Ich bin dafür, dass wir die Gaskammern wieder öffnen und die ganze Brut da reinstecken.” Solche und ähnliche Posts werden aufgrund menschenverachtender Inhalte aus dem Netz gelöscht und bestraft. Hier endet das Recht auf freie Meinungsäußerung. Doch es gibt auch andere, vom Inhalt unabhängige Gründe, Beiträge in den sozialen Medien zu entfernen.

Besonders rechte Hetzer und Verschwörungstheoretiker berufen sich gern auf die Redefreiheit. Werden entsprechende Posts im Internet gelöscht, so kommt schnell der Vorwurf, es würde eine spezifische Meinung unterdrückt. Es gibt aber auch vom Inhalt unabhängige Gründe dafür, Beiträge zu entfernen. Nämlich um anderen Ansichten die Möglichkeit zu bieten, auch wahrgenommen zu werden. Provokante Posts erfahren meist mehr Aufmerksamkeit als andere und verdrängen diese daher. Um einen ausgeglichenen Dialog zu ermöglichen, kann es nun also nötig sein, das Recht auf freie Meinungsäußerung einzelner User einzuschränken um anderen dieses Recht überhaupt erst zu ermöglichen.

Um nun zu verstehen, warum Hetze im Netz nicht von der Redefreiheit gedeckt wird, müssen wir hier zuerst zwei Begriffe unterscheiden, welche in der öffentlichen Diskussion oft in einen Topf geworfen werden: die positive und die negative Redefreiheit.

Positive und negative Redefreiheit

Unter negativer Redefreiheit versteht man, dass mir niemand verbietet, meine Meinung zu äußern. Verankert ist dieses Prinzip bereits im Grundgesetz. Laut Art. 5 Abs. 1 GG hat „[j]eder […] das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern“.
Doch was ist dann positive Redefreiheit? Hierunter versteht man die Möglichkeit, seine Meinung auch tatsächlich einem Publikum zu erläutern. Nicht nur wird es mir nicht verboten zu sprechen (negative Redefreiheit), ich bekomme sogar die Gelegenheit meine Ansichten zu verbreiten. Die positive fügt der negativen Redefreiheit gewissermaßen eine öffentliche Komponente hinzu. Das ist ein Recht, welches traditionell bestimmten Berufsgruppen vorbehalten war, z.B. Journalisten, Politikern oder Professoren.

Positive Redefreiheit in den sozialen Medien

Das Aufkommen der sozialen Medien hat jedoch dieses Vorrecht verallgemeinert. Man muss nicht mehr Journalistik studiert oder sich als Politiker einen Namen gemacht haben. Um seine Meinung auf Facebook, Twitter & Co. verbreiten zu können, braucht es nicht mehr als ein Gerät mit Internetzugang. Und das vor einem immensen Publikum! Kommentare auf Beiträge berühmter Persönlichkeiten können von zigtausenden anderer User gelesen werden. Positive Redefreiheit für jedermann gewissermaßen.

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Probleme

Eigentlich ist das sehr demokratisch. Jeder kann mit seiner Meinung an einer Diskussion teilnehmen. Es entstehen aber auch Probleme. Unabhängig davon, wie reflektiert eine solche Meinung ist, bekommt meist derjenige die größte Aufmerksamkeit, der am meisten polarisiert. Provokante Posts rufen Reaktionen anderer Nutzer hervor, in Form von Antworten, Kommentaren, etc. Dies wiederum erhöht die Sichtbarkeit gegenüber anderen Beiträgen. Nach dem Prinzip: Gehört wird, wer am lautesten schreit. Besonders rechten Hetzern und Verschwörungstheoretikern spielt das in die Karten. Besonnene Ansichten hingegen werden häufig gar nicht wahrgenommen.

Gerechtigkeit und Verteilungsgleichheit

Gewisse Posts verdrängen also andere. Polarisierende Kommentare oder Beiträge werden öfter selbst kommentiert oder geliket. Dadurch werden diese Posts anderen Nutzern häufiger angezeigt. Die Sichtbarkeit von verschiedenen Beiträgen ist also keinesfalls gleich.

Zurück zur Redefreiheit. Die Gleichverteilung der positiven Redefreiheit würde nun bedeuten, dass jeder gleich viel Aufmerksamkeit, gleich viel öffentliche Plattform bekommt. Bezieht man das auf die neuen Medien heißt das, dass nicht nur jeder Beiträge veröffentlichen darf, sondern dass diese auch von demselben oder zumindest einem gleich großen Publikum gelesen werden.

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Warum Hetze im Netz nichts mit Redefreiheit zu tun hat

Ob nun eine Gleichverteilung positiver Redefreiheit überhaupt wünschenswert ist, ob man tatsächlich jeder Meinung eine Plattform bieten sollte, steht auf einem anderen Blatt. Es gibt auch bestimmt Fälle, in denen man die (positive) Redefreiheit legitimer Weise einschränken kann. Man denke z.B. an Verleumdung und Beleidigung. Hier geht es jedoch um die Argumentation vieler Hetzer und Verschwörungstheoretiker, welche stets erklären, sie würden ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ausüben.

Im Gegensatz zur negativen Redefreiheit konkurriert nun jedoch mein Recht auf positive Redefreiheit mit dem Recht aller anderen. Wie wir gesehen haben, verdrängen Posts sich gegenseitig. Wer also im Übermaß reißerische und provokante Beiträge postet, der übt nicht nur sein Recht aus, er schränkt gleichzeitig das Recht aller anderen ein.

Und genau hier liegt das Problem! Rassisten und Verschwörungstheoretiker machen nur einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung aus, sind aber im Internet sehr präsent, da ihnen dort eine Plattform gegeben wird, die sie sonst nicht haben. Sie sind deutlich überrepräsentiert. Werden dementsprechende Beiträge also gelöscht, so ist das keineswegs eine ungerechtfertigte Einschränkung der Redefreiheit, es ist nur eine Maßnahme, auch anderen dieses Recht zu ermöglichen. Nicht eine Meinung wird verboten, es wird ihr lediglich die Plattform entzogen, um auch anderen Ansichten die Gelegenheit zu geben, wahrgenommen zu werden. Bildlich gesprochen beruhigt man de Schreihals, um auch andere zu Wort kommen zu lassen.

Das Entfernen bewusst provokanter Beiträge ist also keines Falls eine Zensur, es schafft lediglich Platz für einen vielseitigen und offenen Meinungsaustausch. Wer für sich positive Redefreiheit einfordert, muss auch allen anderen dieses Recht gewähren.

Titelbild: hass von dinokfwong via pixabay, editiert: politik-digital CC0 public domain

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