Taugt die Wahl in England als Testlauf für die Bundestagswahl 2006? Ein Vergleich der Online-Angebote in England mit den Online-Strategien der hiesigen Parteien zur vergangenen Bundestagswahl sei erlaubt.

In Deutschland fand beim Online-Wahlkampf der Parteien 2002 nur eine einseitige politische Online-Kommunikation mit den Bürgern statt. Eine netzbasierte politische Interaktion war nur ansatzweise erkennbar. Der britische Online-Wahlkampf 2005 spricht die Bürger tatsächlich an. Ihnen werden vielfältige Tools zur Kommunikation und zum tatsächlichen Austausch geboten. Die potentiellen Wähler sind zielgruppenspezifische Zielgruppen – offline und ganz gewiss auch online. Es werden nicht nur die jungen, überdurchschnittlich gebildeten, aktiv und in Großstädten lebenden, politisch interessierten, internetaffinen Wähler angesprochen. Nein, es finden in der Tat Interaktionen zwischen Bürgern und Politik statt. „Es ist der modernste Wahlkampf, den Europa je gesehen hat“, schreibt die Financial Times Deutschland. Englands Parteien durchleuchten erstmals private Daten Unentschlossener und ködern sie mit Direktmarketing.

PoliticsOnline.com bietet im Netz eine Übersicht über die zentrale Mobilisierungs-Plattform durch die Kopplung von Online- und Offline-Welt im britischen Online-Wahlkampf 2005. Es gibt theoretisch viel mehr Möglichkeiten, technisch anspruchsvollere Ideen umzusetzen. Aber die hier angebotenen Tools glänzen ohne viel Schnickschnack. Visionen und Illusionen, um mehr Aufmerksamkeit zu erzeugen, sucht man vergeblich.


Reale Politik, reale politische Kommunikation und reale Angebote sind Trumpf und verfolgen nur ein Ziel: den potentiellen Wähler.

Ganz anders sah es vor drei Jahren in Deutschland aus. Die politische Kommunikation blieb im letzten Bundestagswahlkampf im Internet nur ein Spiegel der „Offline-Welt“. Innovative Formen politischer Kommunikation gab es kaum. Die Onlinebeziehungen zwischen potentiellen Wählern und Parteien steckten beim vergangenen Bundestagswahlkampf noch in den Kinderschuhen. Eine Untersuchung der Autorin zu den im Bundestag vertretenen Parteien kommt zum Ergebnis: „Die Potentiale einer möglichen Onlinebeziehung zu Bürgern, potentiellen Wählern und möglichen Unterstützern, werden keineswegs ausgeschöpft. Dabei entgingen den Parteien wertvolle Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme und zum Beziehungsaufbau mit ihren Zielgruppen. Eine Metakommunikation fehlte fast ganz und gar. 2002 nutzen die Parteien, um mit ihren Online-Kampagnen Erfahrungen zu sammeln und die eigenen Leute an die neuen Möglichkeiten heranzuführen. Es war gleichzeitig der erste richtige Online-Wahlkampf und ein Testlauf für den Wahlkampf der Zukunft. Die modernen Wahlkampfinstrumente, wie beispielsweise politische Botschaften via „Rapid Response“ zu verbreiten, spielten allerdings auch schon eine Rolle.“


„State of the art“ in Sachen Internet sowie Politik und Public Affairs

„Die Politikprofis arbeiten inzwischen nur noch sehr zögerlich mit dem Internet, weder für die web-gestützte Kampagnenorganisation noch für Blogs und andere Interaktivitäten gibt es derzeit einen Schub“, sagt Dr. Marco Althaus, Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Public Affairs (DIPA) in Potsdam. „Online waren die letzten Wahlkämpfe, auch momentan im großen Schlagabtausch in NRW, langweilig. Die Parteileute trauen der Sache nicht, sie wollen die Kontrolle nicht loslassen und verzichten dann lieber auf Interaktivität. Welche Power dahinter steckt, haben wir eigentlich schon bei den Hartz-Protesten gesehen, die mit übers Netz organisiert wurden. Was fehlt, ist eine systematische Auseinan-dersetzung mit den Anwendungen im Politikmanagement, die in Amerika ihre Wirkmächtigkeit bewiesen haben“, behauptet Althaus.

Doch generell ist der ganze eCampaigning-Bereich in Großbritannien fortgeschrittener als hierzulande. Insbesondere auf regionaler und Wahlkreisebene. Die Briten lernen schneller von den amerikanischen Wahlkampf-Strategen und scheinen der Technik gegenüber affiner und experimentierfreudiger eingestellt. Die Briten lernten hier schneller von den US-Strategen, experimentierten offener mit der Technik des eCampaigning und probierten in Wahlkreisen und Regionen aus, was geht. Dass dies hierzulande kaum geschieht, sieht Althaus auch als einen Beleg für den Mangel an beruflichen Aus- und Weiterbildungsangeboten und ein Defizit an Professionalität.

Auch für zukünftige Wahlkämpfe in Deutschland wird eCampaigning eine Rolle spielen. Für Blairs Erfolg oder Misserfolg wird das in den britischen Gesamtwahlkampf integrierte eCampaigning das entscheidende Instrument sein. Seine Chancen stehen nicht schlecht: Trotz heftiger Irak-Debatte, trotz Attacken seitens der Opposition sowie unmotivierter Labour-Anhänger. Doch die Labour Wahlmaschine konzentriert den Wahlkampf thematisch auf die Wirtschaft. Und das ist nicht unbegründet, denn die britische Wirtschaft boomt seit acht Jahren. Ein Konjunktureinbruch ist derzeit nicht absehbar. Auch die Arbeitslosigkeit ist in England Jahr für Jahr gesunken. Doch fällt die Mehrheit für Blair zu gering aus, dürften seine Tage als Premier gezählt sein. Die parteiinternen Rivalen stehen schon bereit.

Im Vergleich mit der Herkulesaufgabe einer deutschen Regierung, sind die Probleme in Großbritannien allerdings luxuriös. Was bleibt? „Abwarten und Tee trinken“ – ein den britischen Tugenden anhänglicher Spruch und das herkömmliche Motto zur Gelassenheit und langem Leben.