Der Forschungsbericht „Analyse netzbasierter Kommunikation unter kulturellen Aspekten“ zeigt in die richtige Richtung. Doch gefragt ist eine bessere Innovationskultur im Bereich der politischen Kommunikation. Ein Essay.

Es ist ein löbliches und großes Unterfangen, dem sich der Bundestag mit dem Forschungsprojekt „Analyse netzbasierter Kommunikation unter kulturellen Aspekten“ gewidmet hat. Rund ein Dutzend Wissenschaftler und Praktiker durften aktuelle Trends, theoretische Hintergründe und konkrete Beispiele aus dem Bereich benennen – und der Bundestag wird mehrere Tausend Seiten Papier zur Kenntnis nehmen. Damit unterstreicht das Parlament, dass es daran interessiert ist, das Internet für demokratische Willensbildung mitzudenken.

Die Autoren der verschiedenen Gutachten beleuchten die netzbasierte Kommunikation aus unterschiedlichsten Blickwinkeln. Überraschend viele gute Beispiele, Subkulturen und neue Gedanken kommen da zusammen, die schwer über einen Kamm zu scheren sind. Doch eine Linie schwingt in vielen Gutachten mit: Die Konzepte liegen auf den Tisch, vieles wurde bereits ausprobiert und hat sich in der Praxis bewährt. Doch: Wann geht es endlich los? Wann denken staatliche Institutionen Bürgerkommunikation endlich neu, indem sie offene, weniger hierarchische Dialogformen mit den Bürgern anbieten? Wann wird „netzbasierte Kommunikation“ für die Politik zum wirklich wichtigen Thema?

Das Netz bringt nach wie vor immer neue Trends wie „Weblogs“ oder „Podcasts“ hervor. Politische Institutionen haben inzwischen nachgezogen, bieten umfassende Informationsangebote und Selbstdarstellungen an. Doch auf ein Bekenntnis zur zweikanaligen Kommunikation wartet die Netzkulturszene vergeblich. Es sind weiterhin meist Non-Profit-Organisationen, die aufzeigen, wo man für eine bessere Bürgergesellschaft das Internet nutzen könnte: Ob „kandidatenwatch“ oder „ichgehe-nicht-hin“, ob „factcheck-deutschland“ oder „der Haushälter“. Das Geld ist in der Regel rar, die Initiativen entsprechend schmalbrüstig.

Warum tun sich gerade in Deutschland staatliche Institutionen so schwer, neue Formen der Bürgerkommunikation zu erproben? Das Internet ist nach wie vor nicht als eigenständiges, zusätzliches und neues Medium anerkannt. Diese Anerkennung hätte weitreichende Folgen: Schnell würde nach mehr Geld, besserer Ausstattung und mehr Befugnissen in der Kommunikation gerufen.

Ein neues Medium braucht nicht nur neues und zusätzliches Personal, sondern auch eine größere Offenheit gegenüber neuen Formen des Dialogs. Doch dieser Dialog überfordert Parlamentarier und Institutionen und macht ihnen Angst. Rufe wie der von Professor Stephen Coleman (Oxford), der den Abgeordneten regelmäßig ein „but thats your job“ entgegenwirft, verhallen wirkungslos.

Die preussische Mentalität hat sich tief in das Bewusstsein deutscher Staatsdiener eingebrannt: Bewahren geht vor Bewegen. Auf die Anforderung, der Staat möge sich selbst modernisieren, sind deutsche Institutionen damit nicht gerade vorbildlich präpariert. Der Staat hat vielleicht nicht die Aufgabe, Innovationen selbst einzuführen. Er muss Rahmenbedingungen schaffen, die Innovation möglichmacht. Gerade im Bereich der politischen Kommunikation darf der Staat Innovationen aber auch nicht immer weit hinterherhecheln.

Ohne die nötige Infrastruktur wird Innovationskulturen nicht befördert. Benötigt wird nicht nur eine engere Zusammenarbeit des Staates mit kleinen und zukunftsträchtigen Innovateuren, sondern auch ein unbürokratischer Zukunftsfonds, mit dem kleine Budgets an experimentelle Projekte der Demokratieentwicklung vergeben werden können. Gefragt sind keine Mega-Etats mit zweijähriger Vorlaufzeit, sondern schnelle Beiboote, die auch mal auf eine Sandbank auflaufen dürfen.

Es ist nur noch eine Frage der Zeit, so eine These aus dem politik-digital.de-Forschungsbericht „Copyright und Urheberrecht: Formen und Strukturen des netzbasierten Diskurses“, bis Internet-Akteure in die Offline-Welt drängen, um dort ihre Interessen zu vertreten. Dann allerdings wird die Politik keine Zeit haben, einen langsamen Aufstieg und eine Entwicklung über Jahre mitzuverfolgen. Neue Akteure werden, wohlorganisiert und inhaltlich ausreichend positioniert, über Nacht auf der Bildfläche erscheinen. Wenn dann keine offenen Dialogangebote gemacht werden, die der Netzkultur entsprechen, könnte das demokratische System in eine Legitimitätskrise schlittern.

Es ist schon wahr: Wo keine Nachfrage, da kein Angebot. Fordernde Stimmen, die sich für eine experimentelle Kultur der Demokratieentwicklung einsetzen, sind heute in Deutschland noch Mangelware. Aber das kann, das wird sich ändern. Einige der Potenziale der netzbasierten Kommunikation zeigt der vorgelegte Forschungsbericht auf. Er sollte jetzt nicht in der Schublade verstauben.

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