Einer der offensichtlichen Trends des Wahljahres 2004 ist die Personalisierung („Costumizing“) von Internetangeboten. Der Aufbau von Interessenten-, Sympathisanten- und Aktivisten-Netzwerken ist in Zeiten geringer Parteibindung und flexibler Wähler ein entscheidendes Einsatzfeld von Wahlkampf-Homepages (vgl. http://www.gopteamleader.com/). Hierbei entstehen Datenbanken mit E-Mail-Verteilern, über die Werbe-, Fundraising- oder Mobilisierungsaktionen ablaufen und die in Zukunft umso bedeutsamer werden, je mehr Wähler Internet und E-Mail nutzen.

Politische Homepages werden häufig besucht von Jugendlichen, jungen Berufstätigen, politisch hoch Interessierten oder Parteianhängern; also von einer begehrten Klientel. Um diese Multiplikatoren bestmöglich in die Kampagne zu integrieren, versuchen amerikanische Internetwahlkämpfer nutzerspezifische Angebote zu schaffen. Die Kampagnen erfragen möglichst viele persönliche Informationen über den Nutzer, dessen favorisierte politische Themen oder auch seine Hobbies.

Die Rekrutierung und Mobilisierung von volunteers, also von freiwilligen Helfern, spielen für Politik-Kampagnen in den USA, wo es keine formelle Parteimitgliedschaft gibt, eine wichtige Rolle. Auch das Internet wird für diese Aufgabe effektiv eingesetzt. Die über das Internet rekrutierten volunteers werden zum einen in der virtuellen Welt aktiv und versenden beispielsweise Werbe- und Rekrutierungs-E-Mails an Freunde oder Bekannte, schalten „Banner-Ads“ auf der eigenen Homepage ein, nehmen an politischen Online-Foren und Chats zu Gunsten des Kandidaten teil, nehmen Recherchen, Gegner- oder Medienbeobachtungen im Internet vor oder betreuen eine regionale Homepage der Kampagne. Zum anderen werden sie auch für Aktivitäten in der echten Welt mobilisiert und downloaden Poster, die sie an schwarzen Brettern etwa in Schulen und Universitäten aufhängen, drucken Flugblätter und Positionspapiere aus und verteilen sie, telefonieren Wählerlisten ab oder helfen bei Wahlkampfveranstaltungen.

Die Kommunikation zwischen der Kampagne und den volunteers läuft dabei zum einen über die zentrale Versendung von E-Mails mit konkreten Aktionsvorschlägen, Argumentationshilfen, Terminen und Download-Möglichkeiten. Zum anderen sind viele US-Kampagnen auch um eine regionale Gliederung ihrer online volunteers bemüht und bilden so genannte e-precincts. Als „E-Captains“ (Demokraten) oder als „Team Leader“ (Republikaner) werden die Nutzer instruiert einen virtuellen Wahlbezirk zu erstellen („E-Precinct“) – Informationslisten über Online-Freunden, Familienangehörigen oder Nachbarn. Der Captain oder Leader erhält dann „exklusive“ Kampagneninformationen und Hintergrundberichte, die er nach eigenem Gusto an die Unterstützer in seinem Wahlkreis weiterverteilen soll. Zugleich übermittelt ihm die Kampagne in regelmäßigen Abständen konkrete Aktionsidee und –vorschläge. Gerade bei der Einbindung von Freiwilligen erweisen sich konkrete Anreizelement und visuell sichtbare Rankings als nützliches Instrument einerseits den Erfolg von Mobilisierungsaktionen zu messen und andererseits auch die persönliche und individuelle Motivation der Freiwilligen zu steigern. Die Bush-Kampagne führt bspw. öffentliche Online-Rankings, wer die meisten Freiwilligen registriert, die häufigsten Talk-Radios angerufen, E-Mail-Adressen von Freunden eingetragen oder Briefe an lokale oder überregionale Zeitungen geschrieben hat. Alle Kampagnenseiten bieten eine Rubrik „Volunteer“ oder „Supporter of the Day“, wo freiwillige Unterstützer mit Foto und Kurzbeschreibung abgebildet werden.

Für die Organisation von Grassroots-Politik erweist sich die soziographische und geographische Einbindung von Interessierten als wichtiger Faktor. Nach Berichten des Magazins „American Demographics“ beteiligten sich 2003 über 3 Millionen Amerikaner an so genannten „social networking sites“. Meetup.com ist eines der prominentesten Online- Angebot und wird von unterschiedlichen politischen Kampagnen genutzt. Meetup vernetzt miteinander fast 500 000 Besucher zu unterschiedlichen Themen von Star Trek bis Häkelkurs. Es schafft für Gleichgesinnte einen virtuellen Treffpunkt, wo man dann individuelle und reale „meet ups“ in Bars oder Kaffees in nahe gelegenen Orten vereinbaren kann. Die Meetup-Mitglieder erweisen sich gerade für politische Kampagnen von unschätzbarem Nutzen: Sie ergreifen selbst die Initiative. Durch Planen von Events, Gewinnung von Neumitgliedern schaffen sie kostenlose Informationskanäle in der Familie, bei Nachbarn oder Freunden. Politische Kampagnen balancieren so fehlende Parteistrukturen durch diese „self-organized local groups“ aus. www.meetup.com

Neben den informationspolitischen und organisatorischen Aspekten dominiert natürlich die Intention zum Spendensammeln in diesem virtuellen Wahlkreis: Wer als verantwortlicher E-Captain bei den Demokraten $100 sammelt, erhält einen speziellen Kampagnenaufkleber, bei $10.000 ein telefonisches Briefing des Parteivorsitzenden, für $50.000 einen Tisch für zehn Personen anlässlich einer exklusiven demokratischen Präsidentschaftsveranstaltung und bei $100.000 oder mehr ein „Special Boston Democratic Convention Package“ inklusive eines privatem Empfangs mit dem demokratischen Spitzenkandidaten während der Nominierungsveranstaltung.

Eine andere Form der Geldgewinnung ersann die Dean-Kampagne. Sie stellte einen Beitrag Deans mit seiner Frau online und bat die Unterstützer, die Audio- oder Videofile herunterzuladen und auf DVD zu brennen. Über einen zentralen Verteiler wurden die fertigen DVDs oder Videos dann an Wähler verteilt.

„Blogging“- Zwischen Klatsch und harten Fakten

Auf das Gefühl der direkten Einbindung bauend rufen manche Kampagnen Bürger auf, Neuigkeiten, Beobachtungen oder auch interessante Ideen als „citizen reporter“ auf den Kampagnenseiten zu berichten. Als besonders erfolgreiches Instrument erweist sich hierzu ein „Blog“. Weblogs sind persönliche Sites, die eine Liste von kommentierten Links zu anderen Web-Sites enthalten – eine Mischung aus Newsgroup, Messageboard und privater Homepage. „Wir leben nicht mehr in einem 24 Stunden Nachrichten- Kreislauf. Es ist ein 15-Minuten Kreislauf, weil wir real-time Konversationen mit Menschen haben. Fünfzehn Minuten entspricht der Zeit, die man für das Schreiben einer 200-Worte umfassenden Nachricht und ihr Hochladen in das Internet benötigt“, formuliert es ein „Blog-Master“ einer Kampagne. Die erfolgreichen Blogs ermöglichen eine eigene Kampagne mit einer loyalen Anhängerschaft. Diesen „Instant Influence Mechanism“ der Dean-Kampagne lasen bspw. täglich rund 35.000 Menschen – auch die Bush- und Kerry-Kampagne erreichen ähnliche Zugriffszahlen.

Zum ersten Mal erhielten prominente „Blogger“ die Möglichkeit, die nationalen Parteiveranstaltungen (Conventions) live zu verfolgen. Sie wurden wie Pressevertreter behandelt und erhielten speziellen Zugang zu Verantwortlichen und Politikern. Die amerikanischen Kampagnen begreifen Blogs als den verlängerten Fortsatz der bekannten Spin-Rooms: in den Diskussionen der Blogs verfestigen sich Überzeugungen, bilden sich Meinungen und potenzieren sich Ansichten. In dem sicheren Wissen, dass amerikanische Journalisten tägliche Leser der bekanntesten Blogs sind, erhöht diese neue Form der politischen Kommunikation auch die Einfluss- und Rückkopplungsmöglichkeiten mit den eher traditionellen Medien.

Blogging ist eine schnell wachsende Informationsquelle im Internet. 2 Millionen Menschen nehmen weltweit an „blogging“ teil. 17% der Amerikaner kennen den Term „blog“ und 5% der amerikanischen Erwachsenen haben schon einmal ein Blog gelesen. Der durchschnittliche „Blogger“ ist jung oder mittleren Alters, männlich und wohlhabender als der durchschnittliche Amerikaner. Als Schlüssel zum Erfolg im „Blogging“ werden angesehen:

  • Der Blog muss authentisch wirken. Sie werden nicht angenommen, wenn sie als Instrument für das „spinning“ wahrgenommen werden.
  • Blogs sollten eine einfache Nutzung ermöglichen.
  • Blogs sollten bei anderen Blogs mitbeworben bzw. in eine Liste eingetragen werden.
  • Sie dürfen nicht der einzige Bestandteil einer Online-Community-Building-Strategie sein.
  • Es müssen eine klare Strategie und Regeln im Umgang mit Personen („Trolls“) existieren, die Links und Nachrichten mit unpassendem Inhalt senden.
  • Schnelle Reaktionszeit der Kampagne wird erwartet.

Neben den Kampagnen sind folgende Blogs erfolgreich:

Mario Voigt war Wahlkampfbeobachter der Konrad-Adenauer-Stiftung. Er arbeitet am Zentrum für Politische Kommunikation Jena und schreibt seine Doktorarbeit ueber den Präsidentschaftswahlkampf in den USA. Voigt ist Mitbegründer von www.poli-c.de .