(Artikel) Digitale Speicher- und Aufnahmengeräte finden mit zunehmendem Preisverfall auch bei den Soldaten Anklang. Das hat auch für das Militär Konsequenzen, wie die öffentliche Debatte in den vergangenen Wochen gezeigt hat. Denn durch die digitalen Medien kommen neue Dimensionen beim Dokumentationsvorgang hinzu.

 

Die vermeintlichen „Schädel-“ oder „Schock-Fotos“ aus Afghanistan kursieren nun seit etwa einer Woche in der deutschen Medienöffentlichkeit, und so allmählich ergänzen auch durchdachtere Positionen und Anmerkungen die aufgeregten Empörungen der ersten Tage. Doch es bleiben auch einige Lücken bestehen, insbesondere mit Blick auf den Entstehungskontext der Bilder und ihren Weg in die deutsche Medienöffentlichkeit – nein, hier sind nicht die exklusiven Kanäle der BILD-Zeitung gemeint, sondern vielmehr die digitalen Aufnahme- und Speichergeräte in den Händen der Soldaten. Offenbar war die Mitnahme von Digitalkameras (bisweilen auch des eigenen Notebooks) nach Afghanistan problemlos möglich – für die digitale Bildproduktion öffnete sich so ein weites Feld, und man muss sich beinahe fragen, warum es so lange dauerte, bis das Bildmaterial an eine breitere Öffentlichkeit gelangte.

Der Charakter der Bilder als Digitalbilder wurde in der Debatte bislang so gut wie nicht thematisiert, lediglich in Nebensätzen war von Lösch- oder Kopierversuchen die Rede, manche Artikel erwähnen einen regen Bilderhandel im Camp. Aus mehreren Gründen scheint aber der „Aggregatzustand“ des Fotomaterials besonders interessant. Zunächst einmal wurde die Authentizitätsfrage nie ernsthaft gestellt, die Öffentlichkeit ist sich einig, dass es sich nicht um Fälschungen handelt. Spätestens die Publikation in der BILD fungiert ganz offenbar als Echtheits-Zertifikat (die schnellen Schuldeingeständnisse der Bundeswehr taten ein übriges). An sich wäre dies nicht verwunderlich, zeigt aber, dass der generelle Vorbehalt gegenüber Digitalfotos angesichts der schieren Menge und weiten Verbreitung nicht mehr aufrecht erhalten wird – digitales Bildmaterial wird inzwischen schneller als „authentisch“ angesehen.

Damit wäre man beim zweiten Punkt: Die Bilder stammen aus dem dem Jahr 2003 und sind alt – zumal in einem digitalen Umfeld, das als besonders schnelllebig gilt. Warum haben sie in den vergangenen drei Jahren nicht schon einige Runden durch die schmutzigen Randzonen des Internet gedreht? Warum keine „Enthüllung“ durch einen umtriebigen Blogger? Offenbar ist die „deutsche Blogosphäre“ noch längst nicht auf internationalem Niveau, denn bewaffnete Konflikte waren nicht erst seit dem Bagdad-Blog von
Salam Pax ein wesentlicher Nährboden für die hochgelobte Kommunikationsplattform. Die bislang seltenen „Bundeswehrblogs“ umfassen eher harmlose Berichte aus dem Alltag junger Wehrdienstleistender. Ein breit aufgestelltes Angebot wie „milblogging.com“, das mehr als 1.500 „Militär-Weblogs“ auflistet (darunter nur eine Handvoll von deutschen Soldaten), ist hierzulande nicht in Sicht.

Schließlich muss auch der konkrete Produktionsvorgang der „Schock-Fotos“ als Digitalbilder mitgedacht werden. Dabei sind drei wesentliche Charakteristika des Digitalfotografierens relevant. Zum einen entfällt die aufwändige Filmentwicklung, als traditionelle Fotos mit der Kleinbildkamera sind die Aufnahmen im afghanischen Kriegsgebiet schlichtweg undenkbar. Wichtiger aber sind zwei andere Punkte: Digitalfotos stehen unmittelbar nach der Aufnahme zur Verfügung, können überprüft und bei Bedarf erneut aufgenommen werden. Dies „erklärt“ die hohe Zahl der Bilder und den hohen Inszenierungsgrad der Aufnahmen. Das technologische Setting leistet einer seriellen Bilderproduktion Vorschub, multipliziert die Motive und die Anzahl der Bilder. Bleibt ein dritter Aspekt: Mit Abschluss der Aufnahmen verwandelt sich die Digitalkamera von einem Aufnahme- in ein Aufbewahrungs- und Zeigegerät. Nach der Rückkehr von einer Patrouillenfahrt liefert die Dia-Show im Basislager das Beweismaterial zu den Ereignissen des Tages – entweder auf dem Mini-Monitor in der Kamera oder nach der Übertragung auf ein Notebook. Einige der zuletzt veröffentlichten Berichte aus Afghanistan weisen deutlich darauf hin, dass innerhalb der Truppe reichlich digitales Bildmaterial zirkuliert und gerade die Möglichkeit zur schnellen Einsichtnahme auch zu einer Verstärkung der Aufnahmetätigkeiten geführt hat. Dass solche „personal devices“ nicht allein der Ablenkung und Zerstreuung dienen, sondern mitunter auch nicht unerhebliche Risiken bergen, sollte eigentlich bekannt sein.

Diese Eigenlogik der digitalen Bildproduktion führt schließlich zu einer scheinbar simplen Schlussfolgerung: Das Hantieren mit Kameras im Kriegsgebiet ist dem Umgang mit Waffen gleichzusetzen und gehört ganz offensichtlich verregelt. Nicht ohne Grund hatte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld die Nutzung digitaler Aufnahmegeräte aller Art in irakischen Militärlagern verboten – allerdings erst nach dem Skandal von Abu Ghraib. Inzwischen haben die US-Militärs ganz offensichtlich hinzugelernt, ein Bericht der Associated Press vom 30. Oktober 2006 (verfügbar über military.com) stellt die Arbeit der „Army Web Risk Assessment Cell“ vor: ein in Virginia ansässiges Sondergremium, das die digitalen Aktivitäten der US-Truppen überwacht und auf Sicherheitsrisiken prüft. Bis die Bundeswehr eine ähnliche Einheit beschäftigt, wird es wohl noch etwas dauern, doch schon jetzt scheint ein restriktiverer Umgang mit persönlichen digitalen Assistenten aller Art angezeigt.


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