. Zum Beispiel erfährt man hier, woher die Narbe auf der sozialistischen
Denkerstirn rührte.

Spaßige Volksgenossen, alberne Autos, putzige Souvenirs. Fast stimmt es melancholisch, dass
all dies fürs reale Leben verloren ist. Kein Wunder, dass die DDR im Netz kulturell
hochgehalten wird und strikt von der BRD getrennt existiert. Mag das Land analog
wiedervereinigt sein, digital existieren zwei Welten. Ein Umstand, der Historiker und Ost-Fans
erfreuen dürfte und doch gesellschaftspolitisch bedenklich ist. Zeigt er doch, dass der
Osten bei all seinen systemischen Fehlern ein hohes Identifikationspotential hatte und noch hat.
Auch im Netz wurde so die Chance einer echten Wiedervereinigung verpasst. Nun, rechtzeitig zu
den Feierlichkeiten am 3. Oktober wäre es Zeit, umzudenken. Digital und analog.

Zum 10. Jahrestag der Wiedervereinigung wären endlich mal gesamtdeutsche Feierlichkeiten
fällig: Eine Liebesparade mit Winkelementen oder ein Soli-Konzert der Münchner Freiheit für
die Stasi-Rentner. Honi hätte am 3. Oktober eine eigene Fernsehsendung haben können oder
zumindest einen Knast-Container mit Webcam. Karsten Speck, der ostdeutsche Percy Hoven,
moderiert die Show dann gemeinsam mit Linda de Mol, der wahren west-deutschen Kati Witt. Die
beiden tragen das modisch unterbewertete Outfit der Jungen Pioniere und statt des drögen "Leb’
so wie du dich fühlst" hätten Silly und Karat ne richtig dufte Nummer aufgenommen und es damit
mal von der Wittenberger Waldbühne runtergeschaft. Kati Witt wäre natürlich so oder so nach
Amerika gegangen, hätte dort aber mit der
"Pop-Gymnastik"
richtig viel Geld verdient.
Und ganz sicher sähe die gesamtdeutsche Medaillenbilanz in Sydney zum Tag der Einheit anders
aus, hätte man die ostdeutsche Sportförderung beibehalten. Club-Cola statt Chianti für Franzi,
dann stünden jetzt ein paar mehr Goldmedaillen auf der deutschen Bilanz.

Die Liste der deutsch-deutschen Versäumnisse ist lang. Im realen Leben schenkte uns die DDR
den grünen Pfeil zum Rechtsabbiegen. Im Internet tritt der Arbeiter und Bauern-Staat den
Beweis an, dass es ihn noch gibt. Die echte Webpage im Geiste der Wiedervereinigung, so
zeigt unsere Rundreise, muss noch erfunden werden.