Wie verzahnt man partizipative Online-Elemente mit schwergängigen parlamentarischen Prozessen? Unter dem Titel ‘Die Zeitkrise im Superwahljahr 2011’ hatten CARTA, die NRW School of Governance und politik-digital.de zu einer abendlichen Diskussionsveranstaltung nach Berlin eingeladen.

Politischer Salon

Für Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte, Direktor der NRW School of Governance, steht fest: "Zeit ist eine Messgröße der Freiheit geworden". Während das Internet die Beteiligung an politischen Prozessen immer weiter beschleunige, sei der klassische parlamentarische Prozess für den Duisburger Politologen nur bedingt beschleunigungsfähig und lasse Zeit zum Nachdenken und Abwägen, ein unerlässliches Element in der parlamentarischen Demokratie, so Korte in seinem Eingangsstatement.

Björn Böhning, einer der profiliertesten Netzpolitiker der SPD, verwies in der Diskussion ebenfalls auf die in Jahrzehnten bewährten Prozesse der Entscheidungsfindung hin, ohne jedoch die massiven partizipativen Verschiebungen durch den Einfluss des Internet zu verschweigen: "Die Bürgermacht ist größer geworden", so Böhning, doch der kollaborative Bürger fehle.
Von Moderator und Initiator Robin Meyer-Lucht auf die Chancen von Einrichtungen wie dem "18. Sachverständigen" der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" angesprochen, warnte Korte ausdrücklich davor, dass auf die Mobilisierung über das Internet nicht zwangsläufig eine Steuerung der Online-Beteiligung folgen dürfe: "Die Vorstellung, das Internet steuern zu können, ist absurd."

Auf der Suche nach Lösungswegen forderte Korte vor rund 50 Zuhörern vielmehr eine verstärkte "institutionelle Phantasie" und ein "repräsentatives Gremium der Willensbildung" – sowohl seitens der Netzgemeinde als auch im politischen System. Er regte Parlamente als Bürgerkammern und somit eine zusätzliche Beratungsenquete für den politischen Betrieb an. An die Diskussion zwischen dem Politikprofessor und dem politischen Praktiker aus der Berliner Senatskanzlei schlossen sich Fragen aus dem Publikum dieses ersten "politischen Salons" an. Darin kam vor allem Kortes Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Wutbürgers aus seinem ursprünglichen, auf "CARTA" veröffentlichten Essay zur Sprache. Für den "Wutbürger" gäbe es in der Auseinandersetzung mit den Regierenden im digitalen Zeitalter eine Hoffnung: "Aussitzen ist nicht mehr", so Björn Böhning in seinem abschließenden Fazit in Anspielung auf eine verbreitete Regierungspraxis der 1980er- und -90er-Jahre.