Andere im Internet: Der Wahlkampf der Kleinen

 

Was wäre eine Wahl ohne sie, die die Wahlzettel länger machen, gelegentlich für Amüsement sorgen und vor allem Ausdruck der Meinung derjenigen Wähler sind, die sich mit dem Mainstream der kaum unterscheidbaren Positionen der großen Parteien nicht wohl fühlen? Die Rede ist von den Splitterparteien, die meist nur einen geringen Anteil der Wählerstimmen für sich verbuchen können und in den Wahlstatistiken unter „Sonstige“ oder „Andere“ zusammengefasst werden.

Der Wahlkampf zur kurz bevorstehenden Bundestagswahl dümpelt weiter vor sich hin, unterbrochen von der Flutkatastrophe, die durch das Ausmaß der Tragödie davon abgelenkt hat, dass die beiden großen Blöcke in Deutschland kaum Ideen und keine Visionen haben. Da lässt sich die Zeit gut nutzen, um einmal herauszufinden, wie denn die übrigen der 24 für die diesjährige Bundestagswahl
zugelassenen Parteien die Wähler ködern wollen. Wollten Sie schon immer mal wissen, wie ein
Deutschland nach Gottes Geboten aussieht? Was die
Bayernpartei bundesweit zu sagen hat? Ob die
Humanistische Partei sich auf Werte aus der Renaissance beruft und wie
alternative spirituelle Politik im neuen Zeitalter gemacht wird? Das WWW bietet Abhilfe, denn mittlerweile sind auch die kleinsten dieser Randparteien mit einer eigenen Homepage im Netz.


Die zugelassenen Splitterparteien
AUFBRUCH – Aufbruch für Bürgerrechte, Freiheit und Gesundheit

BP – Bayernpartei

BüSo – Bürgerrechtsbewegung Solidarität

CM – Christliche Mitte – Für ein Deutschland nach Gottes Geboten

DIE FRAUEN – Feministische Partei Die Frauen

Die Tierschutzpartei – Mensch Umwelt Tierschutz

Die Violetten – Alternative spirituelle Politik im neuen Zeitalter

FAMILIE – FamilienparteiI Deutschlands

GRAUE – Die grauen Panther

HP – Humanistische Partei

KPD – Kommunistische Partei Deutschlands

NPD – Nationaldemokratische Partei Deutschlands

ödp – Ökologisch-demokratische Partei

PBC – Partei Bibeltreuer Christen

PRG – Partei für RentenGerechtigkeit und Familie

REP – Die Republikaner

Schill – Partei Rechtsstaatlicher Offensive

ZENTRUM – Deutsche Zentrumspartei

Allerdings sollte man seine Erwartungen nicht zu hoch schrauben. Zwar sind alle in der Netzgesellschaft angekommen, doch wie diese funktioniert und was sie für Möglichkeiten bietet, ist nicht jeder dieser Parteien klar. Vor allem im Hinblick auf das ewige Sorgenkind Interaktivität sind – positiv ausgedrückt – die Entwicklungschancen noch groß.

Wenige gute Auftritte

Absolutes Highlight ist in dieser Hinsicht die Humanistische Partei (HP). Sie hat nahezu alle Möglichkeiten ausgeschöpft, die das WWW bietet – von Chats, Newsletter, Gästebuch und Diskussionsforen über ein Politik-Quiz, die „HP Gameworld“ und das Mitglieder-Intranet bis hin zu kostenloser HP E-Mail und (leider nicht funktionierender) Free SMS. Doch auch bei der HP gibt es Nachbesserungsbedarf. Obwohl die Informationen breit gestreut sind, ist ein eigentliches Wahlprogramm nicht zu finden. Die Positionen der Partei müssen aus dem „Humanistischen Dokument“ entnommen werden. Auch die Herkunft und Struktur der HP bleibt undurchsichtig. Sollte sie vielleicht doch – wie durch den Schriftzug auf der Startseite signalisiert – auf Selbstzerstörung angelegt sein? Wie auch immer, Spaß haben die Besucher dieser Seiten jedenfalls.

Daneben hat auch die
ödp einige Initiativen ergriffen, um ihre potenziellen Wähler möglichst lange auf ihren Seiten zu halten. Wer sich erst einmal durch die überladene Startseite laviert hat, kann auch hier chatten, diskutieren oder sich im Gästebuch verewigen. Werbemittel und Informationen sind online zu bestellen, Banner werden zum Download angeboten. Die Online-Beitrittserklärung macht Kurzentschlossenen den Zugang zur Partei leicht. Auch der Spaß soll nicht zu kurz kommen. E-Cards und ein Kanzlerklonstudio sollen ebenso für Unterhaltung sorgen wie ein Gewinnspiel, bei dem man sich mit besonders guten Ideen wahlweise als Bundeskanzler/in, Kommunalpolitiker/in oder politische/r Willensbildner/in bewerben kann. Das Gewinnspiel spiegelt einen der wesentlichen Punkte der Partei wider: sie will eine Mitmacher-Demokratie. Die Preise können sich sehen lassen und bestehen zur Abwechslung einmal nicht in Werbe-T-Shirts und ähnlichen Parteiaccessoires: ein Fahrrad, ein Hotelwochenende und ein Einkaufsgutschein locken. Inhaltlich ist die ödp besser vertreten als die HP: Interessierte können sich entweder mit den Haupt-Themengebieten auseinandersetzen oder direkt in den Programmen (Grundsatz, Wahl 2002 und Europa) nachlesen. Abgesehen von der unübersichtlichen Startseite findet man hier einen ausgewogenen Internetauftritt.

Das breite Mittelfeld

Bei den übrigen Parteien ist die Interaktivität meist schwach ausgeprägt, während politische Inhalte in der Regel recht gut oder zumindest ausführlich präsentiert werden. Einen akzeptablen Auftritt haben in dieser Hinsicht vor allem die
Bürgerrechtsbewegung Solidarität und die
Partei Bibeltreuer Christen PBC (beide mit Volltextsuche) sowie die Partei
AUFBRUCH, die alle gut strukturiert sind und eine übersichtliche Navigation haben. Die PBC bietet zum direkten Austausch sogar einen wöchentlichen Chat an.

Mit umfangreichen Informationen, einer ausführlichen Linksammlung und einem rege genutzten Diskussionsforum sind auch
DIE FRAUEN ganz gut im Netz vertreten. Bei der
Tierschutzpartei wird ebenfalls online und über eine Mailingliste diskutiert; ein Special zur Bundestagswahl stellt zusätzlich alle wesentlichen Informationen über Programm und Kandidaten bereit. Auch in den anderen Rubriken wird umfassend informiert, so dass die Besucher hier – wenn auch in etwas trister Optik – gut versorgt werden.

Weitere annehmbare Seiten, allerdings ohne besonders interessante Merkmale, sind bei
ZENTRUM,
KPD sowie
NPD und den
REPs zu finden. Die Homepage der
Schill-Partei ist zwar gut strukturiert, stellt aber nicht die erforderlichen Informationen zur Verfügung. Wer hier etwas über das Parteiprogramm erfahren möchte, könnte denken, dass Schill nur in Hamburg antritt, denn über Bundespolitik wird hier nicht geredet. Bei der Christlichen Mitte verhält es sich genau umgekehrt – dort sind zwar Informationen erhältlich, aber so unstrukturiert und unübersichtlich, dass das Surfen nicht viel Freude bereitet. Einen Grenzfall stellen auch die Violetten dar, die zwar Programm, Satzung und Aufnahmeantrag präsentieren, insgesamt aber eine sehr magere Webpräsenz haben.

Unlustig oder ahnungslos?

Ein virtueller Besuch bei den übrigen vier der Splitterparteien ist wenig lohnenswert. Ob sie nicht wissen, womit die „Netzwähler“ zu ködern sind oder ob sie schlichtweg keine Lust haben, sich mit ihrem Internetauftritt näher zu befassen, bleibt dabei offen. Sowohl die Bayernpartei (BP) als auch
FAMILIE,
GRAUE und die
Partei für Rentengerechtigkeit und Familie (PRG) geizen mit Informationen. Die Familienpartei hat zwar einen sehr schön strukturierten Auftritt, ist aber, was das Material angeht, auf dem Stand von 2001 hängen geblieben. Bei der PRG kann man von Navigation eigentlich nicht sprechen, und viel zu erfahren über Struktur und Ziele der Partei ist hier auch nicht. Der Auftritt von BP und GRAUEn ist schlichtweg langweilig.

Dennoch fällt ein derartiger Ausflug in die Welt der kleinen Parteien überraschend positiv aus. Bis auf die wenigen zuletzt genannten Seiten, die einfach unbefriedigend sind, haben sich die Splitterparteien in der virtuellen Welt erstaunlich gemausert. Zwar fehlen vielfach noch Interaktionsangebote, doch die wesentlichen Inhalte wie Programm, Kandidaten und Kontaktadressen werden bei fast allen in übersichtlicher Form angeboten, so dass die lange offene Frage „Was machen die überhaupt?“ nun endlich beantwortet werden kann.

 

Erschienen am 12.09.2002