1901_Cameron3“Wollen wir in unserem Land wirklich eine Kommunikation zulassen, die wir im Extremfall nicht mitlesen können?“, fragte David Cameron am vergangenen Montag – und meinte das völlig ernst. Ein beunruhigendes Beispiel für kopflosen Aktionismus in Folge der Angriffe auf Charlie Hebdo.

Um gleich zu Anfang mögliche Unklarheiten vorwegzunehmen: Das voranstehende Zitat ist kein Scherz. Es ist nicht sarkastisch, satirisch oder ironisch gemeint. Es ist keine rhetorische Frage, auf die als Antwort ein lautes und klares „Ja!“ erwartet wird.

Nein. Wenn der britische Premierminister David Cameron die rhetorische Frage stellt, ob die Briten in ihrem Land eine Kommunikationsform zulassen wollen, bei der die Regierung und die Geheimdienste nicht mitlesen können, dann erwartet er darauf mit vollkommener Ernsthaftigkeit die Antwort: „Nein, auf keinen Fall!“ Stattdessen wäre es im Extremfall besser, verschlüsselte Kommunikation abzuschaffen – notfalls durch das Verbot von Kommunikationswegen wie WhatsApp, Threema oder iMessage.

Überhaupt verlor die weltweite Koalition der „Sekurokraten“ in Reaktion auf das Attentat gegen das französische Satiremagazin Charlie Hebdo keine Zeit, seit langem umstrittene Forderungen nach erweiterten Befugnissen für die Geheimdienste erneut hervor-zu-holen. Herr Cameron jedenfalls wartete genau eine Woche, bis er die 2012 vom Koalitionspartner gestoppte „Communications Data Bill“, auch gefürchtet als die „Snooper’s Charter“ (zu Deutsch „Schnüffelgesetz“), wieder auf den Wahlkampftisch packte. Und ankündigte, „im Falle seiner Wiederwahl im Mai 2015 ein Gesetz durchbringen zu wollen, durch das der Einsatz der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung bei elektronischen Diensten und Apps verboten werden soll.“ Außerdem fordert Cameron die Zusammenarbeit amerikanischer Technologie-Konzerne mit britischen Geheimdiensten. Es läge in der sozialen Verantwortung der Konzerne, den britischen Geheimdiensten Zugriff auf ihre Daten zu ermöglichen. Um seinem Anliegen Nachdruck zu verleihen, bat Cameron auch US-Präsident Obama um Unterstützung, allerdings mit eher mäßigem Erfolg. Selbst Obama rät zur Vernunft. Dagegen scheint die Absurdität der Verurteilung des Pariser Attentats als einen Angriff auf Pressefreiheit und westliche Werte zeitgleich mit dem Ruf nach einem Ende privater Kommunikation den Befürwortern von Camerons Strategie nicht aufzufallen. Oder sie wird schlicht ignoriert.

Überwachung als Preis für Schutz vor Terror?

Man kann eben nicht alles haben. Sicherheit und Privatsphäre – das verträgt sich nicht. Überwachung, schwadronierte die britische Sun, sei eben der Preis, den man für den Schutz vor Terroranschlägen wie den auf Charlie Hebdo zu zahlen habe. Oder umgekehrt: Der Preis von Freiheit und Privatsphäre sei einfach zu hoch. Man sähe ja nun, wohin uns Forderungen nach der Wahrung unserer Grundrechte führten.

“[I]n our country, do we want to allow a means of communication between people which we cannot read?”, fragte David Cameron.

Die Antwort darauf sollte offensichtlich sein. James Ball sieht das im Guardian genauso und erklärt außerdem, wieso die Idee nicht nur unheimlich, sondern zudem schlicht unsinnig ist. Experten wie Cory Doctorow sind gar der Ansicht, Cameron lebe im Wolkenkuckucksheim. Jedoch, im Rahmen der Instrumentalisierung der Anschläge durch die Politik und die regierungstreue Presse ist Rationalität nicht Teil des Programms. Das ist nicht nur in Großbritannien so. Wie der Spiegel nun berichtete, will die EU-Kommission den Einbau von Hintertüren bei der E-Mail-Verschlüsselung prüfen.

Aktualisierung am 22.01.2015:
In Deutschland sieht Innenminister Thomas de Maizière Verschlüsselung als Problem und ist der Ansicht, dass im „Kampf gegen terroristische Aktivitäten“ deutsche Behörden unter Umständen „befugt und in der Lage sein [müssten], verschlüsselte Kommunikation zu entschlüsseln oder zu umgehen, wenn dies für ihre Arbeit zum Schutz der Bevölkerung notwendig“ sei. Das Problem, dass durch das Einbauen von Hintertürchen Verschlüsselung nicht nur für die Behörden umgehbar wird, scheint dabei zweitrangig. Zudem ist auch die Vorratsdatenspeicherung wieder in aller Munde, und es wird neben dem Terrorismus (mal wieder) das Schlagwort Kinderpornographie in den Raum gestellt. Nach SPD und den üblichen Verdächtigen von CDU und CSU stimmt jetzt auch Grünen-Parteichef Cem Özdemir in den Refrain ein. Dabei ist es auch egal, dass, wie Lars Sobiraj hier an anderer Stelle klarstellt, es in Frankreich die Vorratsdatenspeicherung bereits gibt, die Anschläge in Paris aber trotzdem nicht verhindert werden konnten. Oder dass die Brüder, die den Anschlag begingen, seit Jahren auf den Fahndungslisten der Polizei und Geheimdienste standen.

Dagegen argumentiert Jan Fleischhauer im Spiegel, dass Vorratsdatenspeicherung keine Präventions-, sondern eine Ermittlungshilfe sei, dass man die Geheimdienste nicht zu Deppen machen dürfe, „vor denen“ – Zitat Schäuble – „wir immer nur Angst haben müssen, dass sie unsere Rechte untergraben“ und dass, wenn man sich gegen die Vorratsdatenspeicherung ausspricht, man den „Bürgern zumindest sagen [sollte], was auf sie zukommt“. „Speichert endlich, wer mit wem telefoniert!“, fordert Herr Fleischhauer und erweckt dabei den Eindruck, dass er sich mit Herrn Cameron und den Redakteuren der Sun ganz ausgezeichnet verstehen würde. Leider vergisst er zu erwähnen – wie auch seine sicherheitsversessenen Brüder und Schwestern im Geiste –, dass Vorratsdatenspeicherung gern als Präventionshilfe verkauft wird. Dass es Hinweise gibt, nach denen die Geheimdienste unsere Rechte durchaus untergraben. Dass der Dialog mit den Bürgern, in dessen Rahmen man ihnen sagen könnte, was mit der Vorratsdatenspeicherung auf sie zukommt, bislang eher spärlich ausfällt. Zumal nicht vergessen werden sollte, dass im Umgang mit gesetzlich nicht regulierten Cyberwaffen „das Gesetz des Stärkeren“ gilt und dass vorsätzlich rechtsstaatliche Fundamente unterlaufen werden. Wer geneigt ist, wohlwollend der aktuellen Bundesregierung zu vertrauen, der blicke bitte auf die Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses im Bundestag, der seitens selbiger wenig Unterstützung erhält.

Politischer Aktionismus auf unterstem Niveau

In direktem Widerspruch zu den Äußerungen Camerons, dass Verschlüsselung etwas ganz Schlimmes sei, warnt übrigens ein geheimer Cybersecurity-Report aus dem Fundus von NSA-Whistleblower Edward Snowden, dass sowohl private, als auch öffentliche Computer gerade dann anfällig für Cyberattacken seien, wenn Verschlüsselung nicht rasch genug implementiert werde. Das berichtete der Guardian am Freitag. Denn Verschlüsselung schützt eben nicht nur Terroristen und Pädophile, sondern auch Regierungsorganisationen, Unternehmen und Privatpersonen vor Spionage, Sabotage und den potenziell haarsträubenden Folgen von Cyberkriminalität. Das gibt sogar das britische GCHQ insgeheim zu. Nur David Cameron nicht. Der denkt sich stattdessen zusammen mit US-Präsident Obama Cyber-„War Games“ (also Cyber-Kriegsszenarien) aus, mit Hilfe derer die Geheimdienste überprüfen sollen, wie gut sie gegen Angriffe aus dem virtuellen Raum gerüstet sind.

Niemand bestreitet die Unverzeihlichkeit der Angriffe in Paris. Aber es kann nicht sein, dass jetzt, wie schon nach dem 11. September und den Anschlägen in London 2005, das Attentat auf Charlie Hebdo dazu benutzt wird, seit Langem umstrittene politische Interessen durchzusetzen oder sich dem Autoritarismus anzunähern. Das ist politischer Aktionismus auf unterstem Niveau.

Joachim Gauck sagte jüngst: „Ängste ernst zu nehmen, heißt nicht, ihnen zu folgen. Mit angstgeweiteten Augen werden wir Lösungswege nur schwer erkennen, wir werden eher klein und mutlos.” Genau das ist Camerons Problem. Er und seine Tories lassen sich schon viel zulange von Ängsten leiten. Lässt man sie gewähren, kann in der Tat wahr werden, was Reiner Luyken in der ZEIT bereits 2007 schrieb: „Das Mutterland der Demokratie verwandelt sich in den rabiatesten Überwachungsstaat der westlichen Welt.” Anderen Regierungen in Europa kann das bestenfalls ein mahnendes Beispiel sein.

Aktualisiert am 22.02.2015

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