In 299 bundesweiten Wahlkreisen wird gewählt. In einer wöchentlichen Kolumne heftet sich politik-digital.de für die verbleibende Zeit bis zur Bundestagswahl an die Fersen eines jungen Direktkandidaten im Wahlkreis 7: Berichte und Eindrücke sowie Banales bis Kurioses des Stimmenfangs im Wahlkampf vor Ort.

 

Es ist Wahlkampfsommer in deutschen Landen – so auch im schleswig-holsteinischen Landkreis Pinneberg, Wahlkreis 7 im Register des Bundeswahlleiters, nur wenige Autominuten von der Metropole Hamburg entfernt. Überregionale Bekanntheit genießt der Wahlkreis durch seine weltberühmten Rosen, die weltweit unerreichte Dichte an Baumschulen, den Wohnsitz von Blödelbarde Mike Krüger und schließlich die Zugehörigkeit der Insel Helgoland.

Besonders bibelfest sind sie nicht, diese Norddeutschen an der Waterkant, sagt der Volksmund. Im Pinneberger Wahlkampf kämpfen jedoch David gegen Goliath: Junger frischer Kandidat gegen erfahrenen Bundestagsabgeordneten. Ein Szenario, das diesmal auf ungewöhnlich viele Wahlkreise im Vorfeld des 15. Deutschen Urnenganges zutrifft und die "Wahlkampfsuppe" nach Meinung der Wahlkampfmanager und Spin-Doctors erst so richtig schmackhaft macht.

Ole SchröderDer Mann, der Kandidat, der Wahlkämpfer, den wir in den kommenden Wochen begleiten werden, heißt Schröder. Ja, genau wie der Bundeskanzler. Allerdings nicht Gerhard, sondern Ole, Dr. iur.. Die unfreiwillige Namensvetterschaft wird natürlich für den Wahlkampf genutzt:
"Schröder – Der Neue für Berlin" prangt auf Plakaten, Kugelschreibern und Visitenkarten. Eben die kleinen Dinge zählen. Als Neuling und Kandidat der Opposition (CDU) kann eine witzige Präsentation der entscheidende Elfmeter sein, so hofft man im Wahlkampfteam des Kandidaten.

Wahlentscheidende Vorurteile

Schröder ist 30 Jahre jung. Jugend kann ein Handicap im Wahlkampf sein, wenn es durch die Floskeln "frisch von der Uni" und "ohne Berufserfahrung" flankiert wird, lehrt die Praxis. Schröder ist Anwalt mit kurzzeitigem Einblick ins Berufsleben – der Wahlkampf hat ihn wieder aus dem Berufsalltag gerissen. "Nicht noch ein Jurist", stöhnt der eine oder andere auch innerhalb der eigenen Partei. Der berühmte schlechte Ruf des Advokatenstandes. Solche mehr oder weniger wahlentscheidenden Vorurteile begegnen dem Kandidaten en masse auf dem Weg zur Gunst des Wählers – insbesondere beim jüngeren Publikum.

Da ist der engagierte Friedenskämpfer, Schüler, Zwanzig Jahre, für den Politiker allesamt unmoralische korrupte Bonusmeilenverwerter sind. Die verbalen Anschläge auf die vermeintliche Charakterfestigkeit des Volksvertreters in spe tätigt der junge Mann im Ausklang einer Talkrunde mit Friedrich Merz. Bei Klaviermusik und Wasserspielen inmitten eines Einkaufszentrums schlendern auch scharenweise Jugendliche, die kurz den bundespolitischen Hochkaräter auf dem Podium begutachten. Dabei bleibt es jedoch und die junge Klientel strotzt unbekümmert weiter zum Shopping. Moralische Defizite, Resignation, Politikfrust und Politikverdrossenheit klingen im Gespräch an. Die Fragen des Schülers sind eher Feststellungen und beackern ein weites Feld. Dann doch ein Fragezeichen: "Warum ist der Özdemir zurückgetreten?", will der Friedensaktivist herausfordernd wissen. "Die wahren Gründe kennt wohl nur Özdemir. Aber wahrscheinlich hatte er keine Lust mehr?", versucht der Kandidat den neutralen Mittelweg und landet hart. Falsche Antwort. Richtige Antwort: Profitgier und Angst vor weiteren miesen Enthüllungen – so wie sie eben sind, die Politiker. Das wollte sein Gesprächspartner hören. Nach einigen weiteren Minuten dampft der junge Mann in seinen kurzen Shorts und dem weißen T-Shirt ab, sichtlich unbefriedigt. Ole Schröder trägt dunklen Anzug und Krawatte. Schublade auf, Kandidat rein. Vorurteile sind nicht einfach auszuräumen.

Schröder ist nicht merklich älter als die jungen Leute, deren Einkaufsbummel an der Polit-Talkrunde vorbeiführt. Und er sieht jünger aus, als sein Alter vermuten lässt. Vielleicht hätte der Polit-Kritiker anders geurteilt, wenn der Kandidat sein Skateboard unter dem Arm und die lockeren Klamotten getragen hätte. So wie auf den Fotos im Wahlprospekt. Als Privatperson Ole Schröder, nicht als Kandidat. Wenigstens der Jungen Union hatte der eloquente Schüler aber noch zugesagt, beim nächsten Stammtisch-Treffen zu erscheinen – zwecks Meinungsaustausch.

Aktion als Motivationsschub

Die Kontaktausbeute des Kandidaten bei Jungwählern scheint gering. Doch über einen interessiert nachfragenden Studenten oder Schüler kann ein Wahlkämpfer schon froh sein. Der Kontakt zu Jugendlichen ist außer über die obligatorischen Jugendorganisationen der Parteien nicht einfach herzustellen. Doch auch deren Liste mit aktiven Mitstreitern ist parteiübergreifend äußerst kurz. Von Wahlkampfunterstützung durch politisch begeisterte Jugendliche, wie sie noch zu Zeiten der Wende möglich war, kann Schröder im Kreis Pinneberg heute nur noch träumen.

Die Realität ist schmerzlich: Die Wahlkampfaktionen werden zum erheblichen Teil durch parteiexterne Freunde und Bekannte unterstützt. Als Motivationsschub zählt nicht die Politik, sondern immer mehr die Aktion. Die Werbetour mit den Smart-Cars durch die Gemeinden, das Verteilen von Ostereiern in Hasenkostümen und Kneipentouren mit Feiergefolge. Die unpolitische Gesellschaft und die vielfach meinungsneutralen Individuen einer unbekümmerten Spaßkultur – aktuell ich-AG genannt – verlangen besondere Methoden bei der Aktivierung von Unterstützern und Helfern. Diese Erfahrung geht quer durch die Parteien. Ein bisschen Guido Westerwelle ist nötig, um den Wähler, aber auch die eigenen Truppen zu motivieren. Auch im Wahlkreis Pinneberg.


Im nächsten Teil:
Wahlkampf im Web – Kommunikations- und Informationsportal oder nur obligatorisches Trendmittel? Wie sind Nutzung und Feedback der Wähler im Wahlkreis zu bewerten? Lesen Sie nächste Woche hier bei politik-digital.de, wie es weiter geht!

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Erschienen am 15.08.2002