Immer stärker gerät das Mitte 2013 von Facebook initiierte Projekt Internet.org in die Schusslinie von Netzaktivisten. Hauptkritikpunkt ist der Verstoß gegen das Prinzip der Netzneutralität. Vor allem in Indien ist das Projekt hoch umstritten, zuletzt sprangen dort wegen des großen öffentlichen Drucks sogar einige Kooperationspartner ab.
Auch hierzulande schlägt Internet.org große Wellen, obwohl Marc Zuckerberg, seines Zeichens CEO von Facebook und Hauptinitiator des Projekts, lediglich geäußert hat, er könne sich internet.org auch für Europa vorstellen – allerdings in eher ferner Zukunft. Was macht dieses Projekt so umstritten, das doch eigentlich nur jenen fünf Milliarden Erdenbürgern einen Internetzugang verschaffen will, die bisher noch nicht online sind?
„Internet.org ist eine von Facebook angeführte Initiative, die Technologieführer, gemeinnützige und lokale Gemeinschaften zusammenbringt, um die zwei Drittel der Weltbevölkerung ohne Internetzugang mit dem Internet zu verbinden.“
So die Beschreibung auf der Webseite von Internet.org. Zwar sind 80 bis 90 Prozent der bevölkerten Weltregionen bereits durch 2G- oder 3G-Netze abgedeckt. Einem großen Teil der Menschen fehlen jedoch schlichtweg die Mittel, sich Internetanschlüsse einrichten zu lassen. Deshalb geht Facebook Kooperationen mit lokalen Mobilfunkanbietern ein. Der Deal: Wer sein Netz zur Verfügung stellt, wird an Internet.org beteiligt. Warum ist das umstritten?
Verstoß gegen Netzneutralität
Umgesetzt ist Internet.org als unscheinbare App für das Smartphone. In der gleichnamigen Anwendung kann der Nutzer sozusagen auf ein Netz im Netz zugreifen. Zu den verfügbaren Diensten zählen natürlich Facebook und der Facebook-Messenger sowie ein je nach Land variierendes Angebot – das können Gesundheitsservices, Wetterdienste, allgemeine Informationsangebote wie Wikipedia oder Jobportale sein. Der Clou dabei: Greift man über Internet.org auf die ausgewählten Dienste zu, werden weder Datenvolumen abgezogen noch Kosten berechnet. Diese Geschäftspraktik wird gemeinhin als Zero-Rating bezeichnet.
Hierin sehen Netzaktivisten einen groben Verstoß gegen das Prinzip der Netzneutralität. Für die Bewohner der ärmsten Regionen ist das kostenlose Angebot von Internet.org der einzig mögliche Internetzugang. Im Umkehrschluss bleibt der überwiegende Content für den Internet.org-User eine tiefschwarze Landkarte. Zu Recht hat der Einsatz von Internet.org für eine Wiederaufnahme der Netzneutralitätsdebatte gesorgt. In einer Stellungnahme widerspricht Zuckerberg dem auch gar nicht: „Für Leute ohne Internet ist ein bisschen Anbindung und wenig Sharing besser als gar nichts. Darum sind Programme wie Internet.org wichtig und können mit Netzneutralitätsregeln koexistieren.“
Das sehen die Kritiker anders. Seitdem Internet.org im Februar in Teilen Indiens zur Verfügung gestellt wurde, ging die Kampagne „Save the Internet!“ mit einem unterhaltsamen Video in die Offensive. Innerhalb kürzester Zeit gelang es den Gegnern, mehr als 2.500.000 Klicks zu generieren. Von einer derartigen öffentlichen Aufmerksamkeit können Aktivisten hierzulande nur träumen. Das vor wenigen Tagen veröffentlichte Video des Videokünstlers Alexander Lehmann mit dem provozierenden Titel „Netzneutralität tötet“ bringt es bislang trotz verständlicher Botschaft und hervorragender Machart nur auf gut 30.000 Klicks. Einen klaren Verstoß gegen Netzneutralität sieht auch Markus Beckedahl von netzpolitik.org in Facebooks Projekt: „Die Netzneutralität von anderen interessiert Facebook nicht. Sonst würde man nicht durch die eigene Monopolstellung Zero-Angebote auf den Markt schmeißen, um die eigene Marktdominanz noch auszubauen.“
Alles eine Frage der Perspektive
Als Profiteur der (noch) existierenden Netzneutralität in Deutschland und vielen anderen Ländern fällt es leicht, auf durchaus legitimen Prinzipien zu bestehen. Welch ein Horrorszenario, käme der zuständige EU-Kommissar Günther Oettinger mit seinen Plänen zur Beschränkung der Netzneutralität durch. Zwei Drittel der Weltbevölkerung genießen dieses Privileg jedoch nicht. Ihnen wird der Zugang zum Internet sogar komplett verwehrt. Kann man nun ein Unternehmen dafür an den Pranger stellen, dass es nicht mit totaler Selbstaufopferung handelt sondern große Visionen mit Geschäftsmodellen verbindet? Mitnichten!
Fünf Milliarden Menschen stellen einen riesigen Markt mit unvorstellbaren Wachstumsmöglichkeiten dar. Natürlich sehen das auch Facebook und seine Kooperationspartner so. Und wenn man ein Projekt solchen Ausmaßes angeht, stellt man als rational handelnder und gewinnorientierter Konzern auch sicher, dass Unternehmensinteressen gesichert sind. Für Facebook entsteht eine klassische Win-win-Situation. Denn auch wenn Internet.org nur eine von Facebook dominierte Sparversion des Internets ist, ist das Angebot nicht auf Dienste von reinem Unternehmensinteresse beschränkt. Angebote für Jobvermittlung, Hinweise zur Vermeidung der Ausbreitung von Krankheiten oder Informationsplattformen für Frauenrechte können die Lebenssituationen vieler augenblicklich verbessern.
Internetzugang sieht Marc Zuckerberg als Menschenrecht. Das ist paradox, denn was Internet.org den Nutzern anbietet, ist nur ein kleiner Ausschnitt davon. Aber manchmal ist ein Teil besser als gar nichts. Das ist aus europäischer Perspektive nicht immer leicht zu akzeptieren, aber wir sollten es zumindest versuchen. Internet.org verstößt trotzdem gegen das Prinzip der Netzneutralität. Deswegen sollte man viel eher dafür kämpfen, dass es bleibt, was es momentan ist: eine Übergangslösung.
Bild: Screenshot von internet.org