ZEITcheckPolitikeraussagen erreichen mehr Menschen als Wahlprogramme, denn letztere passen weder in eine Talkshow noch in 140 Zeichen. Damit werden die Statements zu neuralgischen Punkten der politischen Kommunikation. Ein Satz reicht, um eine positive Mobilisierungswelle anzustoßen – oder den Zorn der Republik, im Falle einer Falschaussage. Faktenchecks wie der des ZEITmagazins bekommen dadurch beachtliche Relevanz, sind dabei je nach Ergebnis entweder Gütesiegel oder Wahlkampfbremse.
„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“, lautet ein zum Check eingereichtes Zitat für den „Wahlomaten“ der ZEIT. Die anderen der fast 70 Vorschläge sind vermutlich größtenteils ernst gemeint. Sie spiegeln wider, was das politische Deutschland im Augenblick bewegt. Sind ein Viertel aller Deutschen arm? Hat Thomas de Maizière den Verteidigungsausschuss in Sachen „Drohnenaffäre“ belogen? Und natürlich der vielleicht letzte schichtenübergreifende Aufreger: Wie sinnvoll ist ein Tempolimit auf der Autobahn?
Damit muss der Userbeitrag aber nicht enden. Jeder Vorschlag darf kommentiert werden – das ZEITmagazin kooperiert dazu bereits zum zweiten Mal mit der Beteiligungsplattform Adhocracy. Die Leser haben es auch in der Hand, darüber abzustimmen, welche Zitate in den Check kommen. Zum Schluss spukt der „Faktomat“ ein Fazit aus: wahr, halbwahr, falsch. Das Resultat ist auf ZEIT ONLINE nachzulesen oder im gedruckten ZEITmagazin.

Wird bald alles teurer?

Dreimal haben die ZEIT-Redakteure bisher nachgeprüft – oder besser: nachgerechnet. Als erstes wurde die Behauptung der Grünen-Vorsitzenden Katrin Göring-Eckardt unter die Lupe genommen, wonach 90 Prozent der Steuerzahler durch die geplante Reform entlastet würden. Die These stimme, schreibt das ZEITmagazin. Die Entlastungen seien jedoch nicht groß, die Belastungen hingegen sehr wohl, besonders unter Einbeziehung der geplanten Krankenkassenreform. Dem Fazit geht eine kurze Analyse des deutschen Steuersystems und seiner Zahler voraus. Danach wird aufgeschlüsselt, wie die höheren finanziellen Belastungen konkret aussehen, die Steuern, Krankenkassenbeiträge und ein begrenztes Ehegattensplitting betreffen.
Der zweite Check fällt in ein ähnlich umkämpftes Thema wie der zum grünen Steuerkonzept. „Sind vor allem die erneuerbaren Energien am hohen Strompreis schuld, wie Philipp Rösler behauptet?“ Die Redaktion kam hier zu dem Ergebnis, dass der Wirtschaftsminister bloß teilweise Recht hat. Die EEG-Umlage zur Förderung der erneuerbaren Energien sei etwas mehr am hohen Strompreis schuld als die herkömmlichen Energien, langfristig käme der Umstieg auf saubere Energie aber günstiger. Zumal die Privatverbraucher über die Umlage auch noch die energieintensiven Unternehmen subventionieren.
Check Nr. 3 greift ein Empfinden auf, an dem derzeit in Deutschland kein Zweifel besteht. Kaum jemand widerspricht der Einschätzung, dass der Graben zwischen Arm und Reich wächst. Sigmar Gabriel behauptete: „CDU, CSU und FDP sind dafür verantwortlich, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufgeht – trotz guter Wirtschaftslage.“ Zeit-Autor Kolja Rudzio stellt fest: Statistisch belegt ist das Auseinanderdriften der Vermögen zwischen 1998 und 2008, verlässliche Zahlen zu den späteren Jahren liegen nicht vor. Für die Armut ist die Tendenz feststellbar, dass das Armutsrisiko bis ca. 2005 stieg und im Anschluss konstant blieb. Die Einkommensentwicklung der Reichen entkoppelte sich anschließend ebenfalls nicht weiter.
Der Check bilanziert letztlich „falsch“, auch weil Gabriel die Schuld beim politischen Gegner sucht – obgleich es die Sozialdemokraten waren, die im Betrachtungszeitraum regierten.
Die bislang insgesamt gut 300 teilnehmenden User haben die Frage kaum kommentiert, unbenommen aller politischer Sprengkraft. Überhaupt hält sich die Bereitschaft zum Input bei allen bisherigen Untersuchungen in engen Grenzen, höchstens eine Handvoll Kommentare kommt jeweils zusammen. Möglicherweise ändert sich das demnächst – nach aktueller Planung könnte der Wahlomat über den 22. September hinaus in Betrieb bleiben.

Fakten zum Ursprung

Das ZDF hat seinen eigenen Wahlomaten, den ZDFcheck. Auch dort kann der Leser Themenvorschläge machen und sich per Kommentar einbringen. Die Unterschiede liegen im Detail: Eine Abstimmung ist nicht vorgesehen, die finale Einstufung differenzierter. Präsentiert werden die Ergebnisse aber hier wie da in multimedialen Kanälen, also in den TV-Nachrichten bzw. im ZEITmagazin.
Der Trend zu Online-Faktenchecks, die Medien, Regierungen und sogar Einzelpersonen ins Visier nehmen, kommt wie so vieles aus den USA. Als Pioniere sieht der Medienfachmann Hektor Haarkötter die Redakteure von PolitiFact, die ihre Arbeit 2007 während Obamas erstem Wahlkampf begannen. Die mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Website geht weiter als ihre deutschen Pendants. Sie stuft nicht nur den Wahrheitsgehalt ein, sondern auch, inwieweit eine Aussage zu vorherigen Äußerungen passt. Zudem beobachtet die Redaktion die Halbwertszeit von Versprechen. Über Obama ist etwa zu lesen, dass seine heutige Einstellung zur staatlichen Überwachung selbst nach „Prism“ – mit Abstrichen – den Verlautbarungen aus seinem Wahlkampf entspricht.
PolitiFact existiert bereits länger, das merkt man der Seite an. Sie wird nahezu täglich aktualisiert und beschränkt sich nicht auf Politiker – was etwa Jon Stewart, Anchorman der Satiresendung „Daily Show“, zu spüren bekam.

Kontrolle über die Kontrolleure

Eine Frage, die aus der Diskussion um das Bundesverfassungsgericht genauso bekannt ist wie aus der Graphic Novel „Watchmen“, betrifft auch die Faktenchecks: Wer kontrolliert die Kontrolleure? Das Watchblog „PolitiFact Bias” wirft dem Check-Pionier „PolitiFact” vor, eine verzerrte, voreingenommene Sicht („Bias“) auf die Politik zu haben, ob bewusst oder unbewusst. Hinzu käme schlampige Recherche.
Im Blog führen die Autoren von “PolitiFact Bias” auf, welche Details ihnen aus welchen Gründen missfallen. Das kann sachlich gerechtfertigt oder (ihrerseits) politisch motiviert sein, es verweist so oder so auf ein Problem jedes Politikchecks: Parteilichkeit. Kein Check wird sich in Gänze dem Vorwurf entziehen können, Partei zu ergreifen – dafür braucht nicht der Faktencheck der Jungen Union als Beispiel herzuhalten. Der erste kritische Punkt ist schon bei Auswahl der zu prüfenden Behauptungen erreicht, die von der politischen Brille des „Gatekeepers“ bestimmt sein kann. Daher gilt: Politiker gehören auf den Prüfstand – Checks auch.
 
Bilder: Erich Ferdinand (CC BY 2.0)