Kaum ist Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen im Gespräch für das Amt der Bundespräsidentin, reagiert ein großer Teil des politischen Internet mit harscher Kritik und Ablehnung. Auf das Twitter-Hashtag #notmypresident folgte die entsprechende Facebook-Gruppe, flankierenden Stoppschild-Banner und auch die T-Shirt-Beflockungsmaschinen laufen bereits wieder – eine logische Neuauflage der großen "Zensursula"-Kampagne des vergangenen Jahres?


Der ablehnende Reflex mag zwar verständlich sein, doch wäre die Berufung von der Leyens ins Schloss Bellevue denn nur schlecht für die öffentliche Debatte um Netzpolitik?

Das muss keineswegs der Fall sein, denn es gibt durchaus auch positive Aspekte einer solchen Personal-Rochade. Der direkte Eingriff in netzpolitische Entscheidungen wäre der Bundespräsidentin qua Amt verboten – dass die Tagespolitik für Schlossbewohner ein ungünstiges Pflaster ist, hat Horst Köhler zuletzt eindrucksvoll bewiesen. Eine der wesentlichen Aufgaben des Staatsoberhauptes ist dagegen das Anstoßen und Begleiten großer gesellschaftspolitischer Debatten. Neben anderen Themen sollte inzwischen auch die Netzpolitik auf die präsidiale Agenda gehören. Und dank von der Leyens Vorgeschichte als "Zensursula" darf man durchaus davon ausgehen, dass sie das ganz ähnlich sehen wird.

Gefunden auf www.netzpolitik.org, cc by-nc 3.0

 

Doch wäre das wirklich so schlimm für den politischen Teil im deutschen Internet? Könnte nicht genau bei einer solchen Konstellation ein produktiver Diskurs zwischen (Offline-)Politik und (Online-)Sachverstand entstehen? Und im Gegensatz zur eher spezialistischen Debatte um Internetsperren sogar mit einer sehr viel höheren gesellschaftlichen Sichtbarkeit und Reichweite?

Der Blick auf die größeren Online-Kampagnen und netzpolitischen Diskussionen der letzten Jahre hat gezeigt, dass eine institutionelle oder personelle Verankerung der Diskussion im politischen Raum von enormer Bedeutung für deren Akzeptanz und Verarbeitung ist. Ob die aus der Debatte um die Internetsperren hervor gegangene Piratenpartei diese Verbindung dauerhaft wird herstellen können, muss bezweifelt werden. Auch die bisherigen Bemühungen der Bundesregierung auf dem Feld der Netzpolitik (Stichwort: „E-Konsultationen“ im Innenministerium) sind diesen Beweis noch schuldig geblieben, und die mit Spannung erwartete Enquête-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ steckt noch in der Gründungsphase. Beide Instrumente erscheinen mittel- oder langfristig ohnehin nicht als sonderlich gut geeignet, um im Kampf gegen legislative Schwergewichte zu bestehen – und gleich mehrere Ministerialbehörden haben ihre Ansprüche angemeldet, die netzpolitische Agenda mitzugestalten.

Mit einer Versetzung Ursula von der Leyens nach Bellevue aber wäre die Netzpolitik an prominenter Stelle im politischen Berlin angekommen – dafür könnte nicht zuletzt die gerade wieder mobilisierte „Netzgemeinde“ sorgen. Und wäre eine „digitale Ruckrede“ der Bundespräsidentin (die durchaus auch im Geist der "Zensursula"-Vergangenheit ausfallen könnte) nicht genau die Situation, in der eine heftige, kritische und konstruktive Reaktion aus dem Netz als Korrektiv wirken kann?

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