khgl1Team_Fluechtlinge_Willkommen_HIGH-RES_by_Jean-Paul_Pastor_Guzma¦ün_cropEs gibt eine Menge praktischer Internetseiten. Manche zeigen, wie man mit einfachen Tricks die heimische Wohnung verschönert, andere machen den geneigten Beobachter zum Sternekoch – und wieder andere verändern ein ganzes Leben. Letzteres trifft auf die Website „Flüchtlinge Willkommen“ zu, die Flüchtlinge und WGs mit freiem Zimmer zusammenbringt.

Warum dürfen Asylbewerber nicht arbeiten, wieso können sie sich nicht freizügig bewegen, und warum sind sie isoliert vom Rest der Gesellschaft unter miserablen Bedingungen in viel zu großen Lagern untergebracht? Diese Fragen stellten sich die Berliner Mareike Geiling, Jonas Kakoschke und Golde Ebding – und spätestens als in der Wohnung von Mareike und Jonas ein Zimmer frei wurde, war ihnen klar, dass sie zumindest gegen letzteres auch selbst etwas tun können. Warum nicht einfach einen Flüchtling in das frei gewordene WG-Zimmer einziehen lassen? Seitdem Mareike in Kairo lebt und arbeitet, sitzt Jonas abends statt mit ihr nun mit Bakaray auf der Couch in der WG-Küche, kocht, isst und plaudert mit ihm. Ein Zusammenleben wie in tausenden anderen Berliner Wohngemeinschaften – mit dem Unterschied, dass Bakaray  aus Mali geflohen ist und zuvor kein festes Dach über dem Kopf hatte. Um seine Miete zu finanzieren, fragte die WG im Familien- und Freundeskreis nach Mikrospenden. Hier drei Euro im Monat, dort sogar 20 – das alles ging viel einfacher als erwartet, und wenn es hier klappt, warum dann nicht auch woanders? Der Startschuss für das Projekt war damit gefallen.

„Wir sind der Auffassung, dass geflüchtete Menschen nicht durch Massenunterkünfte stigmatisiert und ausgegrenzt werden sollten, sondern dass wir ihnen einen warmen Empfang bieten sollten“, heißt es auf der Website fluechtlinge-willkommen.de, die seit Dezember 2014 online ist. Über ein Formular auf der Homepage können sich Wohngemeinschaften  und Haushalte, die ein Zimmer frei haben, direkt online anmelden – und auch notdürftige Flüchtlinge können über die Website Kontakt zu den Initiatoren aufnehmen. Obwohl das Wort Flüchtling im Namen des Projekts zu finden ist, sprechen die Organisatoren lieber von geflüchteten Menschen. „Das Wort hat durch die Endung ‚-ing‘ etwas Verniedlichendes, das schnell zu Assoziationen von Hilflosigkeit und Passivität führt – eben dies ist aber nicht unsere Idee von geflüchteten Menschen, die ihr Leben selbst aktiv gestalten dürfen müssten. Das Erreichen dieser Selbstbestimmtheit ist ein zentraler Punkt“, erklärt Initiatorin Golde Ebding das Konzept dahinter. Durch das Zusammenleben in einer WG finden die Geflüchteten einfacher Anschluss, lernen schneller Deutsch und gehen so einen ersten Schritt in eine eigenverantwortliche Zukunft; ihre einheimischen Mitbewohner haben im Gegenzug die Möglichkeit, eine andere Kultur kennenzulernen.

Ziel: ein ganz normales WG-Leben

18 WGs und Geflüchtete wurden dank der Homepage mittlerweile zusammengebracht – in Konstanz, Wien oder Frankfurt, die meisten aber in Berlin. Mehr als 250 Menschen haben Mikrospenden zur Finanzierung der Mieten zugesagt, viele bieten auch an, den Flüchtlingen als Paten vor Ort zur Seite zu stehen. Insgesamt meldeten sich über 480 WGs und mehr als 200 geflüchtete Menschen. Dafür, dass bislang nur knapp 20 von ihnen tatsächlich in freie WG-Zimmer eingezogen sind, gibt es laut Golde Ebding ganz unterschiedliche Gründe: Die von den WGs angebotene Wohndauer war zu gering, das Angebot wirkte unseriös oder kam sogar aus der rechten Szene, und relativ viele WGs meldeten sich nicht mehr zurück, wenn es konkret wurde. Hinzu kamen Vermittlungsversuche, bei denen einer der Beteiligten wieder absprang – für die Organisatoren ist das aber ganz normal und sogar gewollt, schließlich ist das Ziel des Projekts ein „langfristiges, auf gegenseitiger Sympathie basierendes Zusammenleben“. Und dazu muss es eben auf allen Ebenen stimmen. Mit den bereits vermittelten WGs steht das Team von „Flüchtlinge Willkommen“ als Ansprechpartner noch in mehr oder weniger intensivem Kontakt, vor Ort begleiten die Paten den Prozess des Zusammenlebens der frisch zusammengewürfelten Wohngemeinschaft. Und dieser Prozess läuft laut Ebding ebenso wie die Finanzierung bisher in allen WGs reibungslos.

Dass das Zusammenleben so gut klappt, liegt aber auch daran, dass von Anfang an darauf geachtet wird, dass die zukünftigen Mitbewohner zusammenpassen. Schon bei der Anmeldung auf der Website werden Sprachkenntnisse und Wohnsituation abgefragt, es soll möglichst eine gemeinsame Sprache gesprochen werden. Auch das Alter und die Interessen spielen eine Rolle, und wenn Frauen sich eine rein weibliche WG wünschen, wird darauf auch Rücksicht genommen. Häufig sind es tatsächlich die klassischen Studenten-WGs, die sich bei fluechtlinge-willkommen.de melden, aber auch andere Haushalte öffnen ihre Türen für geflüchtete Menschen: Paare mit oder ohne Kinder, alleinerziehende Mütter oder ältere Menschen, die sich ein wenig Gesellschaft wünschen.

Flüchtlinge, die an einem Zusammenleben interessiert sind, melden sich selbst über die Homepage; wenn ein Zimmer frei ist, gehen die Organisatoren in vielen Fällen aber auch auf die Partner vor Ort zu, die die Zimmerangebote dann an die Flüchtlinge weitergeben. Denn wenn in Süddeutschland ein Zimmer vermittelt wird, fährt das Berliner Team natürlich nicht hunderte Kilometer im ICE durch Deutschland, um WG und Geflüchtete miteinander bekannt zu machen. Für solche Fälle gibt es Kooperationspartner, meist sind das Sozialarbeiter in Flüchtlingsberatungseinrichtungen. „Es haben sich aber auch schon Mitarbeiter von Sozialämtern an uns gewendet, denen es ein persönliches Anliegen war, menschenwürdige Unterkünfte für die von ihnen zu betreuenden Menschen zu finden. Das ist ein schönes Zeichen!“, findet Ebding.

Online verbreiten sich gute Ideen rasend schnell

Eines ist jedenfalls klar: Ohne das Internet könnte die Vernetzungsplattform niemals so agieren wie jetzt – schließlich sind oft Menschen in weit entfernten Städten beteiligt, die nur über das Netz erreicht werden können. Sowohl die nationale Reichweite als auch die Internationalisierung des Projekts wären offline nicht zu bewerkstelligen gewesen, dessen ist sich Ebding sicher. Und auch jeglicher interner Austausch findet über das Internet statt und ermöglicht es den Organisatoren, als einheitliches Projekt zu agieren.

Offline wie online ist  das Projekt in den Medien sehr präsent, durch die Website auch sehr transparent – Angst, die Polizei dadurch auf Flüchtlinge ohne Aufenthaltsgenehmigung aufmerksam zu machen, haben die Organisatoren aber nicht. Sehr viele der vermittelten Menschen stehen ohnehin mitten im Asylverfahren, ihr Aufenthalt ist somit legal. In diesen Fällen erfolgt häufig eine offizielle Kostenübernahme, die Arbeit von „Flüchtlinge Willkommen“ ist dementsprechend eine große Erleichterung für den Staat. Und da bei der Aufnahme von illegalisierten Menschen der humanitäre Aspekt im Vordergrund steht, sieht Ebding auch hier keine Probleme. Im Gegenteil: Die Organisatoren ermuntern dazu, Geflüchtete ohne Aufenthaltsgenehmigung aufzunehmen. Strafbar macht man sich dadurch nicht, die Wahrscheinlichkeit, dass plötzlich die Polizei vor der Türe steht, geht gegen Null. Prekär hingegen ist die Situation hingegen für den Flüchtling, dem sehr wahrscheinlich Haft und Abschiebung bevorstehen. In diesem Fall könne man nur noch versuchen, ihn so gut wie möglich zu schützen.

Auch für andere ehrenamtliche Projekte sieht Ebding große Potenziale beim Internet. Denn über das „Medium Nummer eins“ könne man vor allem junge Menschen ansprechen – eben genau die, deren Aufmerksamkeit durch klassische Anzeigen und Kampagnen kaum mehr gewonnen werden könne. Und ist eine Idee erst einmal geboren, habe das Internet die Macht, diese rasend schnell zu verbreiten und Initiativen wie „Flüchtlinge Willkommen“ durch die digitale Vernetzung quasi über Nacht bekannt zu machen. Bereits vor vier Jahren hat Mit-Initiator Jonas Kakoschke die Website pfandgeben.de gegründet, dort können Menschen mit überflüssigem Pfandgut in der Wohnung Kontakt zu Flaschensammlern in ihrer Gegend aufnehmen. Und nun wohnt Kakoschke eben mit einem geflüchteten Menschen aus Mali zusammen. Das World Wide Web macht es möglich.

Foto: Jean-Paul Pastor Guzmán / Flüchtlinge Willkommen
v.l.n.r.: Golde Ebding, Mareike Geiling, Jonas Kakoschke

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