Hamburg im August. Strahlende
Sonne, sommerliches Vergnügen. Einkaufslustige Hanseaten und typische
Touristen auf dem Rathausplatz. Blicke wandern hinüber zum
Jungfernstieg, auf das glitzernde Nass der Binnenalster und bleiben
erstaunt stehen: Auf dem Filz der Hansestadt.

Zumindest
kurzweilig war ein aufgetürmter Filzberg ganz augenscheinlich zu sehen.
Ein Haufen von 44 grauen Filzpantoffeln, eines für jedes Regierungsjahr
der SPD, bildete direkt vor dem Eingang des Regierungssitzes einen
Blickfang der ganz besonderen Art. Die kunstvolle Beschmückung ihres
Rathausvorhofes verdankten die Hamburger den Jungen Liberalen. Eine
Petitionsübergabe im hanseatischen Stil. Der JuLi-Bundesvorsitzende
Daniel Bahr wurde anlässlich der ungewohnten Auftürmung von Schuhwerk
sogar angezeigt.

Wäre der Filz doch immer so sichtbar. Dann hätte sich die Mutterpartei FDP
ihre "Filz-Hotline", bei der Anrufer kräftig Meinungen und Verdächtigungen abgeben
sollen, sparen können. Und deren Spitzenkandidat, Flottenadmiral a.D. Rudolf
Lange
, hätte sich selbst einigen Ärger durch die Telefonaktion erspart.
Lange hatte zuletzt mit mehrdeutigen Aussagen in Richtung aller Seiten der politischen
Landschaft nur eines klargemacht: Die FDP will um jeden Preis mit ins Boot.
Selbst wenn dies einen "Richter Gnadenlos" Schill
als ersten Offizier neben Wunsch-Kapitän Ole
von Beust
bedeuten würde. Lange gerät so zunehmend in die Rolle des Leichtmatrosen.
Die letzten Umfragen lassen die FDP nicht nur um ihr Image als liberale Partei,
sondern auch noch um das Ergattern des begehrten Segelscheins bangen. Die Fünf-Prozent-Klippen
kommen gefährlich nah. Letztlich gar Landurlaub für den Admiral?

Die Filz-Schuhe
waren noch nicht aufgetürmt, da hatte eine andere Schar von
Wahlkämpfern einige Meter vom Rathaus entfernt eine wahrlich zündende
Idee. Auf das die Köpfe rauchen, mussten sich die Aktiven der
Regenbogen-Gruppe gedacht haben. Die einstigen Verbündeten der
Grünen-Alternativen Liste (GAL) rauchten in aller Öffentlichkeit
Cannabis und verteilten die Joints an vorübergehende Jugendliche. Die
Rauchzeichen der Regenbogen-Abgeordneten sind wenigstens in der
Hamburger Staatsanwaltschaft erkannt worden. Ermittlungen wurden sofort
aufgenommen.

Apropos Rauchzeichen. Die Indianer der modernen Art setzen auf digitale Technik:
Jürgen
Hunke
, der selbsternannte Häuptling der Statt-Partei, will mit modernsten
Wahlkampfwaffen den Nichtwähler für seine Protest- und Anti-Filz-Partei gewinnen.
Seine diversen Internet-Seiten bieten u.a. das Spiel Egg-O-Shooter. Ein heiteres
Nichtwählerklatschen per Eierwurf. Die Wahlplakate zeigen das Konterfei Hunkes
und ein Stichwort: Wohlfühlen. Natürlich nur ohne den Filz. Ohne die "Filzokraten".
Emotionen und Internet. Die Statt-Partei setzt auf die Unentschlossenen. Die
stellen mit 37 Prozent immerhin die größte Gruppe innerhalb der Hamburger Wählerschaft.
Für die Hamburger Indianer und ihren Häuptling bleibt die Sache spannend bis
zuletzt. Und einige Filz-Denkmale bleibt es noch enthüllen, um die Wählerschaft
zu motivieren – derzeit schwächelt die Statt-Partei bei einem halben Prozentpunkt.

Doch zurück zum Rathaus. Bürgermeister Ortwin
Runde
und seine SPD setzen auf Wirtschaftskompetenz. Der frischgebackene
Innensenator Olaf Scholz soll die Sicherheitsflanke decken. Sein forsches Vorgehen
in Sachen Einsatz von Brechmitteln zur Überführung von Drogendealern stößt auf
parteiübergreifenden Konsens und wird von knapp zwei Dritteln der Wählerschaft
getragen. Trotzdem gewinnt die SPD laut Umfragen nicht an Stimmen. Das Wählerpotential
konnte noch nicht aktiviert werden, eine hohe Wahlbeteiligung ist für die SPD
aber äußerst wichtig für den Wahlsieg. Gerade weil die Wähler dem Thema "Innere
Sicherheit" eine außerordentliche Stellung zuordnen, sehen sich viele ehemalige
SPD-Wähler bei einem Ronald Schill besser aufgehoben. Der Wahlkampf der größten
Partei ist bisher wenig aufsehenerregend. Zudem sperren sich die Vorzeigewahlkämpfer
Runde und Scholz vor einer direkten Konfrontation mit dem medienwirksamen Schill
– der SPD-Stuhl in Diskussions- und Elefantenrunden bleibt unbesetzt. Ein Lichtblick
in der tristen Wahlkampagne scheint die jüngste Attacke von Bundesgeschäftsführer
Franz Müntefering zu sein: Der geht "Richter Gnadenlos" mit markigen Worten
an. Und auch seine Hamburger Genossen setzen ganz plötzlich auf Nahkampf: Eine
brandneue Plakatreihe zeigt Schill mit einer Kasperpuppe Ole von Beust an der
Hand. Die CDU an der Strippe von Schill. Für die Sozialdemokraten gilt nun alles
oder nichts. Die SPD-Wählertruppen müssen aktiviert werden, um die Vormacht
im Rathaus nicht zu verlieren – da kommt Polemik gerade recht.

Weniger ruhig gingen es bis dato die GALier an. Mit ihrer Wahloffensive schossen
sich Krista
Sager
und ihre Grünen von Anfang an auf den "Feind" Schill ein. Ein lohnendes
Ziel: Die GAL bleibt in den Umfragen konstant zweistellig. Trotz allem bescheinigten
Trendforscher der gesamten Regierungskoalition jüngst mangelnde Kreativität,
fehlendes Niveau und einen Werbestil der 80er-Jahre. Immerhin würden Runde und
Co. damit unbeabsichtigt deutliche Zeichen setzen: Damals war die CDU jahrelang
stärkste Fraktion – die SPD koalierte 1987 mit der FDP. Und warum nicht weiter
in der Vergangenheit schwelgen: Einst machte eine ganze Brigade von Künstlern
und Kulturmenschen gegen den seligen F.J. Strauß und für die Brandt-Schmidtsche
Sozialdemokratie mobil. Auch hier wird in die alte Kiste gegriffen: Rund 60
Hamburger Prominente haben jüngst eine Anti-Schill-Koalition gegründet. Gegen
Rechte Propaganda und deren Handlanger und für die SPD. Natürlich nur, weil
die Sozialdemokraten sich so emsig für die hanseatische Kulturszene einsetzen.
Es leben die alten Zeiten.

In den kritischen
Augen der Werbestrategen schneidet die CDU mit dem ausdrucksstarken
Antlitz eines ehrgeizig dreinblickenden Ole von Beust deutlich
positiver ab. Die Großplakate der Christdemokraten zeigen lange
Zahlenreihen. Jahreszahlen in denen eine SPD-geführte Regierung an der
Macht war. Aus eigener Kraft scheint der Wechsel aber nicht zu
gelingen. Für von Beust wird der 23. September entscheidend. Er
verknüpft sein politisches Schicksal mit dem Wahlsieg.

Der Mann, der ihm
die Krone des Bürgermeisters auf den Kopf zaubern könnte, ist Ronald
Barnabas Schill. Dessen Partei Rechtsstaatlicher Offensive (PRO) legt
von Monat zu Monat zu. Ohne großen wahlkämpferischen Aufwand siegen
Schills Truppen wohl von ganz allein. Mittlerweile stellen sie nach
Umfragen die mit Abstand drittstärkste Kraft. Schill profitiert von
einer Hysterie namens "Innere Sicherheit", die an der Hamburger
Waterkant seit langem ihre Opfer fordert. Die an sich drögen Vorträge
des PRO-Spitzenkandidaten in Hamburgs Bezirken sind vor allem durch die
Horden der schimpfenden Anti-Rechts-Demonstranten immer wieder für eine
Pressemeldung gut. Ob Ignorieren oder Bekämpfen – ein wirksames Mittel
gegen Schill wurde seitens der Gegner nicht ausgemacht. Fraglich ist,
ob eines existiert.

Filz und "Innere
Sicherheit" sind auch für den Endspurt die Knüller des Hamburger
Bürgerschaftswahlkampfs. Ob die Themen Auswirkungen auf die
Wahlbeteiligung haben werden, ist aber ungewiss. Vorsorglich hat die
Bürgerschaft einen Etat bereitgestellt: 250.000 Mark, um mit
prominenter Hilfe für Unterstützung zu sorgen.