Das knappe Rennen der Präsidentschaftskandidaten in den Vereinigten Staaten befördert eine Idee ins Rampenlicht, die sich „vote-swapping“ (to swap = tauschen, wechseln) nennt. Über Vermittlungswebseiten finden dabei Anhänger verschiedener Bewerber zueinander, um ihre Wählerstimmen über die Grenzen der einzelnen Bundesstaaten hinweg zu tauschen.

Der College-Student Michael Holms aus Florida hat ein Problem. Als überzeugter Anhänger von Ralph Nader, will er dem Verbraucheranwalt und Präsidentschaftskandidaten durch seine Wählerstimme mehr politisches Gewicht verschaffen. Aber sein Alptraum wäre es, wenn er damit dem von ihm ungeliebten Republikaner George W. Bush indirekt zum Wahlsieg verhelfen würde. Ein Scheinproblem? Keineswegs, denn der Ausgang der Präsidentenwahlen 2000 stand und fiel mit den abgegebenen Stimmen für Nader. Gerade diese fehlten dem demokratischen Kandidaten Al Gore letztlich zum Wahlsieg. In diesem Jahr könnten sie John Kerry den Sieg kosten.

Der Ausweg

Für Michael Holms heißt der Ausweg aus diesem Dilemma „vote-swapping“. Hinter dem Schlagwort verbirgt sich eine Partnerschaftsvermittlung der politischen Art, die schon bei der letzten Wahl für Wirbel sorgte und sich nun anschickt, möglicherweise Einfluss auf die Präsidentschaftswahl 2004 auszuüben.

Die Prozedur

Das Verfahren ist simpel. So registriert sich Michael Holms dieses Jahr unter Angabe seines Bundesstaates und seiner Wahlpräferenz bei einer der sogenannten „swapping-sites“ (seit dem 20. September 2004 ist das Joint Venture
www.votepair.org online, eine weitere findet sich unter
www.defeatbushagain.com). Dort wird ihm vom Computer ein Wähler aus einem anderen Staat vermittelt, der sich auf der Webseite als Kerry Anhänger registriert hat. Der Kniff dabei ist folgender: Der Anhänger Kerrys wählt in einem der sogenannten „safe states“. In diesen ist der Sieg für Bush oder Kerry bereits derart absehbar, dass er das Ergebnis mit seiner Stimme nicht mehr beeinflussen kann. Daher „tauscht“ er nun mit Michael Holms seine Präferenz und wählt am Wahltag dessen Favoriten Ralph Nader. Holms im „swing state“ Florida gibt dafür John Kerry seine Stimme.

Vorteile für beide Tauschpartner

Beide Tauschpartner profitieren. Kerry hat in einem der entscheidenden „swing states“ eine zusätzliche Stimme erhalten. Michael Holms hingegen kann indirekt doch Nader wählen und muss nicht befürchten, Steigbügelhalter des politischen Gegners zu werden.

Das System funktioniert theoretisch sowohl im linken wie auch im rechten Lager, da neben den beherrschenden Kandidaten der Demokraten und Republikanern, noch Bewerber kleiner Parteien („third partys“) um Stimmen werben und damit für einen „vote-swapping“ in Frage kommen. Bei den Konservativen gilt dies für die Michael Peroutka (Constitution Party) und Earl Dogde (Prohibition Party) während für das linke bzw. liberale Lager neben Ralph Nader noch David Cobb (Green Party), Walt Brown (Socialist Party) und Michael Badnarik (Libertarian Party) landesweit antreten. Bisher wurden aber vornehmlich linksorientierte Swapping-Sites für Kerry eingerichtet, die sich unter dem Motto „Anybody but Bush!“ hauptsächlich an Nader Wähler, die eindeutig stärkste dritte Kraft, richten.

Effekt nicht abschätzbar

Dennoch kann noch niemand den tatsächlichen Effekt des digitalen Stimmentausches für die kommende Präsidentschaftswahl vorhersagen. Bei den Wahlen 2000 wurden nach Schätzungen der Webseitenbetreiber jedenfalls insgesamt 16.024 digital vermittelte Tauschaktionen durchgeführt. Davon kamen 1.400 Teilnehmer aus dem Bundesstaat Florida. Das mag zunächst wenig scheinen. Wenn man sich aber vor Augen führt, dass im Jahre 2000 Florida, als umstrittenster „swing state“, von George W. Bush mit knapp über 500 Stimmen gewonnen wurde, dann bekommt so eine Vermittlungsquote plötzlich Brisanz. Die diesjährige Wahl verspricht nämlich ähnlich hauchdünn auszufallen. Digitales „vote-swapping“ könnte also wahlentscheidend wirken.

Streit um ethische und rechtliche Probleme

So alt wie die Webseiten selbst, ist aber auch der Schlagabtausch darüber, ob „vote-swapping“ überhaupt ethisch wie rechtlich zulässig ist. Befürworter wie die ACLU (American Civil Liberties Union) pochen darauf, dass es weder verwerflich noch verboten sei, taktisch zu wählen. Diese Praxis werde selbst von Kongressabgeordneten gepflegt, die munter nach dem Motto „Ich stimme für dein Gesetz, wenn du mein Vorhaben unterstützt!“ (sog. „logrolling“) verfahren. Weiterhin führen sie ins Feld, dass dem tatsächlichen Wählerwillen am treffendsten entsprochen werde. Dieser wolle nämlich seinen favorisierten Kandidaten unterstützen, ohne dem politischen Gegner direkt in die Hände zu spielen, weil dem aussichtsreichen politisch näher stehenden Kandidaten am Ende die Stimme fehlen könnte. Sich in politischer Hinsicht abzusprechen, sei ja wohl auch durch das First Amendment der amerikanischen Verfassung zum Schutz der freien Rede gedeckt.

Für die Gegner des „vote-swappings“ handelt es sich bei derartigen Internetabsprachen schlichtweg um Manipulation des Wahlergebnisses durch unethisches Handeltreiben mit Wählerstimmen. Die Ablehnung ging bei den letzten Präsidentschaftswahlen so weit, dass der oberste kalifornische Wahlbeamte Bill Jones die in Kalifornien ansässige Tauschseite www.votexchange2000.com wegen angeblichen Wahlbetrugs und Verstoßes gegen mehrere Wahlvorschriften vor der Abstimmung vorübergehend schließen ließ. Die anschließende juristische Auseinandersetzung vor einem Bundesgericht verlor er allerdings. Dennoch haben unter anderem die Wahlkommissionen der Bundesstaaten Wisconsin und Washington für die aktuelle Wahl verlautbaren lassen, dass sie die Tauschpraxis in ihrem Bundesstaat für gesetzeswidrig halten.

Keine Handhabe

Eine effektive Handhabe gegen derartigen Stimmentausch bleibt den Behörden jedoch kaum, da die Webseiten häufig nicht ihrem gerichtlichen Einflußbereich unterliegen.

Und die einzelnen Vereinbarungen der Wähler („vote pairings“) lassen sich nicht fassen. Derartige „Verträge“ sind weder rechtlich bindend, noch kann man wegen des Wahlgeheimnisses überprüfen, ob sich tatsächlich beide Partner an ihre Absichtserklärungen aus dem Internet gehalten haben.

Dieses Problem bleibt allerdings auch Michael Holms nicht erspart, wenn er seine Stimme am 2. November vertrauensvoll John Kerry geben sollte.